Host-Info
Peter Biegelbauer
Institut für Höhere Studien
 
ORF ON Science :  Peter Biegelbauer :  Gesellschaft 
 
Der Konvent und die Zukunft der EU  
  Der EU-Konvent tritt nun also endlich zusammen. Die Aufregung um das Ereignis hält sich bis dato eher in Grenzen - warum eigentlich? Immerhin soll nicht weniger als die Zukunft Europas entschieden werden.  
Die nähere und fernere Zukunft der EU
Wie soll die EU nach der Osterweiterung aussehen? Wird es ein Europa der "konzentrischen Kreise" oder "verschiedenen Geschwindigkeiten" geben? Sollen also einzelne europäische Staatengruppen, wie bei der Einführung des Euro geschehen, an gemeinsamen Maßnahmen teilnehmen, die anderen Ländern mangels Erfüllung von Eintrittskriterien verwehrt bleiben?

Wie soll die EU in 45 Jahren aussehen, wenn sie doppelt so alt wie jetzt ist? Wollen wir Europäer einen neuen Staat oder genügt uns ein vergleichsweise flexiblerer Mechanismus, wie ihn die EU heute darstellt?
->   Die Zukunft der EU
Die Bürgerferne
Wie soll die EU von einem Projekt der Eliten zu einem Projekt der Bürger gemacht werden? Im Moment sind die politischen Prozesse der EU derart kompliziert, dass sie nur von einer geringen Anzahl von Europäern wirklich verstanden werden.

Alle bisherigen Versuche, diesen Zustand zu ändern sind bereits in frühen Phasen gescheitert.
Und das Demokratiedefizit: Die Europäische Kommission
Schlussendlich: Wie soll das vielbeschworene Demokratiedefizit der EU beseitigt werden? Im Moment wird die Europäische Kommission, jene Institution also, die gleichzeitig die europäischen Aktivitäten überwacht und implementiert, nicht gewählt.

Vielmehr wird sie von den Regierungsoberhäuptern der Mitgliedsländer, dem Europäischen Rat, bestimmt und vom Europäischen Parlament bestätigt.

Lediglich im Fall von schwerwiegenden Problemen kann das Europäische Parlament auf verschiedene Arten sein Misstrauen gegen die Kommissionsspitze zum Ausdruck bringen - wie auch vor drei Jahren geschehen, als die Kommission nach Korruptionsvorwürfen einem drohenden Misstrauensvotum zuvorkam und freiwillig zurücktrat.
->   Europäische Kommission
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Der Rat der EU
Der EU-Rat, welcher von den Regierungen der Mitgliedsländern beschickt wird, bildet noch immer ein deutliches Machtzentrum im europäischen Integrationsprozess. Viele wichtigen Entscheidungen betreffend die EU - gleich in welchem Politikfeld - werden dort getroffen. Dieser Rat wird freilich nur indirekt gewählt: über die Wahlen zu den nationalen Parlamenten der Mitgliedsländer.
->   EU-Rat
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Das Europäische Parlament
Die einzige europäische Spitzeninstitution, die direkt gewählt wird ist das Europäische Parlament, welches im Vergleich zu nationalen Parlamenten aber - trotz einer deutlichen Ausweitung seiner Möglichkeiten seit Mitte der 1980er Jahre - noch immer über weniger Rechte verfügt. Abhängig vom jeweiligen Politikfeld hat das Parlament mittlerweile eine Reihe von Mitsprache- und Vetorechten.
->   Europäisches Parlament
Das Dilemma der europäischen Integration
Aus dieser kurzen Schilderung lässt sich auch rasch das Dilemma der EU erkennen: Einerseits werden in immer mehr Politikbereichen immer mehr Agenden zumindest teilweise auf die europäische Ebene verlegt.

Andererseits sind aber auf dieser Ebene die politisch Handelnden in sehr unterschiedlichem Ausmaß durch demokratische Wahlen in ihrem Handeln legitimiert.

Anders ausgedrückt: in einer Situation, in welcher Brüssel mehr und mehr Macht zukommt, werden diejenigen europäischen Institutionen, die am einflussreichsten sind, nicht oder nicht direkt gewählt - jenes Organ, das direkt von den europäischen Bürgern bestimmt wird, hat hingegen relativ weniger Einfluss.
Bürger gesucht!
Doch Moment: das Wahlvolk, die europäischen Bürger? Um wen handelt es sich denn da eigentlich? Sind wir nun Europäer oder Österreicher, Italiener, Spanier, Schweden, Deutsche, Engländer und so weiter?

Tatsächlich fühlen sich in Umfragen immer noch die bei weitem überwiegende Mehrzahl der Befragten als Subjekte ihres Nationalstaates und nur die Wenigsten definieren sich als Europäer.
Geringe Identifikation
Angesichts der eben beschriebenen Situation ist das durchaus verständlich und wahrscheinlich resultiert die geringe Identifikation der Bürger aus den vorher angeführten Mängeln: Die EU ist ein politisches System mit umstrittener Zukunft, das schwer zu durchschauen ist und das über die Bürger entscheidet, ohne das diese einen direkten Einfluss auf die betreffenden Beschlüsse hätten.

Tatsächlich ist die nicht stattfindende Identifikation der Bürger mit Europa aber nicht nur Folge dieser Ereignisse, sondern auch, wenigstens teilweise, deren Ursache.
Eine kritische Öffentlichkeit als Grundvoraussetzung
Denn ein geringes Interesse an der europäischen Integration seitens der einzelnen Bürgerinnen bedeutet notgedrungen auch eine kleine Öffentlichkeit für europäische Themen und ein relativ geringes Interesse der Medien an damit zusammenhängenden sachpolitischen Diskussionen.

Das aber wiederum führt zur Entwicklung einer Schicht von Experten und Politikern, die Themenbereiche "unter sich" aushandeln - was wiederum zu wenigen Identifikationsmöglichkeiten und einem geringen Interesse seitens der Bürger führt: ein scheinbar perfekter Teufelskreis....
Herausforderung für den Konvent
Der nun beginnende Konvent wird sich mit all diesen Themen auseinandersetzen müssen. Einige diesbezügliche Fragen sind in der Erklärung von Laeken explizit angeführt (ein Weblink befindet sich weiter oben), einige andere nur implizit - und einige wurden schlichtweg nicht angeführt. Auch das wird die Aufgabe dieses historischen Konvents nicht leichter machen.
Einige Links zur Thematik
->   EU - allgemein
->   Themenbezogene IHS-Working Papers
->   Stipendienausschreibung für das IHS-Postgraduierten-Programm "European Studies"
 
 
 
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