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ORF ON Science :  Ask Your Scientist :  Umwelt und Klima 
 
Eiszeiten durch "günstige" Kontinentverteilung  
  Im Laufe der Erdgeschichte veränderten immer wieder eiszeitliche Klimaentwicklungen wesentlich unseren Planeten. Kosmische Einflüsse alleine genügen allerdings nicht, um eine Eiszeit hervorzurufen. Vielmehr ist eine "günstige" Kontinentverteilung auf der Erde nötig, um ein lange anhaltendes Eiszeitalter einzuleiten.  
Lediglich kleinere Klimaschwankungen wie der Wechsel zwischen Glazial und Interglazial lassen sich durch astronomische Zyklen erklären, die science.ORF.at-User Michael S. bereits in seiner Frage angeführt hat.
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Die Frage der Woche im Wortlaut:
Michael S.: "Hätte gerne gewusst, was die Gründe für die Entstehung von Eiszeiten sind. Habe schon Theorien gehört, die dieses Phänomen durch die Präzession der Erdrotationsachse oder aber durch Schwankungen der Umlaufbahn unseres Sonnensystems um das galaktische Zentrum erklären wollen. Leider konnte ich bisher keine genaueren Begründungen finden. Wäre super, wenn mir jemand erklären könnte, wie das Ganze nun wirklich abläuft!"
->   Zur Frage der Woche samt User-Forum
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Wir leben in einem Eiszeitalter
Günz, Mindel, Riß und Würm - so werden die letzten vier Kaltzeiten im alpinen Raum bezeichnet. Die letzte dieser so genannten Glazialphasen endete vor etwa 11.000 Jahren bei einer jährlichen Durchschnittstemperatur von knapp über zehn Grad Celsius.

In der heutigen Rückzugsphase der Gletscher - auch als Interglazial bezeichnet - schwankt dieser Wert um die 15 Grad Celsius und soll Berechnungen zufolge weiter ansteigen.

Dennoch wissen Geologen und Klimaforscher, dass diese Temperaturschwankungen im Vergleich mit der Erdgeschichte nur gering sind und wir derzeit in einem Eiszeitalter leben. In einer Klimaphase, die vor rund zehn Millionen Jahren mit der Bildung der heutigen Eiskappen begonnen hat.
Leben in einer Ausnahmesituation
Auch wenn wir Menschen uns eine Erde ohne Eisschilde nicht vorstellen können, so ist der Großteil der Klimageschichte von eisfreien Warmzeiten geprägt. Das heutige quartäre Eiszeitalter stellt verglichen mit dem eisfreien Warmklima, das zu 80 bis 90 Prozent der Erdgeschichte vorherrschte, eine Ausnahmesituation dar - worauf auch unser User "lightningchase" eingeht.

Wie allerdings kann es zu einer derartigen Abkühlung auf unserer relativ warmen Erde kommen?

Die derzeit bevorzugten Erklärungen für die allgemeine Abkühlung beruhen laut von science.ORF.at befragten Klimaexperten und Geologen auf den Positionen der Kontinente zueinander und zu den Polen.
Kontinentverteilung als treibende Kraft
Die Datengrundlage für Vergleiche mit ehemaligen Eiszeiten bilden geologische Hinweise aus glazialen Sedimenten aller Kontinente und Ozeane. Die Kontinentverteilung änderte sich in den letzten vier Milliarden Jahren der Erdgeschichte mehrmals und ist bis heute ein wesentlicher Klimafaktor.

"Während der meisten Zeit der Erdgeschichte lagen in den Polregionen keine ausgedehnten Festlandgebiete, und es gab dort keine Eiskappen", erläutert Steven Stanley, Geologe an der Johns Hopkins University in Maryland, gegenüber science.ORF.at.

"Als große Landmassen in Positionen drifteten, die den wirkungsvollen Wärmetransport durch die Ozeane behinderten, nahmen die Temperaturunterschiede zwischen den Polen und dem Äqutor zu. Da die Pole abkühlten, konnten sich dann Eiskappen bilden."
Zyklik der Eiszeitalter
Die "permokarbone Eiszeit" vor etwa 280 Millionen Jahren wurde genau durch diesen Umstand hervorgerufen. Der damalige Superkontinent "Gondwana" - bestehend aus den Landmassen von Südamerika, Afrika, Antarktis, Australien und Indien - geriet in die Lage des heutigen Südpols.

"Vorangegangene Eiszeitalter wie die so genannte Sahara-Vereisung vor etwa 440 Millionen Jahren oder etwa die Varanger-Vereisung vor 670 bis 550 Millionen Jahren entstanden unter ähnlichen plattentektonischen Voraussetzungen", so Peter Faupl, Geologe an der Uni Wien.

