Ask Your Scientist
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ORF ON Science :  Ask Your Scientist :  Kosmos 
 
Das Universum ist nicht größer als erlaubt  
  Der Raum, den das Universum einnimmt, hat sich nach dem Urknall offenbar mit Überlichtgeschwindigkeit ausgedehnt. Dennoch stellt das keinen Widerspruch zur Relativitätstheorie dar, denn es handelt sich nur um eine scheinbare Bewegung.  
Anders ausgedrückt: Die Formulierungen "Bewegung im Raum" und "Expansion des Raumes" klingen zwar sehr ähnlich, sind aber aus physikalischer Sicht verschiedene Paar Schuhe. Für den ersten Fall gilt das Tempolimit aus der Relativitätstheorie, für den zweiten Fall hingegen nicht.
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Im Wortlaut: Paradox des alten Lichtes
Stellvertretend für eine Reihe anderer User zitieren wir eine Anfrage von Karheinz M., der davon ausgeht, dass die Expansion des Universums unmöglich mit Überlichtgeschwindigkeit erfolgt sein kann. Daraus ergibt sich das (scheinbare) Paradox, dass uns noch immer uraltes Licht aus den Weiten des Kosmos erreicht:

"Warum erreicht uns Licht erst heute nach 13,7 Mrd. Jahren, unser Sonnensystem kann doch den Lichtstrahlen nicht 'davongeflogen' sein. Die Expansionsgeschwindigkeit des Weltalls ist sicher wesentlich kleiner als Lichtgeschwindigkeit, sodass das Licht (einer kosmischen Explosion) die Erde wesentlich früher (als 13,7 Mrd. Lichtjahre) hätte erreichen müssen."
->   Zur Frage samt User-Forum
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Entdeckung der Rotverschiebung
Zwischen 1910 und 1920 entdeckte der US-Astronom Vesto Melvin Slipher, dass Licht, das uns von fernen galaktischen Nebeln erreicht, entweder in den Blau- oder Rotbereich verschoben ist.

Man interpretierte das zunächst als eine Art Doppler-Effekt, hervorgerufen durch die Eigenbewegung der Galaxien: So bewegt sich etwa der Andromedanebel mit rund 300 Kilometer pro Sekunde auf uns zu, während sich die Galaxienhaufen im Sternbild Jungfrau mit rund 1.000 Kilometer pro Sekunde von der Erde entfernen.
Je ferner, desto schneller
Später fand man heraus, dass der Andromedanebel offenbar eine Ausnahme darstellt: Die überwiegende Mehrzahl der Galaxien im Universum bewegt sich von uns weg - und sie tun das umso stärker, je weiter entfernt sie sind, wie der US-Astronom Edwin Hubble 1929 entdeckte.

Allerdings kommt die Rotverschiebung, wie das Phänomen später genannt wurde, nicht durch eine Eigenbewegung der Galaxien zustande. Hubbles Entdeckung wies darauf hin, dass es der Raum selbst ist, der sich ausdehnt. Seitdem gilt: Das Universum ist nicht statisch, sondern wird stetig größer - es expandiert.
->   Rotverschiebung - Wikipedia
13,7 Mrd. Lichtjahre als Obergrenze?
Das führt zur Frage: Wie groß ist das Universum nun, nachdem es seit dem Urknall 13,7 Milliarden Jahre Zeit hatte, sich auszudehnen?

Da sich laut Relativitätstheorie nichts schneller als das Licht bewegen kann, würde man intuitiv erwarten, dass die maximale Größe durch 13,7 Milliarden Lichtjahre festgelegt ist. Tatsächlich markiert diese Distanz (bzw. etwas weniger) nur den Horizont des sichtbaren Bereichs des Kosmos, den man auch Hubble-Radius nennt.
->   Hubble radius
Schätzung: Universum 78 Milliarden Lichtjahre groß
Aber dahinter gibt es noch etwas, sind die Astronomen überzeugt. Neijl Cornish von der Montana State University schätzte etwa vor zwei Jahren die minimale Größe des Universums auf 24 Gigaparsec, also rund 78 Milliarden Lichtjahre (Physical Review Letters, doi: 10.1103/PhysRevLett.92.201302 - pdf-Datei).

