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Eigenwillige Chemie bestimmt Schnee-Symmetrie  
  Ob tatsächlich kein Schneekristall dem anderen gleicht, ist noch nicht endgültig geklärt. Klar ist allerdings, worin die beeindruckende Symmetrie des gefrorenen Wassers ruht: Verantwortlich ist die eigenwillige Chemie von H2O.  
Durch die winkelige Form des Moleküls, die Verteilung der elektrischen Ladungen innerhalb der chemischen Verbindung ebenso wie durch das Phänomen der Wasserstoff-Brückenbindung ordnen sich die Moleküle stets in einem sechseckigen Muster an. Auf Grund der gleichen Wachstumsbedingungen entwickeln sich die sechs Ecken oder Arme zeitgleich und sehr ähnlich.

Die ausgeprägte Symmetrie, die bei Schneekristallen zu einer hohen Selbstähnlichkeit führt, haben diese zu Paradebeispielen der fraktalen Geometrie gemacht. Welche chemischen Regeln dahinter stecken, erklären Experten im Rahmen von "Ask Your Scientist".
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Die Fragen der Woche im Wortlaut
Otto B.: Was bewirkt, dass bei einer Schneeflocke die sechs "Arme" (oder Äste?) zumeist recht ähnlich strukturiert sind? Was verhindert, dass jeder Arm ganz anders aussieht? Da die (einander entsprechenden) Verzweigungen jedes Armes ein wenig unterschiedlich weit weg vom Zentrum entstehen, werden wohl Zufälle eine Rolle spielen. Warum aber führen diese Zufälle nicht zu sechs völlig verschiedenen Strukturen? Wo liegt die Grenze zwischen Zufall und Notwendigkeit? Anders ausgedrückt: Wenn beim Wachstum einer Schneeflocke ein H2O-Molekül nach dem anderen angelagert wird: Was löst dann bei allen sechs Armen (mehr oder weniger) zeitgleich ähnliche Verzweigungen aus?
->   Fragen der Woche samt Userforum
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Kaltes Wasser friert um Staubteilchen
"Prinzipiell entsteht Schnee, wenn sich in den Wolken - den Geburtsstätten der winzigen Kristalle - feinste Tröpfchen von unterkühltem Wasser an Kristallisationskeime, wie beispielsweise Staubteilchen, anlagern und dort gefrieren oder wenn sich die gasförmigen Wassermoleküle direkt an ein Kristallgitter anlagern", erläutert der Meteorologe und Schneeforscher Michael Kuhn vom Innsbrucker Institut für Meteorologie und Geophysik.
Kristallform hängt von Temperatur und Luftfeuchtigkeit ab
Je nach der in den Wolken vorherrschenden Temperatur und der Luftfeuchtigkeit bilden sich die H2O-Moleküle zu verschiedenen Formen aus.

"Die Form der Schneekristalle wird dadurch bestimmt, dass bei verschiedenen Temperaturen der Anbau von gasförmigen H2O-Molekülen eine bestimmte Richtung (Achse) im Kristall bevorzugt", so der Wissenschaftler gegenüber science.ORF.at.

"Das Grundprinzip ist dabei, dass die gesamte Oberflächenenergie des Kristalls möglichst niedrig bleibt. Das ist auch der Grund, warum Tropfen nahezu kugelförmig sind. Wir sehen das auch in ganz anderen Bereichen der Natur - Laubbäume wachsen kugelförmig, damit sie optimal das Sonnenlicht zur Photosynthese ausnützen können."
Bei minus 40 Grad enden Gesetzmäßigkeiten
Bei einer gegebenen Temperatur wachsen also Schneekristalle in einer bevorzugten Richtung schneller als in andere Richtungen: Bei wenigen Graden unter Null finden wir meist längliche, nadelförmige Kristalle, bei tieferen Temperaturen plattenförmige und im Bereich um minus 15 Grad Celsius die hexagonalen Dendriten, die wir als "die Schneesterne" bezeichnen.

