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Heuschreckenplage für Europa nur ein lokales Problem  
  Millionen der gefräßigen Insekten, die in einem Schwarm innerhalb von Minuten ganze Felder vernichten können, sind seit Februar 2004 über Mauretanien, Senegal, Mali, Niger und den Tschad hergefallen. Doch auch wenn sie bei günstigen Windverhältnissen bis in die südlichen Mittelmeerländer verfrachtet werden können, sind die Überlebenschancen der Wanderheuschrecken in Europa aufgrund der klimatischen Verhältnisse begrenzt.  
Und deutsche Biologen suchen beispielsweise nach geeigneten Alternativen zu bisher verwendeten Insektiziden für die Heuschreckenbekämpfung, über die sich unser User "Wolverine1" Gedanken macht.
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Die Frage der Woche im Wortlaut:
Wolverine1.: "Ich habe von den schweren Heuschrecken-Plagen gelesen, die in Afrika grassieren. Besteht eine Chance, dass die Schwärme auch auf Europa überspringen und was kann man dagegen tun?"
->   Zur Frage der Woche samt User-Forum
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Heuschrecken leben eigentlich solitär
Wanderheuschrecken sind in Afrika durch verschiedene Arten vertreten. Die häufigsten sind Schistocerca gregaria und Locusta migratoria, so Hannes Paulus, Evolutionsbiologe am Biozentrum Wien. Bei beiden können unter günstigen Bedingungen im Bereich der südlichen Sahelzonen Massenvermehrungen auftreten.

Der Biologe weiter zu science.ORF.at: "Normalerweise leben die Tiere einzeln - also jedes für sich unabhängig - was als solitäre Phase bezeichnet wird. Diese Tiere durchlaufen sechs grün gefärbte Stadien, bis sie erwachsen sind, dann sind sie braun-beige gefärbt. Sie sind im wesentlichen nachtaktiv."
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Schwarmenstehung der Wanderheuschrecken
Hannes Paulus erklärt für science.ORF.at auch, wie aus den eigentlich solitär lebenden und nachtaktiven Insekten tagaktive Schwärme entstehen:

"Wenn nun bei günstigen Witterungsbedingungen und gutem Nahrungsangebot die Populationsdichte über ein normales Maß steigt, schalten die Weibchen auf ein anderes Verhalten um. Sie legen anders programmierte Eier, aus denen nun eine andere Morphe schlüpft. Die Larven sind nun schwarz oder schwarz-gelb, die Erwachsenen gelb gefärbt. Diese noch flugunfähigen Larven finden sich bereits in immer größeren Horden zusammen und die Population, die nun tagaktiv ist, wächst stetig an. Erst nach zwei bis drei weiteren Generationen - das geht sehr schnell - kann eine Dichte von mehreren Milliarden Individuen erreicht werden, die als gigantische Schwärme ihre gefürchteten Wanderungen antreten."
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Verbreitung
Ideale Bedingungen für eine Massenentwicklung entstehen durch lang gestreckte Tiefdruckgürtel, in denen es immer wieder regnet.

"Die Bodenfeuchte ermöglicht eine optimale Entwicklung der abgelegten Eier und der Vegetation, die von den Hüpfern gefressen wird", so Hans-Jörg Ferenz, Leiter der Tierphysiologie an der Martin-Luther-Universität in Halle, zu science.ORF.at.

"Die Schwärme selbst fliegen vor allem in den Konvektionsströmen der Luft, die sie nach oben mitreißen und neben ihrem aktiven Flug vor allem passiv mittransportieren. Sie können so bis zu 200 Kilometer pro Tag mitgeschleppt werden. Abends landen sie dort, wo es Nahrung gibt. Auf diese Weise können sie Strecken von bis zu vielen tausend Kilometer zurücklegen", erklärt Hannes Paulus zu ihrer Verbreitung.
Europa in Reichweite
So können Heuschreckenschwärme abhängig vom Wind große Entfernungen zurücklegen. "1989 ist ein Schwarm zum Teil bis in die Karibik gelangt und auf dem Atlantik sind schon öfter Schwärme gestrandet, wie man von Schiffsbesatzungen erfahren hat", weiß der Wiener Evolutionsbiologe Paulus weiter zu berichten.

Spanien wäre ihm zufolge in Reichweite der Fluginsekten, nur werde Marokko als Ausgangspunkt eher selten von Schwärmen heimgesucht. Darüber hinaus müssten zum Überqueren des Mittelmeeres ungewöhnlich gute Bedingungen herrschen.

Die letzten Meldungen über so große Schwärme - wie derzeit in Afrika - sollen aus dem 17. und 18. Jahrhundert stammen.
Lokales Problem ohne Langzeitwirkung für Europa
Zur möglichen Ausweitung auf Europa meint Hans-Jörg Ferenz: "Die Wüstenheuschrecke wird gelegentlich nach Mitteleuropa verdriftet. Sie kann bei uns aber nicht besonders gut überleben, denn den Winter würde sie nicht überstehen. Die Mittelmeerländer hingegen können schon mal einen größeren Schwarm abbekommen, dann ist das aber nur ein lokales Problem ohne Langzeitwirkung."

Wie die Experten science.ORF.at gegenüber versichern, sind diese Tiere also bei uns nicht in der Lage sich längerfristig zu halten. Vor allem können sie niemals die Wanderphase aufbauen, da in Mitteleuropa die dafür geeigneten Bedingungen nicht existieren.
Gegenmaßnahmen
Die wirksamste Bekämpfung der Schädlinge ist im Übrigen das Versprühen entsprechender Chemikalien mit Flugzeugen. Der große Nachteil an den chemischen Keulen aus der Luft sind die tödlichen Nebenwirkungen für andere - ungefährliche - Insekten, aber vor allem auch für nützliche Insektenfresser.
Pheromone statt Insektizide
Deutsche Zoologen haben nun ein Pheromon entdeckt, das Heuschreckenmännchen nach der Kopulation abgeben, um Konkurrenten fern zu halten. Die Männchen produzieren die Substanz auch um zu verhindern, dass sie versehentlich von anderen Männchen begattet werden.

"Diese gezielt wirkenden Signalduftstoffe wären eine Alternative", laut Hans-Jörg Ferenz. Man komme mit weniger Substanz als bei herkömmlichen Insektiziden aus und habe weniger ökologische Nebenwirkungen.

Ein Team aus Kenia hat bereits versucht, mit diesem Signalstoff in Feldversuchen die Fortpflanzung der Tiere zu stören. Diese Tests sind allerdings erst im Anfangsstadium und vorläufige Resultate daher noch umstritten.
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