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Viren: Wer tötet, ist schlecht angepasst  
  Die Vermehrung von Viren geht zwar zu Lasten ihrer Wirte, deren Tod ist aber eigentlich nicht "vorgesehen". Soll heißen: Nur schlecht angepasste Erreger töten ihre Wirte, erfolgreiche Viren bevorzugen hingegen die sanfte Tour.  
Ein Beispiel dafür ist die äußerst hohe Verbreitungsrate des Polyomavirus: Etwa drei Viertel aller Menschen tragen den Erreger in sich - allerdings merken sie nichts davon.
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Die Frage der Woche im Wortlaut
Christian M..:"Warum gibt es Viren, die Menschen töten? Man sagt doch, in der Natur geschieht nichts ohne Grund. Alles hat eine Ursache. Was ist aber für Viren der Vorteil daran, seinen Wirt zu töten? Mit dem Tod des Wirtes geht doch der eigene Tod für fast alle Viren einher, denn in einem toten Körper können sie nicht leben. Ein Virus, das den Wirtskörper nutzt, ohne ihm ernsthaft Schaden zuzufügen, wäre doch viel effektiver. Es könnte sich vermehren und andere Wirtskörper viel leichter übernehmen."
->   Zur Frage der Woche samt User-Forum
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An der Schwelle zum Lebendigen
Viele Wissenschaftler betrachten Viren als Zellparasiten, die nicht getötet, sondern nur an ihrer Vermehrung gehindert werden können. Der Grund dafür ist, "dass Viren ganz charakteristische Merkmale wie beispielsweise ein eigener Stoffwechsel oder ein eigenes Proteinsynthesesystem fehlen, um sie als eigene Lebewesen bezeichnen zu können," erklärt Christian Mandl, Virologe am Klinischen Institut für Virologie an der MedUni Wien.

Für Georg Herrler, Molekularbiologe an der Tierärztlichen Hochschule Hannover, sind Viren "eigentlich nur sehr spezialisierte genetische Elemente, die einen besonders effizienten Weg der Vermehrung nutzen."
Töten ist eine schlechte Strategie
"Viren können in der Hinsicht als Parasiten bezeichnet werden, da sie nicht alleine existieren können und sich eines anderen Lebewesens dazu bedienen", so Herrler. Allerdings: Bei anderen - lebendigen - Parasiten sei häufig eine spezielle Stoffwechsel-Funktion verloren gegangen, die nun vom Wirten bereitgestellt werde. Bei Viren sei sie hingegen nie vorhanden gewesen.

"Wie bei Parasiten geht auch bei Viren die Fortpflanzung zu Lasten des Wirtes und verursacht Veränderungen der Wirtszelle", erklärt Christian Mandl gegenüber science.ORF.at.

"Im Normalfall sorgt allerdings eine ständige, gegenseitige Anpassung dafür, dass der Erregervirus seinen Wirt als Existenzgrundlage durch die ausgelösten Krankheiten möglichst nicht zu sehr schädigt oder gar tötet."
Koevolution als wichtiger Faktor
"Für Viren ist das Überleben des Wirtsorganismus das eigentliche Idealziel, tödliche Erkrankungen beim Wirt sind vielmehr Zeichen für fehlende Balance in der Anpassung und in der Regel nicht das primäre Ziel", meint der deutsche Forscher Herrler.

Nach Meinung von Christian Mandl hänge sogar das Leben, in der Komplexität wie wir Menschen es kennen, mit der Virenentwicklung zusammen:

"Denn durch die Suche nach einer passenden Abstimmung zwischen Viren und Wirt, wurde deren Koevolution entscheidend vorangetrieben. Das Immunsystem zum Beispiel strotzt voller Mechanismen und zellulärer Entwicklungen, die primär darauf abzielen, fremdes von eigenem genetischen Material zu unterscheiden."
Hohe Todesraten bei Zwischenwirten
"Wenn allerdings die Todesrate beim Menschen beispielsweise durch Ebolaviren extrem hoch ist, dann weist das darauf hin, dass die jeweiligen Viren noch nicht auf den Menschen abgestimmt sind. Das bedeutet, dass der Mensch für solche Erreger nicht der so genannte Hauptwirt ist, sondern lediglich eine Art Zwischenstufe bei der weiteren Übertragung darstellt", hält der Wiener Virenexperte fest, ergänzt aber:

