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Warum Homo sapiens bisweilen Glatze trägt  
  Die biologische Funktion der Kopfbehaarung - etwa zur Wärmeregulation - verliert in moderner Zeit immer mehr an Bedeutung. Auch wenn es Haarausfall sowohl bei Affen als auch beim Menschen gibt, so sind ihre Haare genetisch unterschiedlich. Das widerspricht der Theorie, dass das menschliche Haupthaar von der Ganzkörperbehaarung unserer Vorfahren abstammt.  
Wie sich die Körperbehaarung beim Menschen im Laufe der Evolution verändert hat und warum besonders Männer ihre Kopfbehaarung verlieren, fragte sich auch unser User Gerhard W.
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Die Frage der Woche im Wortlaut
Gerhard W..: "Ältere Männer - aber auch solche um 20 - haben statt üppigen Haupthaar oftmals eine Glatze. Gibt es auch Affenarten, bei denen es ähnlich ist? Und kann man sagen, wann die Entstehung der Glatze in der Evolution erstmals aufgetreten ist?"
->   Zur Frage der Woche samt User-Forum
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Frühe Funktion des Haarkleides: Schutz
Für die frühen Vorläufer von Homo sapiens war die dichte Körperbehaarung ein physiologischer Schutz des Körpers vor Hitze, Kälte oder mechanischer Belastung, so wie wir es heute noch bei vielen Tierarten sehen.

Diese reine Schutzfunktion trat im Laufe der Entwicklung zum modernen Menschen in den Hintergrund, sodass die ursprüngliche Funktion der Haare an Bedeutung verlor.
Längeres Jagen durch bessere Körperkühlung
Gängige anthropologische Theorien besagen, dass die Abnahme der Körperbehaarung für den Menschen der Urzeit einen Vorteil bei der Jagd bedeutete:

Denn nur auf nicht ganz so dicht behaarter Haut kann der Schweiß gut verdunsten und so dem Körper Kühlung verschaffen. Das war eine wichtige Voraussetzung, um bei der Jagd vor allem in heißen Regionen auch tagsüber längere Zeit laufen zu können.
Neue Theorie: Weniger Haare, weniger Krankheiten
Walter Bodmer von University of Oxford und Mark Pagel, University of Reading, haben einen neueren Ansatz, um die evolutionäre Umstellung der Körperbehaarung plausibel zu erklären.

Sie glauben, dass die Behaarung vor einer halben Million Jahren vor allem verschwand, weil dies die Übertragung von Krankheiten eindämmte.
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Die Studie "A naked ape would have fewer parasites" von Mark Pagel und Walter Bodmer erschien am 7.8.03 im Fachjournal "Proceedings: Biological Sciences (Band 270, Suppl. 1, S.117-9).
->   Zum Originalartikel (pdf-File)
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Felle kamen nach Haarverlust zum Einsatz
Demnach sollen unsere Vorfahren über die Jahrtausende ihr ursprüngliches Fell reduziert haben, weil nackte Haut Parasiten weniger Lebensraum bietet. Somit hätten spärlich behaarte Menschen einen Überlebensvorteil gehabt.

Nacktheit sei also hygienischer und darüber hinaus sollen unsere Vorfahren wertvolle Zeit und Energie für die Suche nach Nahrung und Unterkunft gespart haben, so die beiden Wissenschaftler gegenüber science.ORF.at.

Wesentlich später - als der moderne Mensch das eiszeitliche Europa zu besiedeln begann - musste der Mensch Ersatz für die reduzierte Körperbehaarung finden. Daher soll sich der Neandertaler beispielsweise mit Tierfellen warm gehalten haben.
Warum das Haupthaar ausfällt
Warum aber hat der Mensch gerade am Kopf seine größte Behaarung erhalten und wie kommt es zum unangenehmen Auftreten von Haarausfall?

