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Warum Spinnen an den Wänden laufen können  
  Spinnen können bekanntlich an Wänden und Decken laufen, ohne dabei die Haftung zu verlieren. Diese Fähigkeit verdanken sie mikroskopisch feinen Härchen an der Spitze ihrer Beine. Die große Oberfläche dieser Strukturen nützt zwischen Molekülen wirkende Kräfte - auch als Adhäsion bekannt - aus, die das Körpergewicht der Tiere um ein Vielfaches übersteigen.  
Wie Friedrich G. Barth von der Universität Wien erklärt, bedienen sich die Gliederfüßler eines anatomischen Tricks, mit dem sich die haftenden Beine wieder elegant von der Oberfläche abheben lassen. Die Härchen besitzen nämlich ein spezielles Gelenk, das sie bei Bedarf gewissermaßen wegklappen lässt.
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Die Frage der Woche im Wortlaut
Die Frage, wie Spinnen angesichts der großen Adhäsionskräfte ihre Beine wieder von der Oberfläche abheben können, hat unser User "korowjew" im Forum der Meldung "Hunderttausende Härchen geben Spinnen Halt" vom 19.4.04 gestellt. Sein Posting im Wortlaut: "Und wie bekommt die Spinne ihr Bein wieder weg von der Oberfläche? Pure Gewalt?"
->   Zur Frage der Woche samt User-Forum
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Artenreiche Tiergruppe
Zur Klasse der Spinnentiere (latein. "Archnida") zählen stattliche 60.000 Arten. Zu dieser Tiergruppe gehören neben den Spinnen im umgangssprachlichen Sinn - nämlich den so genannten Webspinnen - auch Skorpione, Weberknechte und Milben.
->   Spinnentiere bei Wikipedia
Kletterkünstler
Vielen Spinnen weisen eine beneidenswerte Fähigkeit auf: Sie können ohne Probleme an senkrechten oder überhängenden Oberflächen laufen. Wie Untersuchungen gezeigt haben, sind dafür feine Härchen an deren Beinen verantwortlich.

Konkret handelt es sich dabei um so genannte Scopulae (deutsch "Besenreiser"), d.h. Hafthaare, die extrem aufgefächert sind.
->   Hunderttausende Härchen geben Spinnen Halt (19.4.04)
"Biologische Nanotechnologie"
Hinter dieser Auffächerung steckt Methode: "Dadurch ergeben sich winzigste Endstrukturen mit einem Durchmesser von Bruchteilen eines Mikrometers. Es handelt sich also gewissermaßen um biologische Nanotechnologie", erklärt Friedrich Barth im Gespräch mit science.ORF.at.
Oberflächenvergrößerung fördert Adhäsion
Bild: EPA
Der Sinn des Ganzen: Je größer die Zahl der feinen Strukturen, desto größer ist die von ihnen gebildete Oberfläche. Damit verstärken sich wiederum verschiedene Wechselwirkungen auf molekularem Niveau, die als Adhäsion bekannt sind.

Das Ergebnis: Das Tier "klebt" mit einer erstaunlich hohen Haltekraft an der Oberfläche. Das liebste Studienobjekt von Barths Arbeitsgruppe - die Gattung Cupiennius - konnte in Versuchen mit mehr als dem Zehnfachen ihrer Körpermasse beschwert werden - und lief immer noch munter über Wände und Decken.

Bild rechts: Elektronenmikroskopische Aufnahme der Spitze eines Spinnenbeins der Spezies Evarta arcuata.
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Adhäsion
Als Adhäsion bezeichnet man das Aneinanderhaften zwischen einem festen Körper und einer zweiten festen, flüssigen oder gasförmigen Substanz. Sie entsteht durch zwischenmolekulare Wechselwirkungen, wie etwa elektrostatische Kräfte, Van-der-Waals-Kräfte oder chemische Bindungen. Alltagsbeispiele für die Adhäsion sind das Haften von Wassertropfen an einer Glasoberflächen und das Haften von Klebstoff auf glatter Fläche.
->   Adhäsion bei Wikipedia
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Ohne Wasserfilm geht nichts
Allerdings: Die Adhäsion funktioniert nur, wenn ein feiner Wasserfilm auf der jeweiligen Oberfläche vorkommt. Dies ist auch bei den allermeisten natürlichen Materialien der Fall.

Ein ehemaliger Mitarbeiter von Friedrich Barth habe einmal mit Spinnen Versuche ausgeführt, bei denen er sie an Teflonoberflächen klettern ließ, erzählt der Wiener Zoologe. Das Ergebnis: Die Tiere stürzten regelmäßig ab.

Die Erklärung dafür liege in der Tatsache begründet, dass Teflon eine so genannte hydrophobe Oberfläche ist, wie Barth erklärt. Mit anderen Worten, das Material lässt die Bildung keines feinen Wasserfilms zu - womit die Tiere ihrer Haftmöglichkeiten beraubt sind.
Wäre Spiderman möglich?
Manche Insekten (wohlgemerkt: Spinnen sind keine Insekten!) benützen folgenden Trick: Sie geben extra Flüssigkeiten ab, um den gewünschten Benetzungseffekt zu ermöglichen.

Das Prinzip der Haftung mittels Oberflächenvergrößerung könnte theoretisch auch bei größeren Objekten angewendet werden. Wäre also ein "Spiderman" wie im gleichnamigen Comic möglich?

"Es wäre zumindest denkbar", antwortet Barth: "Vielleicht wären ja Saugnäpfe für diesen Zweck besser - aber es gibt keine prinzipielle physikalische Grenze für die Haftung mittels Adhäsion."
Warum Spinnen nicht "kleben" bleiben
Stellt sich noch folgende Frage: Wenn die Beine mit einer derart starken Kraft an der Oberfläche haften - wie bekommt die Spinne die Beine wieder von dort weg?

Die Tiere überwinden die wirkenden Kräfte, indem sie die Hafthaare gewissermaßen wegschieben. Eine analoge Situation sei etwa dann gegeben, wenn man einen auf einem feuchten Tisch klebenden Bierdeckel wegschiebt, so Barth.
Anatomische Tricks
Das heißt, die Adhäsionskräfte wirken nicht in alle Richtungen gleich stark. Anatomisch hilft den Spinnen ein spezielles Gelenk an den Hafthaaren, das sich bei entsprechender seitlicher Bewegung wegklappen lässt.

Einen anderen Trick haben für dieses Problem Bienen und Ameisen entwickelt: Sie benützen Strukturen an dem Ende ihrer Beine, die "Pulvillen" genannt werden.

Wollen sie diese von der Oberfläche lösen, dann füllen sie die Pulvillen mit Lymphe. Daraufhin kugeln sich diese ab und lassen sich leicht abheben.

Robert Czepel, science.ORF.at
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->   Arbeitsgruppe von F.G.Barth (Inst. F. Zoologie, Uni Wien)
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