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Die Physik des Sonnenuntergangs  
  Das Abendrot ist eine Naturerscheinung, die nicht nur aufgrund ihrer ästhetischen Qualitäten beeindruckt. Aus Sicht der Alltagsphysik stellt sich zum Beispiel die Frage, warum die auf- bzw. untergehende Sonne rot und nicht andersfarbig strahlt. Nach Ansicht der Experten können dafür verschiedene Erklärungsansätze herangezogen werden: Je nach Begründungsebene kann man die Farbe des Himmels durch Beugungs- oder Streuungsphänomene erklären.  
Im Rahmen der Serie "Ask Your Scientist" wurde außerdem gefragt, warum die Sonne am Horizont größer als untertags erscheint.

Die überraschende Antwort: Sie erscheint mitunter aus psychologischen Gründen größer, ist es aber nicht. Allerdings weist sie manchmal eine abgeplattete Form auf: Hier spielt ein Effekt eine Rolle, der als "Refraktion" oder Lichtbrechung bezeichnet wird.

science.ORF.at holte zur Beantwortung dieser Fragen die Expertenmeinung von Josef Tomiska von der Universität Wien sowie von Helmut Rott von der Universität Innsbruck ein.
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Die Fragen der Woche im Wortlaut
Bernhard F.: Warum ist die Sonne beim Auf- bzw. Untergehen rot? Also ich hab mir das so erklärt, dass die oberflächennahen Luftschichten dichter sind als die höher gelegene Luft. Und deswegen werden die kurzwelligen Anteile des Lichts herausgefiltert und nur die roten Anteile erreichen das Auge des Beobachters. Aber warum ist das so?
michael1505: Warum scheint bei manchen Sonnenuntergängen am Horizont die Sonne größer?
Beata H. : Warum erscheint die aufgehende oder untergehende Sonne viel größer als sie zu Mittag ist?
->   Zu den Fragen der Woche
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Sonnenlicht besteht aus verschiedenen Wellen
Die Fragen der Woche lassen sich in die Kategorie "optische Erscheinungen der Atmosphäre" einordnen. Dabei ist es sinnvoll, zunächst das Sonnenlicht zu beschreiben und dann zu den Beugungsphänomenen in der Atmosphäre überzugehen.

Das weiße Sonnelicht wird von Physikern als "polychromatisch" bezeichnet. Dieser Begriff sagt aus, dass das sichtbare Sonnenlicht aus einer Vielzahl unterschiedlicher elektromagnetischer Wellen besteht.

Diese Wellen haben verschiedene Frequenzen (bzw. Wellenlängen), die wir wiederum als Farben wahrnehmen.
Zwei Möglichkeiten der Licht-Zerlegung
Wie kann man nun das Sonnenlicht in seine Bestandteile zerlegen? "Das ist im Prinzip auf zwei Arten möglich", erklärt Josef Tomiska vom Institut für physikalische Chemie der Universität Wien:

"Zum einen durch die so genannte Lichtbrechung, etwa an einem Glasprisma. Hier ist entscheidend, dass die Farbe Rot am wenigsten, die Farbe Blau hingegen am stärksten gebrochen wird."
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Brechung
Als Brechung oder Refraktion bezeichnet man die Änderung der Ausbreitungsrichtung einer Welle beim Übergang von einem Medium in ein zweites, in dem die Welle eine andere Ausbreitungsgeschwindigkeit besitzt. Aufgrund dessen kann ein so genanntes Dispersionsprisma das Sonnenlicht in seine spektralen Anteile zerlegen. Das so genannte Brechungsgesetz gibt den quantitativen Zusammenhang zwischen Ausbreitungswinkel und Brechungswinkel an.
->   Mehr zum Brechungsgesetz (Uni Basel)
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Wellenphänomen Beugung
"Die zweite Möglichkeit ist die Beugung, bei der sich Lichtwellen gegenseitig auslöschen oder verstärken", so Tomiska:

"Ähnliche Phänomene sind etwa bei Wellen auf der Wasseroberfläche zu beobachten. Ein bekanntes Beispiel für die Beugung sind auch die Versuche am so genannten Doppelspalt: Hier kommt es zu den typischen Überlagerungsmustern, bei denen sich Wellenminima und -maxima abwechseln."
->   Mehr zum Doppelspalt (Uni Erlangen)
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Beugung
Als Beugung oder Diffraktion bezeichnet man Abweichungen von der geradlinigen Ausbreitung des Lichtes, die dann auftreten, wenn das Licht auf Hindernisse wie z.B. Schirme, Spalten oder Blenden trifft. Die Beugung ist eine typische Wellenerscheinung und daher stark abhängig von der Wellenlänge.
->   Mehr zur Wellenoptik (Uni Ulm)
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Einzelne Farben werden separiert
"Legt man viele solcher Doppelspalten nebeneinander, so erhält man ein Beugungsgitter", so Tomiska weiter: "Und als solches kann man auch die Atmosphäre auffassen. Auch hier werden die Lichtwellen separiert, so dass einzelne Farben vorhanden sind."
Erklärung: Blau am schwächsten, Rot am stärksten gebeugt
"Mit einem wichtigen Unterschied", betont Tomiska: "Hier wird Blau am schwächsten und Rot am stärksten abgelenkt - also genau umgekehrt wie bei der Brechung."

