Host-Info
Peter Biegelbauer
Institut für Höhere Studien
 
ORF ON Science :  Peter Biegelbauer :  Gesellschaft .  Wissen und Bildung 
 
Wie lernfähig sind Politiker?  
  In öffentlichen Debatten werden Politiker oft als wenig lernfähig dargestellt, in den Medien führt das Thema eher eine Randexistenz und auch in der wissenschaftlichen Forschung wurde es bislang wenig beachtet. Diskussionen wie jene um die kürzlich beschlossene Elite-Universität in Gugging sind zudem symptomatisch für die oft umstrittene Rolle von Expertisen und Experten als Mittel, Politikprozesse zu "objektivieren" und zu "rationalisieren".  
Forschung an der Politik
Zwei am Institut für Höhere Studien kürzlich beendete Projekte, die durch den Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung (FWF) und den Jubiläumsfonds der Österreichischen Nationalbank (OeNB) finanziert wurden, beschäftigten sich mit dem Thema Lernen in Politik und Verwaltung.

Dabei wurden insgesamt acht Fallbeispiele aus der österreichischen Politik der letzten 30 Jahre untersucht. Die untersuchten Politikfelder stammten aus den Bereichen Forschungs- und Technologiepolitik, Biomedizin und Biotechnologiepolitik und höhere Bildungspolitik.
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Neue Working Papers zum Thema "Lernen in Politik und Verwaltung" als Ergebnis der durch FWF und OeNB geförderten Projekte sind auf der Homepage des IHS erschienen (siehe auch Studien am Ende dieses Textes).
->   IHS-Publikationen
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Überraschende Ergebnisse
Mehrere dutzend Interviews mit Politikern und Beamten zeigten dabei einerseits, dass österreichische politische Handlungsträger dem Thema oft mit großer Skepsis begegneten und politischen Prozessen teilweise überraschend wenig Lernen unterstellten. Andererseits konnte in allen Fallstudien gezeigt werden, dass sowohl Politiker als auch Beamte sehr wohl lernten.
Forschungs- und Technologiepolitik
So hat sich der Politikbereich Forschungs- und Technologiepolitik in den letzen drei Jahrzehnten zunehmend internationalisiert, was einen Erfahrungsaustausch zwischen Entscheidungsträgern verschiedener Länder ermöglicht hat.

Zudem wurden in Österreich seit dem Beginn der 1990er Jahre verschiedene Instrumente eingeführt, um zu überprüfen, ob verschiedene politische Maßnahmen auch ihren ursprünglichen Zweck erreichten. Beispiele dafür sind Evaluationen, internationale Benchmarking-Studien sowie Studien zur Technologiefolgenabschätzung.
Politik und Wertekonflikte
Freilich bedeutet die Einführung solcher Instrumente, die das Lernen befördern sollen, noch lange nicht, dass die Meinung von Experten Eingang in Politik findet.

Ein Beispiel dafür ist die Entscheidung, Österreichs Forschung an menschlichen embryonalen Stammzellen im Rahmen der EU-Forschungsrahmenprogramme zu verhindern. Gemeinsam mit einigen anderen Ländern legte Österreich in den Verhandlungen um das laufende EU-Forschungsrahmenprogramm im Jahr 2002 ein Veto gegen die Mehrheit der EU-Mitgliedsländer und deren Vorhaben, Forschung an menschlichen embryonalen Stammzellen durch EU-Mittel zu finanzieren, ein.

Bundeskanzler Schüssel und Bundesministerin Gehrer begründeten diese Entscheidung mit einem Verweis auf ihre Werthaltungen, die es ihnen nicht erlauben würden, einer solchen Forschung zuzustimmen.
Lernen ist nicht gleich Lernen
Auch konnten in verschiedenen Politikfeldern verschiedene Arten des Lernens in Politik und Verwaltung gefunden werden.

In Bereichen mit grundlegenden Wertkonflikten wurde eher im Bereich von Strategie und Taktik sowie in Bezug auf die Ziele von Politik gelernt. In Feldern, in denen im Wesentlichen ein Konsens zwischen den einzelnen politischen Akteuren herrschte, kam es verstärkt auch zu Lernen in Bezug auf die Ausführung von Politik und die Entwicklung von Politikinstrumenten.
Leiten ist nicht gleich Führen
Als besonders wichtig erwies sich das Vorhandensein einer einzelnen Person, die sich der Lösung eines bestimmten Problems verschrieben hatte.

Dabei kam es weniger darauf an, dass diese Person in einer leitenden Position war, sondern mehr darauf, ob der Handlungsträger bereit war, viel Energie und Überzeugungsarbeit in die Erstellung eines Lösungsansatzes zu investieren und ob er oder sie gut vernetzt war.
Beispiele: Die österreichische Fristenlösung 1973 ...
Ein bereits lange zurückliegendes, aber nichtsdestoweniger ebenso umstrittenes wie spektakuläres Beispiel dafür war die österreichische Fristenlösung im Jahr 1973.