Das bedeutet, dass sich der Raum irgendwann mit Überlichtgeschwindigkeit ausgedehnt haben muss. Liegt hier ein Widerspruch zur Einsteinschen Relativitätstheorie vor, wie einige User von science.ORF.at vermuten?
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Fragenbank auch bei "Innovatives Österreich"
Fragen jeder Art zum Thema Wissenschaft kann man auch bei der Online-Plattform "Innovatives Österreich" stellen. Daraus entsteht eine öffentliche zugängliche "Fragenbank", die interessantesten Probleme werden an Experten zur Beantwortung weitergeleitet. Regelmäßig präsentiert das Ö1-Radio und science.ORF.at die "Frage des Monats".
->   innovatives-oesterreich.at
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Gekrümmte Lichtstrahlen
Ernst Dorfi vom Institut für Astronomie der Universität Wien warnt zunächst davor, die Frage mit naivem Realismus zu stellen. Denn das auf der Erde empfangene Licht kann auf durchaus verschlungenen Pfaden zu seinem Ziel gelangt sein:

"So wie sich der Lichtweg bei einer Fata Morgana durch die Brechung in den erwärmten Luftschichten krümmt, zeigt das Licht im Universum die Struktur, die Topologie des Raumes, da es sich auf den kürzest möglichen Wegen fortpflanzt. Je länger der Weg, umso deutlicher zeichnen sich eventuelle Krümmungen ab."
Bewegung im Raum ...
Doch auch wenn man das beherzigt, bleibt folgende Frage bestehen: Darf der Raum überhaupt so groß sein, wie er es offensichtlich ist?

Er darf, beruhigt Franz Embacher vom Institut für theoretische Physik der Universität Wien. Denn es sei ein grundlegender Unterschied, ob sich ein Objekt im Raum bewegt, oder ob es der Raum selbst ist, der sich ausdehnt.

Für den ersten Fall gelte selbstverständlich das Tempolimit der Relativitätstheorie. Hier könne man eine Geschwindigkeitsmessung vornehmen, brauche aber ein lokales Bezugssystem: "Wenn man zum Beispiel das Tempo eines Autos mit einer Stoppuhr bestimmt, dann ist das Bezugssystem eben die Straße", so Embacher.
... und Expansion des Raumes
Die Expansion des Raumes sei hingegen ein globales Phänomen: "Hier vergrößern sich die Abstände zwischen Galaxien, ohne dass sich diese selbst bewegen. Man kann sich das so vorstellen, dass gewissermaßen ein Stück Raum zwischen die Galaxien geschoben wird."
Analogie: Gravitationswellen
Liegt hier also ein Widerspruch zur Relativitätstheorie vor? Keineswegs, meint Embacher. Die Theorie selbst sage etwa die Existenz von Gravitationswellen, also Krümmungsstörungen der Raumzeit voraus, die mit dem geschilderten Fall durchaus etwas gemeinsam haben:

"Wenn beispielsweise eine Gravitationswelle durch ein Raumelement läuft, dann verändern sich kurzfristig die Abstände zwischen den dort befindlichen Objekten. Dabei erfahren sie aber keine Beschleunigung."

Ganz ähnlich dürfen sich laut Embacher die Galaxien im Weltraum mit gutem Recht als ruhend bezeichnen, auch wenn sich die Abstände zwischen ihnen stetig vergrößern.
->   Gravitationswelle - Wikipedia
Kein Verbot, keine Paradoxien
Gleichlautend äußert sich auch Neijl Cornish, der gegenüber der Website space.com eine ähnliche Frage beantwortete (Artikel): "Die Galaxien selbst bewegen sich nicht durch den Raum (oder nur in geringem Ausmaß). Aber der Raum wächst, so dass es scheint, also bewegten sie sich voneinander weg."

"Es gibt nichts in der Speziellen oder Allgemeinen Relativitätstheorie, das diese scheinbare Bewegung auf die Lichtgeschwindigkeit beschränkt. Durch diesen Mechanismus können jedoch keine Signale mit Überlichtgeschwindigkeit gesendet werden - er führt daher zu keinen Paradoxien."

[science.ORF.at, 27.3.06]
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