Paläomagnetische Studien zeigen dabei die ehemalige Pollage der Kontinente und belegen zusammen mit eiszeitlichen Ablagerungen, den so genannten Tilliten, die Höhepunkte dieser Eiszeitalter.
Die nächste Warmzeit kommt bestimmt
Wie eng die Eiszeitalter mit den plattentektonischen Vorgängen verknüpf sind, führt Steven Stanley weiter aus:

"Wir können bereits vorhersagen, dass dann, wenn in den kommenden Millionen Jahren die großen polaren und subpolaren Landmassen der Nordkontinente und die Antarktis von den Polen wegdriften, auch die Eiskappen abschmelzen werden."
Kleinere Schwankungen - kosmische Ursachen
Auf der Suche nach den Ursachen für kleinere Klimaschwankungen hingegen ziehen Experten astronomische Ursachen heran.

Der zyklisch auftretende Wechsel von so genannten Glazial- und Interglazialzeiten ist eng mit den Berechnungen des serbischen Astrophysikers Milutin Milankovitch verknüpft. Danach sollen Veränderungen in der Erdbahngeometrie für die Steuerung der Gletscherzyklen verantwortlich sein.
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Der Einfluss der Milankovitch-Zyklen
Milutin Milankovitch (1879 - 1958) stellte die Theorie auf, dass Unterschiede im Strahlungshaushalt der Erde aufgrund von Veränderungen der Erdbahngeometrie die alleinige Ursache für Eiszeiten sind. Klimaforscher wissen heute, dass die so genannten Milankovitch-Zyklen wesentlichen Einfluss auf die Sonneneinstrahlung und somit das Klima vor allem in polaren Gebieten haben, allerdings nur in Verbindung mit anderen Faktoren Eiszeiten hervorrufen können.

Die Veränderung der Erdbahngeometrie wird durch Gravitationskräfte zwischen Sonne, Erde und Mond hervorgerufen. Dadurch ändert sich die Form der elliptischen Erdumlaufbahn um die Sonne mit einer Periode von etwa 100.000 Jahren (Exzentrizität) sowie die Neigung der Erdachse zur Umlaufbahn mit einer Periode von etwa 40.000 Jahren (Schiefe der Ekliptik). Darüber hinaus durchläuft die Lage der Erdachse auf der elliptischen Umlaufbahn Zyklen von etwa 20.000 Jahren (Präzession). Durch diese so genannten Milankovitch-Zyklen verändert sich die Verteilung der Sonnenenergie auf der Erde.
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Astronomische Hypothesen
Eine Kombination und Weiterentwicklung dieser Ansätze wird in den letzten Jahren immer häufiger diskutiert, wie auch die ausführliche Diskussion zu dieser Frage im User-Forum zeigt.

Diese Hypothesen stützen sich auf die astronomischen Beobachtungen, dass unser Sonnensystem asymmetrisch in einem Arm der Milchstraße liegt.

"Unsere Galaxis dreht sich etwa alle 300 Millionen Jahre einmal um sich selbst, so dass sich unser Sonnensystem durch dichtere und durchlässigere Bereiche interstellaren Staubs und durch wechselnde Schwere- und Magnetfelder mitbewegt. Das ist auch für Sonnensysteme in anderen Galaxien typisch", so Werner Zeilinger, Astronom an der Uni Wien.
Kosmische Umgebung als Initiator
Die Hypothesen gehen dabei von zwei Phasen aus, die bei jedem vollen Umlauf durchlaufen werden. Danach soll sich alle 150 Millionen Jahre die kosmische Umgebung unseres Sonnensystems ändern - und so möglicherweise Klimaänderungen auf der Erde initiiert werden.
Geologische Voraussetzung
Wie allerdings aus den bereits untersuchten Eiszeitaltern bekannt ist, können astronomische Gegebenheiten für eine Eiszeit auf der Erde mitverantwortlich sein, wenn die Kontinentverteilung auch entsprechend günstig ist.

"Grundvoraussetzung für eine terrestrische Vereisung und eine eiszeitliche Entwicklung sind kontinentale Landmassen in oder um die geographischen Pole, wie wir sie schon öfter in der Erdgeschichte rekonstruiert haben", erklärt dazu Thomas Stocker, Klimaforscher an der Uni Bern, gegenüber science.ORF.at.
Komplexes Zusammenspiel
Nur das Zusammenspiel von kosmischen Parametern und der Kontinentverteilung auf der Erde verursacht die Entstehung von Eiskappen, die das Klimasystem der Erde wesentlich beeinflussen.

Weitere komplexe Einflüsse für den für uns Menschen so prägenden Wechsel von Glazial- zu Interglazialphasen innerhalb einer eisbildenden Klimaphase, wie ihn Wissenschaftler vor allem für das Quartär bis heute sehr genau rekonstruiert haben, werden von Klimaexperten immer besser verstanden.

Christoph Urbanek, freier Wissenschaftsjournalist
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