Damals gelang es einer kleinen Gruppe von politisch aktiven Frauen, die zwar keine Ämter in einer politischen Partei oder Institution bekleideten, aber über gute Netzwerke innerhalb der SPÖ sowie auch zur Frauenbewegung verfügten, wichtige Impulse für eine laufende Debatte um die Regelung von Schwangerschaftsabbrüchen zu geben.

Diese führte letztlich dazu, dass die seit dem Beginn des 19. Jahrhunderts in österreichischen Gesetzbüchern einheitlich streng restriktiv geregelte Frage der Abtreibung - gegen den Willen des damaligen Kanzlers - neu diskutiert wurde.
... und die Anfänge der österreichischen Technologiepolitik
Ein anderes Beispiel ist der Beginn der österreichischen Technologiepolitik, der vor allem auf die Initiative eines Abteilungsleiters in den 1980er Jahren im damaligen Wissenschaftsministerium zurückgeht.

Der Beamte nützte den Amtsantritt eines neuen Forschungsministers dazu, in einer konzertierten Aktion mit anderen Kollegen die ersten beiden österreichischen Forschungsprogramme, damals zu Mikroelektronik und Biotechnologie, zu lancieren.

Ähnliches trifft auch auf eine Beamtin zu, die mit Rückendeckung des damaligen Wissenschaftsministers Anfang der 1990er Jahre eine bestimmende Rolle in der Einführung der österreichischen Fachhochschulen spielen konnte.
Die Rolle der Europäischen Union
Von besonderer Wichtigkeit war der Beitritt Österreichs zur Europäischen Union im Jahr 1995, der einerseits zu einer raschen Intensivierung des Wissensaustausches zwischen Politikern und Beamten der Mitgliedsländer führte - ein Austausch, in dem das Besprechen von Arbeitserfahrungen "daheim" beim abendlichen Bier in Brüssel eine mindest ebenso große Rolle spielt wie offizielle Meetings und Beratungen.

Andererseits kam es auch in mehreren Politikbereichen zu einer Erhöhung der Transparenz politischer Prozesse und Maßnahmen.

Letzteres schlägt sich unter anderem in der zunehmenden Bereitschaft der österreichischen Politik und Verwaltung nieder, politische Willensbildungsprozesse im Internet nachvollziehbar zu machen. Besonders beispielhaft ist hier etwa das österreichische Parlament.
Politik und Verwaltung lernen stärker als gedacht
Insgesamt lässt sich also sagen, dass Lernen in Politik und Verwaltung häufiger geschieht als das vielleicht erwartet werden würde.

Dabei entsteht aber auch ein Bild von Politik, das so gar nicht den landläufigen Vorstellungen von Politikern als rein auf Machtgewinn ausgerichteten Taktierern entspricht. Es bestätigt jedoch auch nicht die Selbstdarstellung so mancher Politiker und Politikerinnen als einsame, lediglich auf das Wohl des Landes ausgerichtete Lenker und Lenkerinnen des Staates.

Vielmehr lenkt die Forschungsarbeit den Blick auf (manchmal durchaus allzu) menschliche Entscheidungsträger und -innen, die neben ihrer Karriere durchaus ebenso Problemlösungen befördern wollen und die dabei oftmals in großem Ausmaß auf die Vorarbeit der öffentlichen Verwaltung angewiesen sind.
Die Rolle der Beamten
Die Beamten agieren wiederum meist selber in politischen Zusammenhängen und können in Zeiten wachsender Komplexität globaler politischer und wirtschaftlicher Problemstellungen dem Bild des vom Ahnvater der Bürokratieforschung, Max Weber, vor 100 Jahren geforderten grundsätzlich neutralen Staatsbeamten nicht gerecht werden.

[28.3.06]
IHS-Studien zu dem Thema (pdf-Dateien):
->   Peter Biegelbauer: The Austrian Innovation and Technology Fund. Between Power Play and Policy Learning
->   Bernhard Hadolt: Reproduktionstechnologiepolitik in Österreich. Die Genese des Fortpflanzungsmedizingesetzes 1992 und die Rolle von ExpertInnen
->   Kurt Mayer und Lorenz Lassnigg: Lernprozesse in der Politik am Beispiel der Etablierung des Fachhochschulsektors in Österreich
Erich Griessler, Regulation von Abtreibung in Österreich erscheint in Kürze
->   Homepage von Peter Biegelbauer am IHS
->   Sämtliche Beiträge von Peter Biegelbauer in science.ORF.at
 
 
 
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