Daraus folgt die Erklärung, warum der Himmel zu verschiedenen Tageszeiten blau bzw. rot ist:

"Den blauen Himmel sehen wir untertags, wenn die Sonne mehr oder weniger frontal auf die Erde scheint. Hier sehen wir das blaue Licht, da es am wenigsten stark gebeugt wird. Abends erreicht uns hingegen das tangential gerichtete Licht der Sonne, also genau jenes, das die stärkste Beugung erfährt", so Tomiska.
Die Abendsonne ist gar nicht größer
Was die Größe der unter- bzw. aufgehenden Sonne betrifft, wartet Helmut Rott vom Institut für Meteorologie und Geophysik der Uni Innsbruck mit einer überraschenden Erklärung auf:

"Dass Sonne oder Mond nahe dem Horizont größer erscheinen als höher am Himmel ist eine optische Täuschung, also ein psychologisches Phänomen. Wenn Sonne bzw. Mond hoch am Himmel stehen, ist das Auge nur auf dieses kleine Objekt in unendlicher Entfernung fokussiert."
Ein psychologischer Effekt
"Am Horizont erfasst das Gesichtsfeld gleichzeitig auch andere Objekte", so Rott weiter: "Im Prozess des Sehens und Erkennens werden Sonne bzw. Mond mit diesen Objekten verglichen, was in der subjektiven Empfindung die Himmelskörper größer erscheinen lässt, als wenn sie als Einzelobjekte erfasst werden."
Refraktion bedingt Verzerrung der Sonne
Aus physikalischer Sicht lasse sich eines mit Sicherheit sagen: "Messungen an der Erdoberfläche zeigen eindeutig, dass der Durchmesser von Sonne bzw. Mond unabhängig von der Entfernung vom Horizont ist", erläutert der Innsbrucker Meterologe.

Nahe dem Horizont trete jedoch oftmals ein anderes Phänomen auf: "Eine Verzerrung von Sonne bzw. Mond durch Refraktion des Lichts. Dadurch ist der Umfang von Sonne bzw. Mond nicht mehr kreisförmig, sonder verzerrt (z.B. elliptisch), aber nicht vergrößert."
Alternative Erklärung für das Abendrot
Die Farbgebung des Abendrots ist nach Rotts Urteil hingegen nicht auf Beugung, sondern auf Streuung zurückzuführen:

"Der Grund für diese Farbphänomene ist die Wellenlängenabhängigkeit der Streuung des Lichts. An den Luftmolekülen wird das Licht invers zur 4. Potenz der Wellenlänge gestreut (Rayleigh-Streuung). Streuung bedingt eine Richtungsänderung der Strahlung."

"Wenn die Sonne höher am Himmel steht, ist die Weglänge der Sonnenstrahlung in der Atmosphäre relativ kurz, und der Blauanteil dominiert bei der Strahlung, die nicht direkt von der Sonne kommt (die diffuse Strahlung, oder 'Himmelsstrahlung')."
Weg des Lichts durch Atmosphäre abends größer

"Wenn die Sonne nahe dem Horizont steht, ist die Weglänge durch die Atmosphäre groß (in der Ebene ca. 10 mal so groß wie mittags), der Blauanteil wird aus dem direkten Strahl durch Streuung fast vollständig eliminiert, die Sonne (und direkte Sonnenstrahlung) erscheint rot", erklärt der Innsbrucker Physiker:

"Für den direkten Strahl lässt sich das sehr einfach mit einem Strahlungstransfermodell nullter Ordnung und dem Rayleigh-Streukoeffizienten nachrechnen."

Die beiden Erklärungsansätze bezüglich des Abendrots sind allerdings nicht so disparat, wie es scheinen könnte: Denn Lichtbeugung an Teilchen wird auch oft als Streuung bezeichnet. Und zwar besonders dann, wenn der Teilchendurchmesser kleiner als die Wellenlänge ist.

Letztendlich handelt es sich hierbei um Erklärungen auf verschiedenen Ebenen: Eine durch das Naturphänomen der Beugung, die eher qualitativ formuliert wird. Sowie jene, die die darauf beruhende Streuung in den Vordergrund stellt - und in einer exakteren Formelsprache darstellbar ist.
->   Mehr zur Rayleigh-Streuung (Uni Linz)
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