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Peter Biegelbauer
Institut für Höhere Studien
 
ORF ON Science :  Peter Biegelbauer :  Gesellschaft 
 
EU-Frühlingsgipfel 2005: Europa als neue Nummer Eins? (II)  
  Wie an dieser Stelle vor einigen Tagen analysiert, setzte sich die Europäische Union mit der Lissabon-Strategie das Ziel bis 2010 der dynamischste und wettbewerbsfähigste Teil der Erde zu werden. Erste Ergebnisse der Umsetzung des Planes lassen aber Zweifel aufkommen.  
Die Forschungs- und Technologiepolitik der EU
Im Gegensatz zum kürzlich beschriebenen US-Amerikanischen Vorgehen setzt die EU auf ein größeres Ausmaß an Koordination.

Zwar wird noch immer das meiste Geld für Forschung und Entwicklung von den nationalen Regierungen der Mitgliedsstaaten und nicht auf EU-Ebene ausgegeben, doch hat die Europäische Kommission die Rolle eines Meinungsführers, dessen Vorschläge in den Mitgliedsstaaten oft zu Änderungen der Prioritäten führen.

Zudem hat die Kommission in ihrer Rolle als Initiatorin der EU-Politik Mitte der 1980er Jahre die Europäischen Forschungsrahmenprogramme entwickelt, an denen alle Mitgliedsländer und die assoziierten Staaten teilnehmen. Das von 2003-2006 laufende Sechste Rahmenprogramm umfasst bereits 17,5 Milliarden Euro.
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Anlässlich des EU-Frühlingsgipfels am 22. und 23. März 2005 in Brüssel veröffentlichte science.ORF.at vor wenigen Tagen den ersten Teil von Peter Biegelbauers Beitrag:
->   Lissabon-Strategie - Europa als neue Nummer Eins? (I)
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Gemeinsamer Forschungsraum, Annäherung der Politiken
Parallel zur eingangs erwähnten Lissabon-Strategie wurde von der Kommission im Jahr 2000 die Schaffung eines Europäische Forschungsraumes als Ziel gesetzt, der die nationalen Grenzen im Bereich Forschung und Technologie überwinden soll.

Diese Initiative soll mit der auch in anderen Politikbereichen eingesetzten Methode der offenen Koordination durchgesetzt werden. Dabei wird eine Vielzahl von Maßnahmen gesetzt, im Rahmen derer die Mitgliedsstaaten voneinander lernen und "best practice" Maßnahmen untereinander austauschen sollen.

Unter der Anleitung der Europäischen Kommission soll es dabei zu einer Annäherung der einzelnen Forschungspolitiken und Innovationssysteme kommen.
Synergieeffekte, aber auch ...
Auch diese Strategie der zunehmenden Koordination und Annäherung der einzelnen nationalstaatlichen Systeme hat Vorteile und Nachteile. Zu den Vorteilen gehört, dass die Effizienz einer koordinierten Vorgehensweise höher ist als im Fall der Nicht-Abstimmung. Dadurch sind auch Synergieeffekte erwartbar, die ansonsten ausbleiben würden.
... größere Fehleranfälligkeit
Die Nachteile einer solchen Strategie liegen in der größeren Fehleranfälligkeit eines Systems, das auf einer gemeinsamen Problemsicht - diese ist freilich eine Grundvoraussetzung für eine enger koordinierte europäische Forschungspolitik - aufgebaut ist und in Folge auch die Problemlösungsstrategien (also letztlich die politischen Maßnahmen) vereinheitlichen will.

Eine potenzielle Gefahr ist, dass es zu einer monochromen Problemsicht der Welt kommt ("group think"), im Rahmen derer Probleme richtig, aber durchaus auch falsch interpretiert werden können.
Gefahr des "kleinsten gemeinsamen Nenners"
Vor allem aber besteht das Risiko, dass jene gemeinsamen Lösungsvorschläge, die in Brüssel das Produkt langwieriger politischer Verhandlungen sind und die auf nationaler wie auf EU-Ebene als Ziel dienen, oft nur der kleinste gemeinsame Nenner sind, auf den sich Mitgliedsstaaten und europäische Institutionen einigen konnten.
Lernen von den USA?
Was kann also die EU von den USA im Bereich Forschungs- und Technologiepolitik lernen? Einerseits sicherlich, dass Vorsicht geboten ist bei der Konstruktion von historischen Plänen.

Diese werden nach ihrer Glaubwürdigkeit beurteilt. Wenn diese schon von vornherein gering ist, fällt der Glaubwürdigkeitsverlust für diejenigen, die dafür bürgen, umso größer aus. Das ist etwa mit der Lissabon-Strategie einstweilen zweifellos der Fall.

Zudem gilt: Gleich ob die politischen Vorhaben groß oder klein sind, die Formulierung politischer Ziele sollte klar sein. Spätere Evaluationen und Lernen aus Erfahrung werden erleichtert, die Legitimierung der Politik gegenüber den Bürgern und anderen interessierten oder betroffenen Akteuren ist einfacher.
EU-Politik als "Eier legende Wollmilch-Sau"
Das wunderbare Allen alles verheißende Fabeltier, die "Eier legende Wollmilch-Sau", treibt leider auch in der europäischen Forschungs- und Technologiepolitik ihr Unwesen.

Gleichzeitig soll EU Politik effektiv und effizient, die Wettbewerbsfähigkeit und die Flexibilität steigernd, aber auch die Verantwortlichkeit und Transparenz den Bürgern und Bürgerinnen gegenüber erhöhend, die Forschungsexzellenz sowie den Zusammenhalt der EU fördernd sein.

Es ist evident, dass eine solche Politik noch niemals existiert hat und auch nicht existieren kann. An einer derartigen Überfrachtung müssen politische Vorhaben scheitern und zu Frustrationen der Beteiligten führen - das inkludiert auch die Steuer zahlenden Wählerinnen und Wähler.
Zu viel Abstimmen birgt auch Gefahren
Schließlich scheint eine US-Amerikanische Strategie besonders wichtig. "Never put all your eggs into one basket", heißt ein Sprichwort, an das sich die Politiker in den Vereinigten Staaten oft halten.

Demgemäß wäre es fraglich, ob es - bei aller an sich völlig berechtigten Euphorie über das Entstehen eines gemeinsamen Europa - Sinn macht, alle Ziele und Zielfindungsprozesse so aufeinander abzustimmen, dass die Mitgliedsstaaten und die EU-Ebene ein möglichst identes Programm im Rahmen der Forschungs- und Technologiepolitik anbieten.

Denn wenn eine der dafür ausgewählten Prioritäten sich später als falsch herausstellt, dann ist der Schaden wirklich groß. Und alternative Lösungsansätze sind nicht vorhanden. Die Lissabon-Strategie sollte hier als Warnung dienen.

[23.3.05]
->   Alle Beiträge von Peter Biegelbauer in science.ORF.at
->   EU-Frühlingsgipfel
->   Europäische Innovationspolitik
->   Die Europäische Kommission zum Europäischen Forschungsraum
->   Das 6.EU-Rahmenprogramm für Forschung und Entwicklung
->   Forschungsgruppe von Peter Biegelbauer am IHS
->   science.ORF.at zur Lissabon-Strategie
 
 
 
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