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ORF ON Science :  Ask Your Scientist :  Umwelt und Klima 
 
Gefrierpunkt bei bewegtem Wasser herabgesetzt  
  Dass fließende Gewässer langsamer zufrieren als stehende, lässt sich zurzeit allerorts beobachten. Auch unserem User Hubert C. fiel dieses Phänomen auf. Dass hauptsächlich die geringe Bindungsenergie zwischen den Wassermolekülen im flüssigen Aggregatzustand dafür verantwortlich ist, erklären Experten gegenüber science.ORF.at.  
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Die Frage der Woche im Wortlaut:
Hubert C.: "Warum frieren im Winter fließende Gewässer langsamer zu als stehende Gewässer ?"
->   Zur Frage der Woche mit User-Forum
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Schweres Wasser, leichtes Eis
Wie allgemein bekannt sind die mechanischen Eigenschaften des Wassers in erster Linie von Temperatur und Druck abhängig - ebenso der Übergang in seine feste Phase, wenn Eis entsteht.

Da Eis eine geringere Dichte besitzt, also leichter als Wasser ist, schwimmt es immer oben auf. "Zu dieser Dichteanomalie kommt es, da die Wassermoleküle im hexagonalen Kristallgitter des Eises einen größeren Abstand zueinander einnehmen, als im flüssigen, ungeordneten Zustand. Die H2O-Moleküle im Wasser verfügen somit über eine wesentlich geringere Bindungsenergie als im Eis." so Michael Kuhn, Meteorologe an der Uni Innsbruck, gegenüber science.ORF.at.
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Lagerung der Moleküle für Anomalien verantwortlich
Jan Fleckenstein, Hydrologe an der Uni Bayreuth, erläutert die Struktur von Eis und weist die User von science.ORF.at darauf hin, warum auch die physikalischen Eigenschaften des Wassers von lebenswichtiger Bedeutung in der Natur sind:

"Das Sauerstoffatom und die beiden Wasserstoffatome im Wassermolekül formen einen Tetraheder. Aufgrund der Ladungsverteilung fungiert das Molekül als Dipol. Zwischen den Wassermolekülen können sich nun polare Bindungen bilden, die allerdings etwa zehn bis 50 mal schwächer sind als die kovalenten Bindungen zwischen Sauerstoff und Wasserstoff, aber stark genug, um hexagonale Kristallstrukturen zu bilden, wie sie im Eis vorhanden sind. Wenn die Eigenbewegung der Atome in den Wassermolekülen also zu stark wird - wie beispielsweise durch höhere Temperatur - brechen die Gitterstrukturen im Eis auf und die Wassermoleküle lagern dichter aneinander, als dies im flüssigen Aggregatzustand der Fall ist."

"Die Lagerung der Moleküle bei Eis und flüssigem Wasser erklärt auch die Anomalie, dass Wasser bei vier Grad Celsius seine größte Dichte hat. Daher kann Eis auf vier Grad kaltem Wasser schwimmen und deshalb frieren Gewässer beginnend bei der Gewässeroberfläche zu und nicht vom Grund her. Letzteres ist besonders für das Überwintern von Fauna und Flora in Seen und Flüssen wichtig."
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Variabler Übergang von Wasser zu Eis
Der Übergang von Wasser in Eis erfolgt unter normalem Atmosphärendruck bei Null Grad Celsius, allerdings stark abhängig vom Salzgehalt oder anderen Parametern wie der Verunreinigung.

"Der Schmelzpunkt beziehungsweise der Gefrierpunkt von Eis kann deshalb leicht durch die Zugabe von Salzen herabgesetzt werden, wie dies im winterlichen Streudienst intensiv genutzt wird. Auch Meerwasser friert daher erst bei niedrigeren Temperaturen als normales Süßwasser," erklärt Roland Grössinger, Physiker an der Technischen Universität Wien, gegenüber science.ORF.at.
Heißes Wasser, schnelleres Eis
Dass sogar heißes Wasser schneller gefrieren kann als kaltes Wasser, wird in der Physik als Mpemba-Effekt bezeichnet, wie bereits Günter Wiesinger, ebenfalls Physiker an der Technischen Universität Wien, für science.ORF.at in einem früheren Beitrag erklärt.

Während des Abkühlungsprozesses verdunstet nämlich bis zu einem Viertel des Wassers, was das Gefrieren in zweifacher Hinsicht beschleunigt: Zum einen wird dem Wasser Verdampfungswärme entzogen, zum anderen bleibt durch das Verdunsten weniger Wasser über, das noch gefrieren muss.
->   Warum warmes Wasser schneller gefriert als kaltes (28.4.03)
"Wärmesystem" Fluss
Zur aktuellen "Ask your Scientist"-Frage - warum also fließende Gewässer langsamer zufrieren als stehende - stellt sein Kollege Roland Grössinger fest: "Die kinetische Energie ist in einem bewegten System - wie ein fließendes Gewässer eines darstellt - immer höher als in einem ruhenden beispielsweise einem See. Prinzipiell gilt: Je mehr Energie im System vorhanden ist, desto niedriger sind die Temperaturen, bei denen die Flüssigkeit - in diesem Fall Wasser - gefriert."

"So funktioniert der Wärmeaustausch in einem Fluss besser, da eine gute Durchmischung der Wassermoleküle gegeben ist. Somit ist die Wärmezufuhr innerhalb des Gewässersystems wesentlich höher und lässt die Eisbildung nicht so schnell zu", erklärt der Innsbrucker Meteorologe Michael Kuhn für die science.ORF.at-User genauer.
Geringe Bindungsenergie und Bewegung
"Ein wesentlich wichtigerer Effekt, der den Gefrierpunkt des Wassers herabsetzt, ist allerdings, dass sich die Moleküle durch die ständige Bewegung in einem Fluss nicht so gut aneinander 'klammern' können und ständig auseinander gerissen werden," erklärt Michael Kuhn weiter.

Jan Fleckenstein, Hydrologe an der Uni Bayreuth, schließt an: "Turbulenzen wie bei fließendem Wasser behindern die Ausbildung von Kristallgittern, wie sie im Eis vorhanden sind. Daher friert ein fließendes Gewässer langsamer zu als ein stehendes."

"So kann es eben passieren, dass ein reißender Gebirgsbach erst bei Minus Zehn Grad Celsius eine Eisdecke bildet. Nicht so wie bei einem stehenden Gewässer, das bereits ab Null Grad Celsius zufrieren kann", kennt auch der Innsbrucker Meterologe dieses Phänomen wie unser User Hubert C.

Christoph Urbanek, 31.1.05
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