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Peter Biegelbauer
Institut für Höhere Studien
 
ORF ON Science :  Peter Biegelbauer :  Gesellschaft 
 
Die Chance der Krise  
  Die internationalen Börsenkurse machen derzeit Bocksprünge. Versuche von Politik und Wirtschaft ein Ende der sich ausweitenden Krise herbeizuführen, wurden bisher von den Märkten nur kurzfristig goutiert.  
Vertrauen und Kapital fehlen
Trotzdem kommen die internationalen Finanzmärkte nicht zur Ruhe. Warum eigentlich? Die Antwort ist einfach: den Anlegern fehlt das Vertrauen in unmittelbarer Zukunft an den Börsen Gewinne erzielen zu können. Eine Umschichtung ihres Kapitals in weniger risikoreiche Investitionen wie Anleihen oder gar feste Werte erhöht die Sicherheit der Anlagen, entzieht dem Markt aber von der Wirtschaft dringend benötigtes Kapital.

Dieses wird derzeit über staatliche Maßnahmen zur Verfügung gestellt, bewirkt aber im Fall der Inanspruchnahme der Staatsgarantien eine erhöhte Staatsverschuldung. Das bedeutet mittelfristig die Notwendigkeit bei den Staatsausgaben Einsparungen vorzunehmen.

Während kurzfristig planende Anleger im Moment also durch die volatilen Börsenkurse abgeschreckt werden, schrecken längerfristig denkende Investoren die Aussicht auf Sparpakete und eine dadurch verlängerte Wirtschaftsflaute ab.
More of the same ...
Eine Möglichkeit auf die Verunsicherung von Anlegern und der breiten Öffentlichkeit zu reagieren ist das hinlänglich bekannte Rezept des "more of the same". Wenn es der Bauwirtschaft guttut Bahnhöfe zu renovieren, könnte demnächst das hochrangige Straßennetz in den Genuss vorgezogener Ausbauten kommen.

Wenn eine Stärkung der Eigenkapitalbasis hilft Banken zu sichern, könnte eine ähnliche Maßnahme auch anderen größeren Unternehmungen helfen.
... oder Lösung von Strukturproblemen
Eine andere Möglichkeit mit der Krise umzugehen, wäre es sie als Chance zu betrachten hartnäckige Probleme in Politik und Wirtschaft in Angriff zu nehmen. Und zu lösen gäbe es Einiges: in Bezug auf die Re-Regulierung des Finanzsystems wurden am jüngsten G-20 Weltwirtschaftsgipfel erste, wenn auch vorerst sehr vorsichtige, Schritte gesetzt.

Gleichzeitig wurde aber auch wieder offensichtlich, dass die EU ihre Interessen auf internationaler Ebene nur unzureichend durchsetzen kann - wie auch, wenn nicht klar ist was die Linie der EU als solche ist!

Das seltsame Schauspiel um die missglückte Europäische Verfassung rächt sich nun, gleichzeitig eröffnet aber eine globale Krise auch die Möglichkeit einer intensivierten Zusammenarbeit der EU-Mitgliedsländer über alte (geistige) Grenzen hinweg.
In der EU ankommen
Aber nicht nur auf internationaler Ebene wären einige Aufgaben zu lösen. Für Österreich wäre es ungemein wichtig 13 Jahre nach Erlangen der formellen Mitgliedschaft als Ganzes in der EU anzukommen. Bisher trifft das in erster Linie auf Teile der gehobenen Bildungsschichten zu.

Die Masse der Österreicher und Österreicherinnen fühlt nicht europäisch, was auch kein Wunder ist, wenn sie dauernd von ihren gewählten Politikern zu hören bekommt, woran "Brüssel" nicht alles Schuld trägt.
Keine Angst vor "dem Fremden"
Eine erhöhte Akzeptanz der Tatsache, dass Österreich ein politischer, wirtschaftlicher und kultureller Teil von Europa ist, sollte auch dazu beitragen die angestammte Angst der Österreicher und Österreicherinnen vor Fremdem zu verringern.

Denn wir wären dann auch mental Teil eines größeren Ganzen und "das Fremde" gehörte also zu uns. Dann würde es uns auch leichter fallen zu akzeptieren, dass wir seit den späten fünfziger Jahren des letzten Jahrhunderts wieder zu einem Einwanderungsland geworden sind.
Bessere Integration
Zu dieser Erkenntnis gelangt, könnten wir uns auch der Ausbildung der Kinder der beiden letzten Einwanderungsgenerationen widmen. Diese könnten zum Nutzen der österreichischen Volkswirtschaft, aber auch des langfristigen sozialen Friedens, durch einfache Maßnahmen wie verstärkten Deutschunterricht besser in unsere (gemeinsame!) Gesellschaft integriert werden und niemand müsste sich mehr Sorgen um die Entstehung einer durch andere Werte geprägten Parallelgesellschaft im eigenen Land machen.
Von Weltklasseunis weit entfernt
Ebenfalls eine Entscheidung zu treffen ist im Bereich der Finanzierung der Universitäten: wir verfügen nach wie vor nicht über die von der damaligen Wissenschaftsministerin Gehrer ausgerufenen "Weltklasseuniversitäten". Wie auch? In Seminaren finden sich auf unseren Unis noch immer bis zu 100 Studenten und Studentinnen, anstatt zehn bis 20 wie in wirklichen Weltklasseuniversitäten.

Professoren und Professorinnen betreuen noch immer dutzende Diplomarbeits- und Dissertationsprojekte gleichzeitig, anstatt einer Hand voll wie in wirklichen Weltklasseuniversitäten. Dementsprechend bleibt Universitätsangestellten auch wenig Zeit für Forschung, anders als in wirklichen Weltklasseuniversitäten. Im außeruniversitären Forschungsbereich sind die Bedingungen in Österreich übrigens nicht besser.
Langfristige Strategien sind die besten
Die Lösung all dieser Fragen wird am Eintauchen Österreichs in die aufziehende weltweite Wirtschaftskrise nichts ändern. Eine langfristige und glaubwürdige Strategie in diesen Bereichen würde aber dabei helfen, das Vertrauen in die Wirtschaft Österreichs und die Wettbewerbsfähigkeit des Landes zu stärken.

Wenige Jahre nach dem Ende der jetzigen Wirtschaftskrise wird sich niemand mehr an die kurzfristigen Maßnahmen der damaligen österreichischen Bundesregierung erinnern.

Was von einer Regierung bleibt, sind langfristige, zukunftsbezogene Weichenstellungen und nicht Diskussionen darum, welche Partei ein bestimmtes und nicht ein ganz anderes Ressort erhalten hat.

[10.12.08]
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