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ORF ON Science :  Ask Your Scientist :  Umwelt und Klima 
 
Klimawandel: Eine Frage des Zeitraums  
  Dass sich das globale Klima erwärmt, ist unbestritten. Bei der Suche nach den Gründen dafür gilt es, natürliche von menschlich verursachten zu unterscheiden. Die Schlüsselfrage ist der Zeitraum, in dem sich das Klima nachweisbar verändert hat.  
Auch wenn diese Frage bei den verschiedenen Erklärungsansätzen oft unterschätzt wird - was sich auch in der Frage unserer Userin Andrea L. widerspiegelt -, so ergibt erst das Zusammenspiel von kurz- und langfristigen Einflüssen das aktuelle Klima mit seinen Extremereignissen.
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Die Frage der Woche im Wortlaut:
Andrea L.: "Der Mensch ist am Klimawandel schuld, liest man heute in jeder Tageszeitung. Andererseits gab es doch vor einigen Jahren einige andere Kandidaten, die als Verursacher des Klimawandels diskutiert wurden. Z.B. die Sonnenflecken oder Vulkane. Was ist daraus geworden?"
->   Zur Frage der Woche samt User-Forum
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Hundert, tausend oder hunderttausend Jahre?
"Je nachdem, wie eine Frage über Klimaänderungen in ihrer zeitlichen Dimension gestellt wird, bekommen Sie eine andere Antwort", meint Wolfgang Seiler, Leiter des Instituts für Meteorologie und Klimaforschung in Garmisch-Partenkirchen, gegenüber science.ORF.at.

Es müsse zuerst festgemacht werden, ob wir über einen Zeitraum von hundert, tausend, hunderttausend Jahren oder mehr sprechen, um aussagekräftige Erklärungen zu erhalten.
Normaler Wechsel von Kalt- und Warmzeiten
Denn einen Wechsel von Kalt- und Warmzeiten habe es schon immer gegeben, wie wir aus über 450.000 Jahre alten Eiskernen der Antarktis wissen, so der Klimaexperte. Das Verhältnis von Wasser- und Sauerstoffisotopen in eingeschlossenen Luftblasen im Eis lässt Rückschlüsse auf die damalige Konzentration der Treibhausgase Kohlendioxid, Methan und Distickstoffoxid zu.

"Entsprechend den stark temperaturabhängigen Kondensations- und Verdunstungsraten, schwankt auch das Sauerstoffisotopenverhältnis O18 zu O16 in diesen arktischen Eisschichten. Über dieses Verhältnis lassen sich die damaligen bodennahen Lufttemperaturen sehr genau ermitteln. So ergeben sich nachgewiesene Temperaturunterschiede zwischen Kalt- und Warmzeiten von vier bis fünf Grad Celsius", erläutert der deutsche Klimaforscher.
Temperaturerhöhung 30 Jahre lang bereits fix
Der brisanteste Aspekt dieser Temperaturunterschiede aus Seilers Sicht: In den letzten 140 Jahren ist genau dieses Temperaturmittel um 0,9 Grad Celsius gestiegen.

Und weil das Klimasystem der Erde sehr träge reagiere, wie auch User "equilib" gepostet hat, müssen wir noch 0,5 Grad Celsius dazu addieren - eine unvermeidbare Erhöhung, die sich in den nächsten 30 Jahren durch die bereits ausgestoßenen Treibhausgase ergeben wird.

"Eine erhebliche Klimaänderung, die für die Menschheit wohl nicht mehr tolerierbar ist, bahnt sich an, denn bereits bei einer Erwärmung um zwei Grad Celsius wäre es wärmer als in jeder Warmphase während der etwa letzten zwei Millionen Jahre", so Seiler.
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Vom 21. bis 27. Jänner 2007 findet im ORF der Themenschwerpunkt Klimawandel statt. TV, Radio und Internet bieten dabei umfangreiche Informationen und Service zum Thema.
->   Themenschwerpunkt Klimawandel
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Abhängigkeit von Sonnenstrahlen unabänderlich
Wenn man das Klimasystem der Erde über mehrere tausend Jahre betrachtet, so muss die Änderung der Sonnenstrahlung ins Treffen gebracht werden, die es schon immer gegeben hat. So gilt mittlerweile als gesichert, dass der Wechsel von Kalt- und Warmzeiten durch die Planetenstellung zumindest beeinflusst wird.

Dazu Seiler: "Die Energieabstrahlung der Sonne soll einem Rhythmus von kurzfristigen, etwa alle elf Jahre wiederkehrenden Schwankungen unterworfen sein, die wahrscheinlich von einem längeren etwa hundertjährigen Zyklus überlagert werden."

