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Es gibt keine maximale Temperatur  
  Die Lichtgeschwindigkeit stellt bekanntlich eine natürliche Obergrenze für bewegte Objekte dar. Da die Temperatur in der Physik als ungeordnete Teilchenbewegung aufgefasst wird, sollte das Limit der Lichtgeschwindigkeit eigentlich ein unüberwindbares Temperaturmaxiumum festlegen. Diese Schlussfolgerung ist jedoch falsch: Sie berücksichtigt nämlich nicht, dass die Energie eines Systems auch von der Masse der Teilchen abhängt. Und letztere nimmt nach Albert Einstein bei extrem hohen Geschwindigkeiten zu.  
Daher kann man festhalten: Es gibt keine maximale Temperatur. science.ORF.at bat diese Woche den Astrophysiker Ernst Dorfi von der Universität Wien um seine Expertenmeinung.
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Die Frage der Woche im Wortlaut
Christian K.: "Temperatur ist durch Bewegung von Teilchen definiert. Am absoluten Nullpunkt (0 Grad Kelvin) bewegen diese sich überhaupt nicht. Warum gibt es dann nicht eine maximale Temperatur, wenn diese sich mit Lichtgeschwindigkeit bewegen?"
->   Zur Frage samt User-Forum
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Natürliche Limits kommen in Physik häufig vor
Wirft man einen Blick in ein Lehrbuch der Physik, so fällt eines auf: Natürliche Begrenzungen sind in dieser Disziplin nichts Ungewöhnliches.

Da gibt es beispielsweise einige nach dem deutschen Physiker Max-Planck benannte untere Limits, wie etwa das Plancksche Wirkungsquantum oder auch die Planck-Zeit , Planck-Masse sowie die Planck-Länge. Als oberes Limit bewegter Körper gilt seit Einstein die Lichtgeschwindigkeit im Vakuum.

Insofern ist die Vermutung unseres Users "Christian K.", dass es eine abgeleitete Konstante für die maximale Temperatur gebe, durchaus plausibel.
Temperatur gilt nur im Gleichgewichtszustand
Bei der Suche nach der physikalischen Bestimmung der Temperatur stößt man zu Beginn gleich auf eine Einschränkung. Temperatur ist ein Begriff aus der Wärmelehre und - genau genommen - nur für das so genannte thermodynamische Gleichgewicht definiert.

"In diesem Fall kann man die Temperatur eindeutig mit einer mittleren Teilchengeschwindigkeit in Verbindung bringen", erklärt Ernst Dorfi vom Institut für Astronomie der Universität Wien.
->   Thermodynamisches Gleichgewicht (Uni Kiel)
Kosmische Strahlung hat lediglich theoretische Temperatur
Unglücklicherweise ist das thermodynamische Gleichgewicht eine Idealisierung, die man selten in der Natur antrifft. Aber zumindest lässt sich berechnen, welche Temperatur ein gegebenes System hätte, wenn es in sich im Gleichgewicht befände:

"Ein extremes Beispiel stellt die kosmische Strahlung dar, also einzelne Teilchen mit Energien von bis zu 10 hoch 21 Elektronenvolt, denen man, falls sie im Gleichgewicht wären, eine Temperatur von 10 hoch 25 Kelvin zuordnen könnte", so Dorfi.
->   Mehr zu Temperatur und Druck (Uni Kiel)
Was passiert, wenn Temperatur immer weiter ansteigt?
Führt man einem physikalisches System nun immer höhere Wärmeenergien zu, so erhöht sich die Bewegungsenergie der Teilchen. Ab einem gewissen Energiebetrag entstehen spontan vermehrt Teilchen-Antiteilchenpaare - und dann passieren einige bizarre Dinge.
Totale Zerstrahlung von Materie und Antimaterie
"Ab etwa 1 Milliarde Grad bilden sich Elektron-Positron Paare, die anschließend gleich zerstrahlen. Eine weitere Temperaturerhöhung führt ab etwa 1 Billion Grad dazu, dass auch die schwereren Nukleonen, d.h. Proton-Antiproton-Paare und Neutron-Antineutron-Paare das gleiche Schicksal der totalen Zerstrahlung erleiden", erklärt Dorfi:

"Im Bereich von Billiarden Grad zerstrahlt auch ein Quark-Gluonen Plasma in Quanten. Temperaturen dieser Großenordnung sind bis etwa 1/10.000 Sekunde nach dem Urknall zu finden oder treten sehr kurzzeitig bei der Kollision von schweren Ionen in Teilchenbeschleunigern auf."
Was war die höchste Temperatur aller Zeiten?
Grundsätzlich kann man sich auch die Frage stellen, welches die höchsten Temperaturen waren, die jemals im Universum aufgetreten sind. Dabei geht man folgendermaßen vor.

"Konzentriert man die Energie des Universums auf immer kleinere Regionen, so kann man im Urknall bis zur Planckzeit von 10 hoch minus 43 Sekunden extrapolieren", so Dorfi.
10 hoch 32 Kelvin als möglicher Rekord
"Auf diese Weise erhält man einen eher hypothetischen Wert von 10 hoch 32 Kelvin. Dabei ist jedoch zweifelhaft, ob die Temperatur ein noch sinnvolles Konzept zur Beschreibung dieses Zustandes darstellt", so der Astrophysiker:

"Solange es genügend Wechselwirkungen gibt, die zu einem Gleichgewichtszustand führen, ist die Temperatur jedenfalls nicht nach oben begrenzt."
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Literatur-Tipp
Das populär gehaltene Buch "Die ersten drei Minuten" des amerikanischen Physikers Steven Weinberg beschäftigt sich - neben Hintergrundstrahlung, Rotverschiebung u.a. Klassikern der Kosmologie - genau mit solchen Extrapolationen in die Vergangenheit.
->   Das Buch bei amazon.de
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Kernargument: Relativistischer Massezuwachs übersehen
Der entscheidende Punkt, den unser User "Christian K." nicht in seine Überlegung einbezogen hat, stammt aus Einsteins Spezieller Relativitätstheorie:

"Die Lichtgeschwindigkeit stellt zwar eine Grenze für die Geschwindigkeit der Teilchen dar, nicht aber für die Energie des Systems, da auch die Masse der Teilchen zunehmen kann", fasst Ernst Dorfi zusammen.

Physiker nennen die Zunahme der Masse von (sehr) schnell bewegten Teilchen "relativistischen Massezuwachs".
->   Relativistischer Massenzuwachs (Uni Erlangen)
Gegenwart: Milliarden Grad sind möglich

Auch im gegenwärtigen Universum werden mitunter recht beeindruckende Temperaturen von einigen Milliarden Grad beobachtet: "Das Innere von entwickelten, massereichen Sternen ist ein solches Plasma" so Dorfi:

"Die Vorläuferobjekte von Supernovae oder auch so genannten Hypernovae, die als Modelle für Gamma-Ray-Bursts vorgeschlagen werden, erreichen derartig hohe Temperaturen."

Zum Vergleich: Bei Fusionsexperimenten auf der Erde können kurzzeitig Temperaturen von etwa 100 Millionen Grad auftreten.

Robert Czepel, science.ORF.at
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