Host-Info
Ulrike Felt
Institut für Wissenschaftstheorie und Wissenschaftsforschung, Universität Wien
 
ORF ON Science :  Ulrike Felt :  Wissen und Bildung 
 
Gegen die Zeit denken: Universitätsreform ohne die Gesellschaft  
  Was passiert derzeit mit den österreichischen Universitäten? Welche Rolle werden sie in unserer Gesellschaft spielen, wenn sie völlig r(d)eformiert sind? Zwischen Strukturwandel, einschneidenden Veränderungen in den Personalstrukturen und neuen Wegen im Bereich der Studien werden Weichen für die Zukunft gestellt. Aber wo bleibt eine gesellschaftspolitische Diskussion? Einige Elemente zum Nachdenken.  
Reformdiskussion: Wen interessieren die Universitäten?
Die Diskussion um die Reform der Universität ist so alt wie die Universität selbst - so könnte man sagen und damit die Wichtigkeit der derzeitigen Veränderungen im universitären Bereich herunterspielen.

Doch dann werden wir daran erinnert, dass wir in einer Wissensgesellschaft leben, in einer Gesellschaft, in der Wissenserzeugung, -erhaltung und -beschaffung eine vitale Funktion innehaben.

Und trotzdem scheinen "uns" als Bürger dieses Landes die Universitäten als zentrale Knotenpunkte in diesen Wissensnetzwerken nicht wirklich zu kümmern. Es wird entweder einfach weggeschaut, man raunzt bestenfalls ein wenig herum oder will, dass die Dinge so bleiben, wie sie sind.

Alle drei Haltungen werden nicht sehr zielführend sein und damit überlassen wir "der Politik", mit den Universitäten zu tun, was ihnen gerade beliebt.
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Stichwort Universitäts-Reform
Uni-Reform: Die Details in Stichworten

Der gesamte Text ist im Internet nachzulesen, auf der Homepage www.weltklasse-uni.at: Gestaltungsvorschlag für die Regelung der Uni-Autonomie (pdf-Dokument)
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Reformbedarf bei Wissenschaftspolitik und Universitäten
Es ist nicht zu leugnen, dass es ausreichend nicht funktionierende Bereiche in den Universitäten gibt und dass grundlegende Veränderungen durchaus angesagt wären. Die Frage ist nur das WIE und welchen IDEOLOGIEN folgend.

Leider ist bei dieser Reformdiskussion außer Schlagworten kaum ein konkretes Ziel auszumachen. Mobiler, internationaler, wettbewerbstauglicher, dynamischer sollen die Universitätslehrer werden, ihre AbsolventInnen anpassungsfähiger, kommunikativer, teamfähiger, die Forschung im Idealfall zu direkten wirtschaftlichen Anwendungen führen ... die Liste lässt sich beliebig verlängern.
Soziale Gleicheit und ... Studiengebühren
Während sich diese "neue Wissenschafts- und Bildungspolitik" ganz wie eine Mischung aus dem Textbausteinverzeichnis "Wie spreche ich als neoliberaler Politiker" und "Wie schreibe ich ein EU-Dokument zu Wissenschaft" liest, so sollte man doch die zentralen Widersprüche erkennen.

Wir haben Studiengebühren und predigen soziale Gleichheit im Bildungsbereich, wir haben weniger Geld im Bereich der Lehre und fordern eine offene Universität, wir haben weniger feste Stellen und wollen bessere Betreuung der Studierenden - auch diese Liste ist beliebig verlängerbar.

Hier spalten sich die Analysen der österreichischen Situation: Gibt es überhaupt ein wissenschaftspolitisches Konzept und wenn ja, wer weiß, wie es aussieht?
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Mit Management-"Latein" zur Universität als Betrieb - Fiktion oder reale Vision
Wenn man keine Visionen hat, dann kann man sich umso leichter auf die rein ideologische Ebene zurückziehen. Mit viel Management-"Latein" neoliberalen Anstrichs wird der Universität nun zu Leibe gerückt.

Hatte sie bis zu diesem Zeitpunkt - wenngleich manchmal nicht in der gewünschten Qualität - dennoch versucht, junge Menschen in einem weiteren Sinn zu bilden und ihnen so einen Weg in die viel zitierte Wissensgesellschaft zu eröffnen, so werden jetzt AnwärterInnen für den Arbeitsmarkt produziert.

Und wie in einer Abfüllanlage werden die hereinkommenden "potenziellen Wissensbehälter" (die man früher Studierende nannte) gezählt, die zu verabreichende Menge ("Stoff") festgelegt und dann gesehen, ob die Wissensbehälter möglichst schnell die Institution auch wieder verlassen haben und verkauft werden konnten.
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Personalpolitik - oder Universitätspolitik ohne Personen
Flexibel müssen sie werden, die Universitäten, jung und dynamisch bleiben. Daher wurde in Österreich im Grunde darauf geschaut, dass jeder - solange er (oder vielleicht auch in ganz seltenen Fällen sie) nicht das große Los gezogen hat, Professor(in) zu werden - immer nur auf befristeten Zeitverträgen sitzt.

Selbst in den Hochburgen der radikalen Wissenschaftspolitik - wie etwa Großbritannien - gibt es keine so genannte Pragmatisierung mehr für WissenschaftlerInnen, allerdings sind die Verträge keineswegs zeitlich begrenzt.

