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Körperkommunikation steuert Wundheilung  
  Kleine Schnittwunden und Kratzer heilen ohne größere Probleme oder gar Arztbesuche. Der Grund dafür: Die durch die Verletzung betroffenen Zellen informieren kaskadenartig alle zur Heilung notwendigen Maßnahmen und beenden diese ebenso rasch über dasselbe Kommunikationsnetz.  
Welche Zellen, Botenstoffe und Heilungsmechanismen von diesem kaskadenartigen Kommunikationssystem zur körpereigenen Reparaturmaßnahme aktiviert und deaktiviert werden, erklären Experten für die User von science.ORF.at.

Im Rahmen von "Ask Your Scientist" erläutern sie auch, warum dieser Selbstheilungsprozess nicht immer problemlos funktioniert.
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Die Frage der Woche im Wortlaut
jarvis: "Wie kann die Haut "wissen", wann sie beim Heilungsprozess (z.B. Schnittwunde) aufhören muss nachzuwachsen?"
->   Die Frage samt User-Forum
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Kaskadenartiges Kommunikationsnetz
"Die Wundheilung ist ein sehr komplexer Prozess, der durch zahlreiche Botenstoffe und deren Rezeptoren an der Oberfläche der beteiligten Zellen gesteuert wird", erklärt Peter Fritsch, Vorstand der Innsbrucker Uniklinik für Dermatologie und Venerologie.

"Ein kaskadenartiges - also direkt aufeinander folgendes - Kommunikationsnetz informiert alle zur Wundheilung notwendigen Einheiten über eine Verletzung ebenso wie über den erfolgreichen Wundabschluss und die daraus folgende Beendigung des Heilprozesses."
Immunreaktion: Entzündungs- und Fresszellen
Aber was genau wird denn alles aktiviert? "Nach einer Schnittverletzung beispielsweise tritt Blut in die Wunde", führt der Dermatologe aus. "Es entsteht ein Fibrinkoagulum - eine Art Blutpfropf - , in dem besonders aus Thrombozyten - den Blutplättchen - Immunbotenstoffe und Wachstumsfaktoren freigesetzt werden."

Durch diese Zytokine werden Entzündungszellen (Leukozyten) und Fresszellen (Makrophagen) in die Wunde gerufen, die Bakterien und andere Krankheitserreger eliminieren und gleichzeitig selbst wieder entzündungsfördernde Immunbotenstoffe und Wuchsstoffe freisetzen.
Verhinderung von Blutvergiftung
Die Immunreaktion in Form einer Entzündung ist also ein wesentlicher Schritt in der Wundheilung, damit sich die offene Stelle wieder verschließen kann.

Erreger würden den Prozess nämlich nicht nur verhindern, sondern könnten über den Blutkreislauf auch in den restlichen Organismus gelangen und schwere Probleme bereiten - beispielsweise eine Blutvergiftung verursachen oder mit Tetanus-Bakterien infizieren.
Langsames Schließen der Wunde
Die Immunreaktion wiederum löst weitere Schritte aus. "Diese Zytokine aktivieren die Keratinozyten - die Zellen der Oberhaut - und die Fibroblasten - die Zellen der Lederhaut", so Fritsch. "Beide beginnen sich zu vermehren und die Wunde langsam zu schließen."

Die Fibroblasten produzieren gleichzeitig Kollagenfasern und die Interzellularsubstanz der Lederhaut: Damit erhält die Haut nicht nur Festigkeit, sondern auch ihre Elastizität und Strapazierfähigkeit zurück.
"Wunde wieder geschlossen, Mission erfüllt!"
Ein Teil der Fibroblasten wandelt sich unter dem Einfluss eines Signalstoffes namens TGF-ß in so genannte Myofibroblasten um. "Das sind Lederhautzellen mit Muskelfasern, die eine Kontraktion des neugebildeten Gewebes und die Annäherung der Wundränder bewirken", fügt der Dermatologe hinzu.

