Ask Your Scientist
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Höherer Wasserpegel erzeugt tiefere Töne im Glas  
  Die meisten Web-User lagen bei der Beantwortung der aktuellen "Ask your Scientist"-Frage richtig: Rotierende Flüssigkeiten verändern tatsächlich den Ton beim Anschlagen eines Glases. Der Grund dafür: Durch das Rühren steigt der Flüssigkeitspegel am Glasrand. Das Glas - die eigentliche Schallquelle - wird dadurch mehr gedämpft, die Frequenz der erzeugten Schwingung niedriger.  
Die erzeugte Schwingung breitet sich als Schall über die Luft bis zu unserem Gehör aus und wird als Ton wahrgenommen. Die Schlussfolgerung: Ein Sturm im Glas bedeutet einen tieferen Ton.

Die grundlegende Physik hinter den tiefen Tönen beim Sturm im Wasserglas ist also klar. Warum die ganze Sache dann doch nicht so einfach ist und wieso bei der experimentellen Überprüfung des Phänomens auf viele Faktoren geachtet werden muss, erklären Experten für die User von science.ORF.at.
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Die Frage im Wortlaut
Bruno S.: Vor kurzem fiel mir auf, dass die Geräusche, die ein Löffel in einem Glas mit Wasser macht, während man damit umrührt, tiefer klingen, je schneller die Flüssigkeit rotiert. Hört man auf zu rühren und schlägt trotzdem gegen das Glas, werden die Töne immer höher, bis die Flüssigkeit wieder ruht. Wie ist dieses Phänomen zu erklären?
->   Frage der Woche samt User-Forum
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Mehr Flüssigkeit, höhere Trägheit
"Prinzipiell gibt nicht die Flüssigkeit den Ausschlag für die Tonerzeugung an sich, sondern das Glas als Schwingungsquelle", erläutert Martin Gröschl vom Institut für Allgemeine Physik an der TU Wien.

"Die Flüssigkeit bestimmt aber mit, wie stark oder schwach das Glas in Schwingung geraten kann. Denn mehr Flüssigkeit bedeutet auch mehr zusätzliche Masse an der Glaswand und damit höhere Trägheit des Glases beim Schwingen. Je weniger das Glas durch den Anschlag mit dem Löffel zum Schwingen gebracht wird, also je niedriger die Frequenz ist, desto tiefer ist auch der Ton."
Schallquelle Glas
Die Quelle der erzeugten Schwingung ist das Glas: Durch das Anschlagen wird das Glas an dieser Stelle etwas ausgelenkt, bis es durch die Rückstellkräfte wieder in seine Ausgangslage gebracht wird.

Dabei "schießt" das Glas - aus Trägheit - über das Ziel hinaus, bewegt sich wieder zurück und schwingt kurz hin und her. Die entstandene Schwingung ist sogar auf der Wasseroberfläche als Wellenbewegung zu sehen. Über die Luft breiten sich die Schwingungen als Schall aus und erzeugen einen Ton.
Wasser-Rotation führt zu weniger Schwingungen
Wird eine Flüssigkeit im Glas zum Rotieren gebracht, wird diese auf Grund der entstehenden Zentrifugalkraft - und nicht Zentripetalkraft, wie Webuser "agentbluescreen" meint - nach außen und somit an der Glaswand nach oben gedrückt und der Wasserpegel steigt.

Damit wird die Trägheit des Glases erhöht und die Frequenz (=Tönhöhe) der Schwingung wird geringer.

Beruhigt sich die Flüssigkeit wieder, sinkt der Wasserpegel am Glasrand. Der akustische Prozess dreht sich wieder um: Je weniger Trägheit bei der Schallquelle, desto höher der Ton.
Keine Frage des Dopplereffekts
Mit dem Dopplereffekt hat das Phänomen übrigens nichts zu tun, wie die Webuser "albundyfan" und "supersauger" vermuten: Sowohl die Schallquelle, das Glas, als auch der Beobachter befinden sich in Ruhe.

