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Stress und Zellstress hängen nur lose zusammen  
  Hat körperlich empfundener Stress etwa mit dem so genannten Zellstress tun? Ja und nein: Beide sind einander insofern ähnlich, als sie physische Reaktionen auf störende Einflüsse darstellen, wobei im einen Fall das Hormonsystem des Körpers, im anderen Fall die Proteinsynthese in lebenden Zellen reagiert. Diese Phänomene treten allerdings relativ unabhängig voneinander auf.  
Will man eine Verbindung zwischen körperlichem und zellulärem Stress herstellen, dann bietet sich am ehesten ein Blick in den so genannten Hippocampus an: Die Neuronen dieses Gehirnbereichs werden nämlich durch die übermäßige Ausschüttung von Stresshormonen zerstört.
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Die Frage der Woche im Wortlaut:
Dirk S..: "Wie wirkt sich Stress auf die Fähigkeit der menschlichen Zellen aus, optimal zu funktionieren?"
->   Zur Frage der Woche samt User-Forum
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Zustand der Anspannung
Das deutsche Wort "Stress" wurde aus dem Englischen importiert, wobei es dort ursprünglich den Zustand eines Materials beschreibt, das unter Zug oder Druck steht. Das passt auch ganz gut zu seiner (medizinischen) Bedeutung im Deutschen: Stress ist ein Zustand besonderer psychischer und körperlicher Anspannung.

"Der menschliche Körper reagiert auf jegliche Art von Stress mit dem Versuch, sich möglichst schnell auf die neue Situation einzustellen" so Hans Goldenberg, Leiter des Instituts für Medizinische Chemie der Uni Wien gegenüber science.ORF.at:

"Durch ein komplexes Wechselspiel von Hormonreaktionen hat unser Organismus ein leistungsfähiges System geschaffen, das in kürzester Zeit ein hohes Maß an Energie zur Verfügung stellt."
Stressoren
Kurz gesagt ist mit Stress eine kompensatorische Anpassungsleistung des Organismus auf äußere Anforderungen, so genannte Stressoren, gemeint.

Davon gebe es sowohl auf Zellbasis als auch im physisch-psychischen Zusammenspiel beim Menschen laut Goldenberg eine Unzahl - wie etwa Kälte, Schwermetalle, UV-Licht, Trockenheit, pH-Wert-Änderungen oder freie Radikale.

"Aber auch elektromagnetische Felder stehen mittlerweile unter Verdacht, in Zellen durch Stress induzierte Proteinsynthese zu bewirken" so der Medizinische Chemiker.
Menschliche Stresshormone
Bernd Binder, Leiter des Instituts für Gefäßbiologie und Thromboseforschung in Wien, erklärt gegenüber science.ORF.at, dass psychische Stressoren beim Menschen zur Ausschüttung des Hormons Cortisol führen:

"In Sekundenbruchteilen bringen die Nebennierenhormone Atmung, Kreislauf, Muskulatur und Stoffwechsel auf Hochtouren. So pumpt das Herz zum Beispiel mehr Blut in die Muskeln und deckt deren erhöhten Zucker- und Sauerstoffbedarf. Ein längeres Anhalten dieser erhöhten Cortisolproduktion ist aber gesundheitsschädlich und entspricht dem, was unter Distress verstanden wird."

"Beim Eustress, dem sogenannten 'guten' Stress, hingegen sind biochemisch gesehen Adrenalin beziehungsweise Noradrenalin die Hauptakteure, was sich in weiterer Folge positiv auf die Ausschüttung der sogenannten Glückshormone wie Endorphin und Serotonin auswirkt", so Binder weiter.
->   Stresshormon - Wikipedia
Rückkoppelungseffekt im Hippocampus
Zwischen der hormonellen Stressreaktion und dem Zustand einzelner Zellen gebe es zumindest eine direkte Verbindung, wie Binder ausführt: Je länger der Stress andauert, um so mehr Neuronen werden durch Cortisol im Hippocampus zerstört.

Das führt zu einer Art Selbstverstärkung: Wegen des Verlusts an Nervenzellen ist der Hippocampus nämlich im Lauf der Zeit überfordert, die von ihm selbst initiierten Reaktionen zu dämpfen. Das große Problem dabei liegt also darin, dass das Gehirn nicht nur der Ausgangspunkt, sondern auch ein wichtiges Zielorgan dieser Stressreaktion sei, so Binder.
->   Hippocampus - Wikipedia
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Fragenbank auch bei "Innovatives Österreich"
Fragen jeder Art zum Thema Wissenschaft kann man auch bei der Online-Plattform "Innovatives Österreich" stellen. Daraus entsteht eine öffentliche zugängliche "Fragenbank", die interessantesten Probleme werden an Experten zur Beantwortung weitergeleitet. Regelmäßig präsentiert das Ö1-Radio und science.ORF.at die "Frage des Monats".
->   innovatives-oesterreich
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Hitzeschockproteine schützen Zellen
Das heute gut bekannte Phänomen "Zellstress" geht auf eine Entdeckung am Anfang der 60er Jahre zurück, die zunächst als "Hitzeschock-Antwort" bezeichnet wurde.

Dabei handelt es sich um die Tatsache, "dass Zellen aller Art, von Bakterien bis zu Säugetierzellen, typischerweise auf eine Temperaturerhöhung mit der Synthese einer bestimmten Molekülklasse, so genannten Hitzeschockproteinen, reagieren, die das Überleben der Zelle unter diesen extremen Bedingungen fördern", so Binder.

Zellen reagieren laut den beiden Experten auf eine ganze Reihe von Stressfaktoren mit der vermehrten Produktion dieser Hitzeschockproteine, so zum Beispiel auf Metalle, Alkohol und eine Reihe von Stoffwechselgiften. Daher werde heute eher der Begriff "zelluläre Stressantwort" beziehungsweise "Stressprotein" verwendet.
Funktionierende Proteinsynthese durch Chaperone
Binder präzisiert: "Die wichtigste Gruppe der Hitzeschockproteine sind die molekularen Chaperone, die auch unter normalen Bedingungen eine essenzielle Rolle beim Transport, der Translokation, der Faltung und dem Zusammenbau von Proteinen spielen. Sie werden aber unter Stress verstärkt gebildet, wenn vermehrt fehlgefaltete Proteine in der Zelle auftreten."

Klassischer Zellstress hervorgerufen durch eine Temperaturerhöhung von 37 Grad Celsius auf etwa 42 Grad Celsius habe die vermehrte Bildung gerade dieser Hitzeschockproteine zur Folge.

"Sie entfernen die durch die Hitze schlecht gefalteten Proteine und sorgen so wieder für eine funktionierende Proteinsynthese, die für die Zelle lebensnotwendig ist", erklärt der Wiener Gefäßbiologe.
->   Hitzeschockprotein - Wikipedia
Parallel entstandene Stressreaktionen
Physiologischer Stress und Zellstress seien zwar analoge, aber letztlich unabhängige Prozesse, die schädlichen Einflüssen begegnen, so Binder: "Eigentlich sind der klassische Zellstress und die durch Hypothalamus, Hypophyse und Nebennierenrinde gesteuerten Reaktionen parallel entwickelte Wege, um auf Stress zu reagieren."

Christoph Urbanek, 30.4.06
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