"Bei nicht idealer Anpassung stirbt also der Wirt im schlechtesten Fall, was allerdings speziell beim Menschen eine schlechte Überlebensstrategie für das Virus darstellt."
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Fragenbank auch bei "Innovatives Österreich"
Fragen jeder Art zum Thema Wissenschaft kann man auch bei der Online-Plattform "Innovatives Österreich" stellen. Daraus entsteht eine öffentliche zugängliche "Fragenbank", die interessantesten Probleme werden an Experten zur Beantwortung weitergeleitet. Regelmäßig präsentiert das Ö1-Radio und science.ORF.at die "Frage des Monats".
->   innovatives-oesterreich.at
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Masern-Viren sind schlecht angepasst ...
"Die Masern", bringt Christian Mandl ein weniger dramatisches Beispiel, "werden durch ein evolutionär betrachtet sehr junges, noch schlecht angepasstes und daher eher gefährliches Virus hervorgerufen, das es erst mit Beginn der Viehzucht vom Rind auf den Menschen übergesprungen ist."

Hier sei die Anpassung der Viren auf den Wirtsorganismus noch nicht gut eingespielt, was immer Probleme mache, wenn eine neues Virus oder Teile davon auf den Menschen übertragen werden.
... Herpesviren hingegen gut
"Herpesviren hingegen sind auf den menschlichen Organismus bereits sehr gut angepasst, da wir sie evolutionär schon wesentlich länger mit uns herumtragen. Hier führt das hohe Maß an Anpassung und ein ganz geringer Anteil an Pathogenität zu wenig bis keinen Infektionen", erläutert Mandl.
Vogelgrippe: Mensch als (schlechter) Neo-Wirt
In speziellen Fällen wie der Vogelgrippe seien laut Mandl fast alle Influenzaviren auf die davon betroffenen Vögel optimal angepasst. Durch natürliche Mutationen könne jedoch ein hoch pathogener Stamm entstehen, der sich erst durch spezielle Umstände in der Hühnerzucht wie der künstlich hohen Dichte der Tiere wesentlich besser vermehren könne als auf natürlichem Wege.

"Die Übertragung von Hühnern auf Menschen ist für diese Virusverbreitung an sich ungeeignet, hier ist die Anpassung bisher nicht vorgesehen und daher auch für den Menschen mit Ausbruch der Krankheit verbunden", so der Wiener Influenzaexperte.
Primus Polyomavirus
Das beste Beispiel für eine ideale Anpassung und somit auch effiziente Vermehrung von Viren durch den Menschen, stellt laut Christian Mandl das Polyomavirus dar, das etwa drei Viertel aller Menschen in sich tragen ohne es zu merken.

"Diese weite Verbreitung zeigt, dass Menschen schon vor langer Zeit erstmals von diesem Virus infiziert worden sind, das heute optimal angepasst ist und innerhalb einer Sippe auch weitergegeben wird."

Das habe man nur deswegen entdeckt, da das Virus bei Menschen mit schweren Immundefekten eine tödliche degenerative Erkrankung des Gehirns auslöst, erklärt der Virologe genauer.
Lebender Wirt ist beste Überlebensstrategie
Somit sei ein Virus, das seinen Wirten zu stark schädigt, für seine eigene Vermehrung kontraproduktiv und stelle eine noch schlecht adaptierte Virus-Wirt-Beziehung dar.

Eigentlich verursachen also nur solche Viren letale Krankheiten beim Wirtsorganismus, die noch nicht Zeit genug gehabt haben sich anzupassen, bestätigen die beiden Experten gegenüber science.ORF.at.

Christoph Urbanek, 21.11.05
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