Dies bedeutet, dass ausgezeichnete junge Wissenschaftler durchaus eine kontinuierliche Karriere machen, aufsteigen und für sich eine mittelfristige Perspektive entwickeln können.
Begrenzte Verträge - Unsicherheit für die Mitarbeiter
Österreich ist auch in diesem Bereich ANDERS. Wir haben ein System, welches auf zeitlich fix begrenzten Verträgen aufbaut, weitgehend ohne Verlängerungsmöglichkeiten, in dem große Unsicherheit sowohl für die jungen MitarbeiterInnen wie auch für diejenigen herrscht, die direkt für Lehre und Forschung verantwortlich sind und kontinuierliche Betreuung sicherstellen sollen.

In diesem Fall scheint man die paradiesischen Zustände in manchen naturwissenschaftlich-technischen Studienrichtungen als Modell herangezogen zu haben.

Denn wo sich die Zahl der UniversitätslehrerInnen fast die Waage mit der Zahl der Studierenden hält, treten so manche Probleme wohl nur in einer abgeschwächten Form auf.
Messen, zählen, wägen - Visionen für die Forschung?
Gemessen werden aber nicht nur die durchfließenden Studierenden und die von ihnen "verursachten" Prüfungen, welche mit dem Begriff der "Lehrbelastung" zum Ausdruck gebracht werden.

Das Unternehmen Universität kann jetzt auch ihre "geistige" Potenz an den eingeworbenen Drittmittel messen, wir können zu wissenschaftlichen Artikeln zusammengefasste Gedankenportionen (manchmal sind es auf Grund dieser Politik auch schon eher "Portiönchen") zählen, ihren "Impakt" messen, indem wir nachsehen, wo sie publiziert wurden, die Einladungen zu prestigeträchtigen Veranstaltungen auflisten und vieles mehr.
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Ein Hinweis auf das Offensichtliche
Fall der/die LeserIn nun denken sollte, dass ich mich hier implizit gegen Qualitätsüberprüfungsmaßnahmen ausspreche, dann ist dies ein Irrtum. Nein, ich möchte nur auf das Offensichtliche hinweisen, was in anderen Ländern aus jener Politik, die wir gerade einführen, bereits gelernt wurde: mit dieser Brille werden wir nur ein sehr eingeschränktes Bild unserer tatsächlichen wissenschaftlichen Leistungen erhalten.

Im Grunde gibt es nur eine Lösung und die heißt Auseinandersetzung mit Qualität. Das aber würde bedeuten, dass die Führungsebenen sowohl in den Universitäten als auch in den Ministerien Risiken eingehen, Engagement und Offenheit zeigen und ihre eingeübten Konfliktvermeidungsstrategien ein wenig zur Seite schieben müssten. Hier geht es um Forschungsvisionen, die Platz für Innovationen lassen und das tatsächliche Potential ausloten und nicht um Spielwiesen für einige neoliberale Krämerseelen
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Bildungspolitik geht uns alle an
Und schließlich geht das, was mit den Universitäten passiert, nicht nur die Universitäten und die dazugehörigen Ministerialbürokratien etwas an, sondern uns alle - und damit ist gerade in einer Wissensgesellschaft jeder einzelne gemeint.

Es betrifft weitreichend die Zukunft unserer Gesellschaft und es wäre daher ratsam, dies nicht nur einigen politischen Spielern und denen, die es ja vielleicht noch werden wollen, zu überlassen.
Die Börsenkurse der Universität
Es sei nun zum Abschluss ein weiterer Vergleich mit dem Wirtschaftsbereich erlaubt. Betrachten wir kurz wirtschaftliche Unternehmen und deren Börsenkurse.

Unter neoliberalen Bedingungen wird uns täglich vor Augen geführt, dass die Börsenkurse der Unternehmen im Grunde nichts mehr mit der tatsächlichen Gesundheit des Unternehmens, mit deren Gewinnzahlen oder Anstellungssicherheiten zu tun haben.
Längst zählt die allgemeine Stimmung in der Gesellschaft und damit auch die Stimmungsmacher viel mehr als alles andere.
Was hat das mit der Universität zu tun? Sehr viel.

Ich kann mich kaum an Momente in den letzten Jahren erinnern, in denen Universitäten von den für sie zuständigen Ministerien verteidigt wurden und wo auf ihre zum Teil außergewöhnlichen Leistungen hingewiesen wurde.

Wenn der Wert der Universitäten auf einer gesellschaftlichen Börse verhandelt wird, dann spielt eben auch die Stimmung eine Rolle für das Vertrauen in diesen Wert.
Mit dem Strom schwimmen oder gegen die Zeit denken
Eigentlich ist es die Aufgabe der Universitäten - auch wenn dies vielleicht nicht mehr so in Mode zu sein scheint - nicht nur mit dem Strom zu schwimmen und damit gesellschaftspolitische Vorstellungen zu vollziehen, sondern sie hat immer auch die Aufgabe, gegen ihre Zeit zu denken, sie zu hinterfragen, sie zu verändern und damit auch innovativ gestaltend zu wirken.

Sie sollten im Grunde das kritische Potenzial unserer Gesellschaft stellen, und dies ist in einer von Wissenschaft, Technologie und Wirtschaft gesteuerten Welt wohl eine mehr als zentrale Aufgabe.
Weitere Artikel zu diesem Thema in science.orf.at:
->   Gehrer: 2002 wird Jahr der Herausforderungen für die Unis
->   Alle Artikel zum Stichwort "Uni-Reform" in science.orf.at
 
 
 
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