"Sobald die Wunde verschlossen ist, werden die Rezeptoren für die Wuchsstoffe an den Fibroblasten herunterreguliert, überschüssige Myofibroblasten und Fibroblasten sterben ab, die Synthese von Fasern und Interzellularsubstanz pendelt sich innerhalb einiger Tag und Wochen auf Normalniveau ein."

Die letzte Information lautet schließlich: "Wunde wieder geschlossen, Mission erfüllt!" (Fritsch)
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Österreichische Forschung zu Wundheilung
Ein Wissenschaftsteam vom Institut für Biomedizinische Forschung an der Medizinischen Universität Wien widmet sich intensiv den physiologischen Prozessen der Wundheilung. Anhand von Laborversuchen und Tierstudien untersuchen die Experten vor allem die Abläufe bei gestörter Wundheilung etwas bei Diabetes, Paraplegie - einer teilweisen Querschnittslähmung - oder bei älteren Menschen.
->   Mehr zur Forschungsarbeit (pdf-Datei)
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Prozess in zwei Richtungen
Der Heilprozess einer Wunde wird also auf demselben Weg und durch dieselben Signalstoffe gestoppt, wie dieser aktiviert wird.

"Wenn die Zellen der Wundränder aufeinander treffen, beginnt das Stoppmanöver. Das konnten wir auch in Laborversuchen beobachten: Wenn man eine Zellkultur gut füttert und wachsen lässt, stoppt die Zellproduktion sofort, wenn Zellen aufeinander treffen", führt der Veterinärmediziner Udo M. Losert, Leiter des Instituts für Biomedizinische Forschung der Medizinischen Universität Wien.

"Der zu enge Kontakt gesunder Zellen löst sozusagen den Produktionsstopp aus. Die Rezeptoren an der Oberfläche der beteiligten Zellen reagieren nicht mehr auf Botenstoffe. Überschlüssig gebildete Zellen sterben durch die so genannte Apoptose - ein körpereigner "Selbstmordbefehl" - wieder ab."
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Fragenbank auch bei "Innovatives Österreich"
Fragen jeder Art zum Thema Wissenschaft kann man auch bei der Online-Plattform "Innovatives Österreich" stellen. Daraus entsteht eine öffentliche zugängliche "Fragenbank", die interessantesten Probleme werden an Experten zur Beantwortung weitergeleitet. Regelmäßig präsentiert das Ö1-Radio und science.ORF.at die "Frage des Monats".
->   innovatives-oesterreich
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Fehler im System: Tumoren und Narben
Dieses interzelluläre Informationssystem funktioniert aber nicht immer reibungslos. Immer wieder bleiben die Stoppsignale aus. "Tumoren sind im Endeffekt das Resultat eines nicht durch derartige Signalstoffe gebremsten Zellwachstums", so der Wissenschaftler.

Das bekannteste Beispiel im Hautbereich ist die Narbenbildung. "Einerseits gibt es so genannte atrophe Narben, wo zu wenig Kollagen gebildet wird und die Narbe daher zu dünn ist", ergänzt Peter Fritsch. "Andererseits hypertrophe Narben, wo zuviel an Kollagen gebildet wird."

Die Extremausformung an Narbenbildung sind so genannte Keloidnarben. "Die Narben erscheinen aufgeworfen und knotig. Bei manchen Eingeborenenvölkern werden solche Keloide sogar zu Schmuckzwecken gesetzt - ähnlich einer Tätowierung", resümiert der Dermatologe.

Eva-Maria Gruber, 28.2.06
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"Ask Your Scientist": Stellen Sie auch weiterhin Fragen
science.ORF.at lädt seine User ein, im Rahmen von "Ask Your Scientist" auch weiterhin Fragen per E-mail-Adresse askyourscientist@orf.at zum Thema Wissenschaft zu stellen.
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->   Universitätsklinik für Dermatologie und Venerologie, MedUni Innsbruck
->   Institut für Biomedizinische Forschung, MedUni Wien
 
 
 
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