Zwar wäre so die Temperaturerhöhung in den letzten hundert Jahren zu erklären, die meisten der neueren Publikationen gehen allerdings laut Seiler davon aus, dass sie nur zu einem geringen Teil auf die Solarstrahlungen zurückzuführen ist. Der größte Unsicherheitsfaktor der wissenschaftlichen Beweisführung sei es, aus 30jährigen Zeitreihen Rückschlusse auf hundert bis tausend Jahre zu ziehen, räumt Seiler ein.
Von Menschen beeinflusster Strahlungshaushalt
Völlig sicher ist es hingegen, dass die kurzwellige Sonnenstrahlung in Wärmestrahlung umgewandelt und teilweise reflektiert wird, sobald sie auf die Erdoberfläche auftrifft. So herrscht zwischen eingestrahlter und ausgestrahlter Energie eine für die Erdoberfläche optimierte Energiebilanz, die das Klima ganz wesentlich beeinflusst.

Genau diesen Strahlungshaushalt beeinflusst der Mensch massiv: einerseits durch die Veränderungen der Erdoberfläche mittels Abholzen, Verbauung und Bewirtschaftung, andererseits durch das vermehrte Ausstoßen von Treibhausgasen in der Atmosphäre.
Höher gelegene Stratosphäre wird kälter
Da die so in höherer Konzentration auftretenden Moleküle der Treibhausgase mehr Wärmestrahlung aufnehmen, wird mehr Wärmeenergie sowohl nach oben als auch nach unten abgegeben. Wie schon das Schlagwort Treibhauseffekt ausdrückt, wird Wärmeenergie in der bodennahen Troposphäre zunehmend festgehalten und in der Stratosphäre abgegeben.

Diese Veränderungen sind bereits messbar: "In der Stratosphäre, also in einer Höhe von etwa 18 bis 25 Kilometern, wird die Temperatur bereits seit 1945 mit Sonden gemessen. Die Messungen zeigen, dass die Temperatur in der höher gelegenen Stratosphäre in den letzten 40 Jahren bereits um zwei Grad Celsius abgenommen hat," so Seiler.
Vulkanische Aktivität nur kurzfristiger Faktor
Ein beliebtes Argument unserer User-Gemeinde ist der Verweis auf vulkanische Aktivität, die das Klima ganz natürlich beeinflusst. Seiler dazu: "Intensive vulkanische Aktivität kann die Sonneneinstrahlung auf die Erde vermindern. Aschepartikel werden dabei bis in die Stratosphäre befördert und führen bei entsprechend großer Ausdehnung zu einer Abkühlung der Erdoberfläche. Einbrüche in der globalen Temperaturkurve der Erde um etwa 0,2 bis 0,5 Grad Celsius waren auch in jüngster Vergangenheit bei den großen Ausbrüchen des Krakatau 1883 oder des Pinatubo 1991 messbar."

Durch das relativ hohe Gewicht der vulkanischen Partikel sinken diese aber wieder von der Stratosphäre in die Troposphäre ab und nach etwa fünf Jahren erreicht die Konzentration der Aerosole wieder ihr Ausgangsniveau.

Vulkane können somit zwar intensiv, aber nur kurzfristig Einfluss auf das Erdklima nehmen. Eine langfristige Abhängigkeit des Klimas hingegen könne nur bei laufend intensiven Ereignissen gegeben sein.
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Niederschläge immer extremer
Der gerade erst über Europa gezogene Orkan Kyrill ist laut Seiler zwar kein Beweis für die Häufung klimatischer Extremereignisse, passe aber definitiv in einen generellen Trend saisonaler Umverteilung des Niederschlaggeschehens: Bei gleichen Jahresmengen wird der Regen zunehmend auf weniger Tage verteilt werden.
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Hauptfaktor Mensch
Nach Seilers Schätzung gehen 60 bis 70 Prozent der Klimaerwärmung auf den Faktor Mensch zurück. Ein Indiz dafür sei beispielsweise der Anstieg von Kohlendioxid von 250 parts per million (ppm) auf 400 ppm alleine in den vergangenen 40 Jahren.

Darüber hinaus verlaufe der weitere Anstieg dieses Treibhausgases exponenziell. Bis zum Jahr 2030 sieht Seiler in seinen Prognosen einen Anstieg um noch einmal 50 Prozent der heutigen Konzentration von Kohlendioxid in der Atmosphäre.
Plädoyer für interdisziplinäre Erklärungen
"Die Krux an schlüssigen Klimatheorien ist, dass jeder wissenschaftliche Fachbereich seine Theorie dazupacken möchte. Was aber rundherum passiert, wird oft nicht miteinander verbunden.

Wechselwirkungen zwischen Vegetation, Niederschlag oder etwa dem Strahlungshaushalt bilden ein derart komplexes System, das keine einzelne Theorie erklären, sondern wenn überhaupt nur ein fachübergreifender Erklärungsansatz in Grundzügen erfassen kann", schließt der deutsche Klimaexperte.

Christoph Urbanek, science.ORF.at, 26.1.07
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