Damit der Dopplereffekt wirksam werden kann, muss sich aber einer der beiden in relativer Bewegung zum Medium - der ruhenden Luft - befinden.
Galilei und Franklin: Berühmte Wasserglas-Musikanten
Diese Form der Tonerzeugung ist übrigens weder ungewöhnlich, noch neu - vom Anschlagen von Wassergläsern über das Tönen durch Reiben an den Glasrändern.

Bereits Galileo Galilei bewunderte 1623 in seinem "Saggiatore" jemanden, "Der mit der Fingerkuppe den Rand eines Glases reibend, ihm einen wunderbar zarten Ton entlockte".

Und der Erfinder des Blitzableiters, Benjamin Franklin, entwickelte 1761 die so genannte Glasharmonika. Das von Webuser "rolling mill" erwähnte "Wasserglas-Xylophon" ist eine Variante der Glasharmonika.
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Glasharmonika
Ein von Benjamin Franklin entwickeltes Friktionsinstrument - ein Instrument, das durch Reiben zum Klingen gebracht wird. Zur Tonerzeugung dienen verschieden große, ineinander geschobene Glasglocken, die auf einer gemeinsamen waagrechten Achse lagern, die durch ein Pedal in Rotation versetz wird. Gespielt wird die Glasharmonika durch das Berühren der Glockenränder mit einem feuchten Finger.
->   Mehr zur Glasmusik
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Andere Materialien ...
Was ist nun, wenn man statt eines Weinglases, ein Kaffeehäferl verwendet? Oder, wenn man statt Wasser, Kaffee mit Milch nimmt? Oder gar eine kohlensäurehaltige Flüssigkeit wie Cola? Oder wenn man mit dem Löffel fester anschlägt?

Ändert die Ausgangslage das Ergebnis? Spielt es eine Rolle, ob ich Porzellan statt Glas verwende?
... ändern nichts am Ergebnis
"Für den prinzipiellen Versuch zum Nachweis des Phänomens sind diese Änderungen unerheblich", so Gröschl. "Zwar ändert sich die Akustik, aber die Physik dahinter bleibt wohl im Wesentlichen dieselbe." Für das wissenschaftliche Experiment hingegen sind diese Faktoren entscheidende Parameter.

"Ein Versuch muss nämlich reproduzierbar sein, also müssen die Bedingungen, unter denen experimentiert wird, ebenso wie die Parameter wie Material, Form und Größe des Glases, die Art der Flüssigkeit, aber auch die Temperatur und eventuell in der Flüssigkeit vorhandene Schwebstoffe darin klar definiert werden", führt der Experte aus.
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Fragenbank auch bei "Innovatives Österreich"
Fragen jeder Art zum Thema Wissenschaft kann man auch bei der Online-Plattform "Innovatives Österreich" stellen. Daraus entsteht eine öffentliche zugängliche "Fragenbank", die interessantesten Probleme werden an Experten zur Beantwortung weitergeleitet. Regelmäßig präsentieren das Ö1-Radio und science.ORF.at die "Frage des Monats".
->   innovatives-oesterreich.at
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Experimentelle Überprüfung steht bevor
Darauf wird wohl auch Werner Gruber achten. Der Experimentalphysiker von der Uni Wien wagt sich nämlich an die experimentelle Überprüfung der physikalischen Prozesse beim "Sturm im Wasserglas".

Die Ergebnisse der aktuell laufenden Untersuchung, die extra für die Serie "Ask your Scientist" durchgeführt wird, liefert uns der "Experte für die Physik von Alltagsphänomenen" exklusiv in den nächsten Tagen! Man darf gespannt sein. Fortsetzung folgt ...

Eva-Maria Gruber, 29.5.06
->   Martin Gröschl, TU Wien
->   Werner Gruber, Uni Wien
->   Mehr Infos zur Physik der Schwingung (Wikipedia)
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"Ask Your Scientist": Stellen Sie auch weiterhin Fragen
science.ORF.at lädt seine User ein, im Rahmen von "Ask Your Scientist" auch weiterhin Fragen zum Thema Wissenschaft zu stellen. Schreiben Sie uns Ihre Fragen unter der E-mail-Adresse askyourscientist@orf.at.
->   So funktioniert "Ask Your Scientist"
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