Christian Gastgeber
Österreichische Nationalbibliothek
BIBLOS-Redaktion und Österreichische Akademie der Wissenschaften, Institut für Byzanzforschung
 
ORF ON Science :  Christian Gastgeber :  Gesellschaft 
 
Geheimnisvolles, geschichtsträchtiges, sagenumwittertes Wien  
  Johannes Sachslehner und Robert Bouchal präsentieren in ihrem Buch "Mystisches Wien" einen Einblick in verborgene Plätze, unter und über der Erde, und geben ein eindrucksvolles Panoptikum aus der Stadt der Gemütlichkeit und Morbidität  
Reliquien des Hl. Benedictus in der Peterskirche
 


"Soviel zerbröckelter Stein"
Geradezu als Leitgedanke wird diesem Buch ein Zitat Ingrid Bachmanns vorangestellt, das die in eindrucksvollen Bildern festgehaltenen Einblicke in Orte der Nacht wie in vergessene Welten festhält: "Soviel zerbröckelter Stein, so viele hohle Wände sind da, dass man es flüstern hört von langher, von weither."

Nach diesem Motto bietet das Buch einen historischen Spaziergang zu Orten, deren Mystik wieder entdeckt und ebenso grandios in Bilder umgesetzt wird - Orte, die ihre geschichtenschwangere Vergangenheit kaum noch erahnen lassen wie unter den Pflastersteinen des Stephansplatzes. Ein paar hier reflektierte Streiflichter aus diesem Buch erhellen schon die Mystik dieser unbeschreiblichen Stadt.
Der Mythenfabulant Moriz Bermann
Die Stadt und ihre Geschichte weckten immer schon das Interesse, war sie spannend aufbereitet. Eine Paradebeispiel ist der 1823 geborene Moriz Bermann, ein Mann mit dem richtigen Gespür und dem Talent für die Präsentation historischen Stoffes für ein breites Publikum.

Bekannt sind seine Standardwerke "Geschichte der Wiener Stadt und Vorstädte" sowie der 1.200 Seiten umfassende, reich bebilderte Band "Alt- und Neu-Wien. Geschichte der Kaiserstadt und ihre Umgebung".

Unter dem Pseudonym Louis Mühlfeld veröffentlichte er jedoch auch Kolportageromane in Heftchenform, die Wiens Geschichte zum Inhalt hatten, etwa "Das graue Haus, oder die neuen Geheimnisse von Wien". Der große Erfolg führte auch dazu, dass sich auf diese Weise Sagen eingeschlichen hatten, die Bermann frei erfunden hat.
Stanislaus Kostka und das Haus zur goldenen Schlange

1564 kam der Pole Stanislaus Kostka mit Bruder und Vater nach Wien, um am Jesuitenkolleg zu studieren. Er logierte im Haus zur goldenen Schlange (Steindlgasse 6/Kurrentgasse 2), wollte schließlich selbst in den Jesuitenorden eintreten. Das Schicksal wollte es, dass er 1566 schwer erkrankte und sein Leben auf dem Spiel stand.

Die Sterbesakramente wurden ihm vom lutheranischen Hausbesitzer verwehrt; doch erschien nächtens die Heilige Barbara, gefolgt von der Gottesmutter mit dem Jesuskind. Sein Eintritt in die Societas Jesu wurde gewünscht.

Die Jesuiten hatten damit ein in der Auseinandersetzung mit den Protestanten gut auswertbares Wunder, und Wien staunte. Auf abenteuerliche Weise musste er noch dem Vater entfliehen, um in das Kloster einzutreten.

Von Petrus Canisius geprüft, wurde er 1567 im Orden aufgenommen, ein Jahr später verstarb er. Er wurde heilig gesprochen und gilt heute als Zweitpatron Polens. Die Kapelle in der Steindlgasse 6 erinnert noch an das Mysterium.
Franziskanergruft
 


Der Friedhof unter der Stadt
1732 sperrte Kaiser Karl VI. den Stephansfriedhof für Beerdigungen, die Toten wurden verbannt in die unterirdische Welt der Grüfte, die bald danach ausgebaut wurden.

Diese Totenhallen umfassten bald den gesamten Raum unter dem Chor, dem Querschiff sowie den nördlichen und nordöstlichen Teil des Stephansplatzes.

Bilanz des Zeitraumes 1745 bis 1783: 10.893 Bestattungen. Josephs II. setzte diesem Bestattungswesen schließlich ein jähes Ende. Was blieb, war ein Einstieg für Nervenstarke in die Welt des Todes, mit Leichen, die aus vermoderten Särgen herausgekippt waren.
Das Abenteuer Totengruft
Einen sehr berührenden Bericht seiner Begehung der unterirdischen Grüfte hinterließ Adalbert Stifter in "Ein Gang durch die Katakomben" (1841), in dem er seine ganze Ergriffenheit zum Ausdruck bringt:

"Mir war, als sei ich in ein fabelhaft Gebiet des Todes gerathen, in ein Gebiet, so ganz anders, als wir es im Leben der Menschen erfahren, ein Gebiet, wo Alles gewaltsam zernichtet wird, was wir im Leben mit Ehrfurcht und Scheu zu betrachten gewohnt sind, wo das Höchste und Heiligste dieser Erde, die menschliche Gestalt, ein werthloses Ding wird, hingeworfen in das Kehrricht, dass es liege, wie ein anderer Unraht."
Ort des Todes: Die Michaelergruft

Angeschlossen an die Michaelerkirche entstand im Mittelalter ein eigener Friedhof; 1508 wurde dieser zwar aufgehoben, doch wurden 1560 schließlich einzelne Grüfte errichtet (insgesamt 19), in denen rund 4.000 Tote von 1631 bis 1784 ihre letzte Ruhe fanden, bis Joseph II. auch diesem durchaus gewinnträchtigen Unternehmen ein Ende setzte.

Nur wenige Leichen waren mumifiziert, sie verwesten und verbreiteten einen intensiven Geruch des Todes. Zu besichtigen sind sie bis heute.
Die Magie des Todes
Der Aberglaube ließ dem Zeitraum zwischen Todesdatum und Verwesung eine besondere magische Bedeutung zukommen: Tote waren innerhalb dieser Zeit auf dem vorbereitendenden Weg ins Jenseits.

Einer Berührung wurde daher außerordentliche Wirkkraft zugeschrieben; noch besser, wenn sich Schweißreste erhalten hatten. Ein wirres Sammelsurium an Wirkungskräften bis hin zu Aphrodisiaka wurde den Toten oder seinen Überresten zugeschrieben.

Besonders mit dem Auftauchen der ägyptischen Mumien in Europa wurde Missbrauch in gröbstem Unfug getrieben, galten doch die Substanzen der verharzten Mumifizierung als Heilmittel, die man zerstampft in Pulverform anbot. So manche Apotheke besitzt noch den Behälter mit der Aufschrift "Pulv. Mumiae".
...
Bouchal Robert, Sachslehner Johannes:
Mystisches Wien
Verborgene Schätze - Versunkene Welten - Orte der Nacht

ISBN: 3854313349
176 Seiten, 20,5 x 22,5 cm, durchgehend farbig, Hardcover mit Schutzumschlag
->   Buchbeschreibung
...
->   Link zum Verlag
 
 
 
ORF ON Science :  Christian Gastgeber :  Gesellschaft 
 

 
 Übersicht: Alle ORF-Angebote auf einen Blick