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Schönheit definiert sich kulturell  
  Über Schönheit und Schönheitsideale wird bereits seit der Antike debattiert. Ob es eine Art allgemein gültiges Rezept für sie gibt, steht im Mittelpunkt der aktuellen Frage von "Ask Your Scientist". Schönheit, so die Antwort des Soziologen Otto Penz, definiert sich kulturell. Ihre Wahrnehmung unterscheide sich deutlich - je nach Epoche oder Kulturkreis.  
Ein "Rezept" für Schönheit gebe es nicht, wenn man darunter historisch konstante und kulturell übergreifende Auffassungsweisen versteht.
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Die Frage(n) der Woche im Wortlaut
flo2002xy: "Wie kann man den Begriff Schönheit definieren? Wieso ist ein brennendes Lagerfeuer, eine Landschaft oder ein Sonnenuntergang schön? Ist das für jeden Menschen schön, oder ist das kulturspezifisch unterschiedlich? Gibt es ein allgemeingültiges Rezept für Schönheit?"
->   Die Frage(n) der Woche samt User-Forum
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Schönheit definiert sich kulturell
Von Otto Penz

Es gibt kein allgemein gültiges "Rezept" für Schönheit, wenn man darunter historisch konstante und kulturell übergreifende Auffassungsweisen versteht. Jede geschichtliche Epoche und jeder Kulturkreis, die abendländische wie die fernöstliche Welt, verfügt über je eigene Schönheitsvorstellungen.

Athletische Figuren hie, Zierlichkeit da bzw. barocke Ästhetik versus buddhistische Strenge. Was die Menschen als schön empfinden, ist insofern im höchsten Maße kulturell geprägt, so wie unsere Wahrnehmungsweisen und die Sinnlichkeit insgesamt sehr formbar sind: Die romantische Liebe beispielsweise existiert erst seit dem Entstehen einer bürgerlichen Kultur der Intimität.
Gilt für Naturschönes wie für Körperschönes
Zu jeder Zeit und innerhalb einer bestimmten Kultur herrscht jedoch eine weitgehende Übereinstimmung darüber, was als schön gilt - so besehen lassen sich für die spätmodernen westlichen Gesellschaften allgemeingültige Schönheitsvorstellungen konstatieren.

Dies stimmt in gleicher Weise für das Naturschöne wie für das Körperschöne. So wie die unberührte schneebedeckte Winterlandschaft heutzutage den meisten Menschen als schön erscheint, verhält es sich mit dem schlanken, durchtrainierten, enthaarten Körper.

In vormodernen Agrargesellschaften bezeichnet die genannte Landschaft allerdings eine Zeit des kärglichen Lebens und des Mangels, ebenso wie seinerzeit die Wohlbeleibtheit sozialen Wohlstand anzeigte und insofern Begehren auf sich zog, also schön erschien.
Differenzen und Diversifikationen ...
Die Menschen eines Kulturkreises teilen einen Großteil ihres Wissensbestandes, ihrer Werthaltungen und Vorlieben. Ohne diese gemeinsame Mentalität, ohne verbindliche Werte und Normen wie auch ein allgemein gültiges Urteilsvermögen, wäre ein geordnetes gesellschaftliches Zusammenleben unmöglich.

Der User "Ionestar911" hat völlig recht, wenn er schreibt, dass wir uns auf dem Weg der Sozialisation diese Gemeinsamkeiten aneignen - und damit auch die Standards, nach denen Schönes von Hässlichem unterschieden wird.

Umgekehrt jedoch, bilden sich genau in diesem Enkulturationsprozess - im Elternhaus, in der Schule, durch die Medien - milieuspezifische und individuelle Unterschiede aus, die letztlich dazu führen, dass nicht alle Menschen dieselben Dinge anziehend oder schön und dieselben Menschen attraktiv finden.
... immer im Rahmen des Allgemeinen
Bei allen Gemeinsamkeiten gibt es also immer eine erhebliche Diversifikation, welche die Lebendigkeit, die Buntheit der Kultur ausmacht.

Insofern hat die Redewendung "Die Schönheit liegt im Auge des Betrachters" ihre Berechtigung - allerdings nur im skizzierten Rahmen des Allgemeingültigen: Wie wäre sonst die Existenz von Schönheitsikonen erklärlich, und worauf sonst, wenn nicht auf generelle Standards, würde die Verschönerungspraxis der Menschen abzielen?
Der Schönheitsbegriff ist dynamisch
Die kulturspezifischen Schönheitsstandards stellen keine statische Ordnung dar, sondern die Sichtweisen und Definitionen verändern sich laufend - in gleicher Weise wie sich die Auffassungen über gute Manieren oder auch davon, was Kunst sei, laufend verschieben.

Einerseits erlernen wir im Verlauf der Sozialisation die kulturellen Gewohnheiten, während andererseits jede nachfolgende Generation zum Wandel derselben beiträgt.
Mediale Visualisierungen beschleunigen den Wandel
So hat etwa die Jugend- und Popkultur seit den sechziger Jahren die Einstellungen zu Nacktheit, Sexualität und Mode sowie die Vorstellungen über das Körperschöne nachgerade revolutioniert - in dem Sinne beispielsweise, dass Jugendlichkeit heutzutage eine unabdingbare Ingredienz von Schönheit darstellt.

Die mediale Visualisierung der Kultur, insbesondere durch das Fernsehen, zeitigt ähnlich markante Auswirkungen: Unsere Sehgewohnheiten verändern sich durch die enorme Verbreitung von Schönheitsbildern und durch globale Vergleichsmaßstäbe erheblich.

Zudem tragen die modernen Massenmedien zu einer rasanten Beschleunigung des kulturellen Wandels bei - insofern werden die kulturspezifischen "Rezepte" für Schönheit immer illusorischer und die "taste cultures" wie Geschmacksmoden flüchtiger.
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Zum Autor
Otto Penz ist Adjunct Associate Professor am Department of Sociology, University of Calgary, und Lehrbeauftragter für Soziologie an der Wirtschaftsuniversität Wien und der Karl-Franzens-Universität Graz. Zum Thema ist 2001 sein Buch "Metamorphosen der Schönheit. Eine Kulturgeschichte moderner Körperlichkeit" bei Turia + Kant erschienen.
->   Department of Sociology, University of Calgary
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->   Schönheit im Wandel der Geschichte (3.10.01)
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