"Ursache für erblich bedingten Haarausfall besonders bei Männern - im medizinischen Fachjargon 'androgenetische Alopezie' genannt - ist das Hormon Dihydrotestosteron (DHT)", erklärt Herbert Hönigsmann, Dermatologe an der Uni-Klinik im AKH Wien.
Anzahl der DHT-Rezeptoren bedingt Haarausfall
"An der Haarwurzel sind Rezeptoren vorhanden, die inaktives Testosteron in die aktive Form Dihydrotestosteron (DHT) umwandeln. Wenn in der Kopfhaut zu viel davon vorhanden ist, wird die Wachstumsphase des Haares extrem verkürzt. Es kommt im Endeffekt zu einer Verkleinerung der Haare, die soweit verläuft, bis sie zu Grunde gehen", so der Wiener Experte.

Es komme also auch bei einem völlig normalen Hormonhaushalt zu Haarausfall - und zwar abhängig von der Anzahl der Rezeptoren. Denn je mehr von diesen Andockstationen für Hormone vorhanden seien, desto mehr Haarausfall werde verursacht.

Bei Frauen können noch zusätzlich Hormonschwankungen, Schilddrüsenerkrankungen, Eisenmangel, Stress oder Infektionen Ursachen für den bei ihnen seltener auftretenden Haarausfall sein.
Haarausfall bei Homo sapiens gab es immer schon
Hönigsmann stellt weiter fest, "dass es die Glatzenproblematik mindestens solange gibt, wie medizinische Aufzeichnungen aus der Antike bekannt sind. Man kann davon ausgehen, dass Haarausfall wahrscheinlich auftritt, seit es den Homo sapiens gibt."

Darüber hinaus gibt es einige rezente Affenarten wie Makaken, bei denen Haarausfall ebenfalls mit unangenehmen Folgewirkungen auftreten kann, wie der Bremer Biologe Manfred Fahle zu berichten weiß:

"Affen neigen dazu, von Parasiten wie Läusen und Flöhen befallen zu werden. Eine Folge davon ist Haarausfall. Nur wer allerdings besser aussieht, verspricht lebensfähigere Nachkommen zeugen zu können. Gutes Aussehen heißt in diesem Fall, dass die Tiere ein schöneres Fell haben."
Kein Relikt ehemaliger Ganzkörperbehaarung
Egal ob bei Menschen oder rezenten Affen, das medizinische Problem des Haarausfalls (die "androgenetische Alopezie") ist ausschließlich nur für die jüngste Entwicklungsstufe des Menschen - nämlich für den Homo sapiens - feststellbar.

Bei unseren etwas älteren Vorfahren, den Hominiden, ist die Entwicklung der Behaarung und ihre Funktion nicht so eindeutig zu klären, wie Glenn Conroy von der Washington University gegenüber science.ORF.at erläutert.
"Haarige" Unterschiede zwischen Mensch und Affe
In einer erst im Julie 2004 veröffentlichen Arbeit zeigte der amerikanische Wissenschaftler, dass das menschliche Haupthaar und rezente Primatenhaare genetisch unterschiedlich sind.

"Das menschliche Haupthaar entspricht auch genetisch nicht den Körperhaaren von Affen. Sie unterscheiden sich schon rein physiologisch und erfüllen auch andere Zwecke", erklärt der Primatenspezialist.
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Die Studie "Human head hair is not fur" von Arthur H. Neufeld und Glenn C. Conroy erschien im Fachjournal "Evolutionary Anthropology: Issues, News, and Reviews" (Band 13, S. 89; doi: 10.1002/evan.20011).
->   Zum Original-Abstract
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Kopfhaare sind kein Relikt der Körperbehaarung
Ihm zufolge kann das menschliche Haupthaar daher - mitsamt seiner Glatzenproblematik - nicht als Rest einer ehemaligen Ganzkörperbehaarung unserer Vorfahren interpretiert werden, sondern sei vielmehr eine artenspezifische Entwicklung hauptsächlich zur Thermoregulation des Körpers.

Behaarung im Schambereich sei hingegen schon ein Relikt einer ehemaligen, umfangreicheren Körperbehaarung und habe beim Paarungsverhalten eine Signalfunktion übernommen.

Christoph Urbanek, freier Wissenschaftsjournalist
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