Wird es noch kälter, folgen die Formen spiegelbildlich bis zu ca. minus 40 Grad Celsius, wo die Gesetzmäßigkeit der Formen aufhört.
Gibt es doch identische Schneekristalle?
Webuser "fenris79" führt den Ursprung der Formenvielfalt richtig aus: "Ist es sehr kalt und die Luftfeuchtigkeit sehr hoch, entstehen hohle Prismen - das sind sechseckige Säulen, die innen hohl sind. Bei höheren Temperaturen und gleicher Luftfeuchtigkeit entstehen aus den Plättchen sehr komplexe Sterne. Kommt ein hohles Prisma auf seinem Weg zur Erde plötzlich in eine wärmere Zone, kann auch aus ihm noch ein sternartiges Gebilde entstehen. Weil jedes Kristall seinen eigenen Weg zur Erde zurücklegt und sich schon kleinste Schwankungen von Temperatur und Wassergehalt der Luft auf die Gestalt des Plättchens auswirken, sieht jedes Schneekristall anders aus."

Eine meteorologische Begebenheit, die viel zur allgemeinen Annahme beträgt, dass es keine zwei identischen Schneekristalle gibt - ein Phänomen, für das es bis heute keinen wissenschaftlich fundierten Beweis gibt.

Kuhn meint allerdings: "Dass ein Schneekristall dem anderen gleicht, kommt so selten vor, wie dass sich zwei Menschen gleichen."
Chemie der Wassermoleküle macht Symmetrie
Die Symmetrie der Schneekristalle hingegen lässt sich recht gut erklären. "Diese kann man aus der besonderen Chemie des Moleküls und den daraus entstehenden Eigenschaften ableiten", führt Kuhn aus.

"Ein Wassermolekül hat ein permanentes elektrisches Dipolmoment, das sich auf Grund des speziellen Winkels der beiden Wasserstoffatome zum Sauerstoffatom und seinen freien nichtbindenden Elektronenpaaren ergibt.

Außerdem können die Wasserstoffatome mit anderen Wasserstoffatomen so genannte Wasserstoff-Brückenbindungen eingehen. All diese Eigenschaften sind die Voraussetzung, dass sich die Wassermoleküle in dieser klassischen symmetrischen hexagonalen - sechseckigen - Form anlegen."
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Wie es genau zum elektrischen Dipolmoment kommt und warum die Dichteanomalie von Wasser ebenfalls auf die Wasserstoff-Brückenbindungen zurückzuführen ist, ist bei Wikipedia nachzulesen:
->   Die Geheimnisse des Wassermoleküls
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Auch Länge der Kristallarme gleich
Warum haben alle Schneekristalle gleichlange Arme? "Ihr Wachstum in bestimmten Kristallachsen wird von der Diffusion von gasförmigen H2O-Molekülen (Wasserdampf) zur Kristalloberfläche bestimmt, die Diffusion hängt von den Unterschieden der Wasserdampfkonzentration (Gradienten des Dampfdrucks) ab", erklärt Kuhn.

"Weil diese Konzentration in der Nähe eines Kristalls gleich verteilt ist, haben alle Kristallarme die gleiche Chance weiter zu wachsen. Weil sie alle die gleiche Temperatur haben, wachsen sie alle in der gleichen Form."
Ein Praxistipp zum Kristall-Schauen
Übrigens ist es gar nicht so schwer, einen tieferen Einblick in eine Schneeflocke und ihre einzigartige Kristallform zu bekommen, wenn man sich an die Vorgaben von Michael Kuhn hält:

"Man benötigt ein schwarzes Blatt Papier oder eine dunkle Jacke, eine Lupe und das Glück, dass es möglichst dicke Flocken schneit", so der Wissenschaftler.

"Dann braucht man die Flocken eigentlich nur auf dem dunklen Untergrund aufzufangen und durch das Vergrößerungsglas zu betrachten." In diesem Sinne bleibt nur zu hoffen, dass es doch recht bald schneit.

Eva-Maria Gruber, 26.12.06
->   Fakten zur Schneeproduktion (Snowmakers SMI)
->   Mehr zu Schnee und Schneekristallen (Wikipedia)
->   Die Formenvielfalt der Schneekristalle
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