Christian Gastgeber
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100 Jahre Österreichisches Volksliedwerk  
  Das Österreichische Volksliedwerk feiert heuer seinen 100. Geburtstag. Aus diesem Anlass wurde ein internationales Symposium abgehalten sowie ein bearbeiteter und kommentierter Reprint des "Ankündigungsbandes" aus dem Jahre 1918 herausgegeben.  
Das Volksliedunternehmen
Ein Beitrag von Eva Maria Hois (Ludwig Boltzmann-Institut für regionale Musikforschung beim Österreichischen Volksliedwerk)

Im November 1904 kam es beim Ministerium für Unterricht und Kultus zur Gründung des "Volksliedunternehmens". Geplant war, eine repräsentative Ausgabe der Volkslieder aller ethnischen Gruppen der Donaumonarchie getrennt nach Völkern und Nationen und geschrieben in der jeweiligen Landessprache unter dem Titel "Das Volkslied in Österreich" in 60 Bänden herauszugeben.
Ein "patriotisches", "förderungswürdiges" Projekt
Der damalige Minister Wilhelm Ritter von Hartel hielt dieses "patriotische Werk" für "förderungswürdig" und unterstützte es. Volksmusik und insbesondere das Volkslied sollten zur regionalen Identitätsstiftung und zugleich zur zwischenmenschlichen wie überregionalen Verständigung und Versöhnung beitragen sowie aufgrund ihrer starken emotionalen Wirkung das gesamtstaatliche Bewusstsein fördern.

Hartel berief nach Vorschlägen Josef Pommers einen "leitenden Hauptausschuss", bestehend aus Fachmännern aus allen Kronländern ein. Im Anschluss daran wurden zwanzig "Arbeitsausschüsse" gebildet, die die Sammlungen vor Ort leiteten.
Nationale Konflikte
Für Hartel war der Gedanke einer monarchieweiten Sammlung ein "zeitgemäßer und guter", er erkannte aber auch die Probleme einer solchen, speziell in Österreich. Doch zeigte er sich zuversichtlich, wenn er meinte, "dass die Liebe und Begeisterung für die gemeinsame Sache keinen nationalen Mißton werde aufkommen lassen".

Doch konnten die stets geforderte Gleichberechtigung aller Völker und die gemeinsame Beteiligung an diesem übernationalen Projekt nicht immer die schwelenden geistigen, politischen und kulturellen Nationalitätenkonflikte im Vielvölkerstaat verdecken.
Sprachenstreit
Es gab etwa einen "Sprachenstreit" bezüglich des Titels der Gesamtpublikation, der, um nationale Streitigkeiten auszuschließen, nach Vorschlag einiger Mitarbeiter in lateinischer Sprache gehalten werden sollte.

Heftig diskutiert wurde auch eine Frage "prinzipieller, speziell nationalpolitischer Bedeutung", nämlich die der Übersetzungen: Die nicht-deutschsprachigen Bände sollten in einer zweiten Ausgabe zwar nicht die Liedertexte, wohl aber den Hauptteil, die Einleitung und den Anhang sowie alle Erklärungen und den wissenschaftlichen Apparat auch in einer deutschen Übersetzung enthalten.

Allerdings könnten dann auch alle Nicht-Deutschen eine Übersetzung in ihre jeweilige Landessprache fordern.
Völkerverständigung
Trotz allem gab es immer wieder das Bemühen, alle Völker sowie deren Lieder als gleichberechtigt und gleichwertig anzusehen und keine nationale Vorherrschaft aufkommen zu lassen.

Konrad Mautner schrieb etwa: "Jedes aus diesem bunten Gemisch von Völkern ist in seiner Art tüchtig und erhaltenswert, keines der Lieder, die ihr Volkstum abspiegeln, so verschieden sie auch voneinander sein mögen, weniger wertvoll."
Der "Ankündigungsband"

Originaltitelblatt
Um nach etwa zehn Jahren des Sammelns dem Unterrichts- und dem Finanzministerium wie auch der Öffentlichkeit einen konkreten Nachweis über die Tätigkeit des Volksliedunternehmens vorlegen zu können, wurde 1913 eine "Subskriptions-Einladung" entworfen.

Die Idee eines "Bandes mit Proben aus allen Volksliedgruppen" wurde auch schon damals diskutiert. Dieser "Ankündigungsband" sollte die ganze Bandbreite der Volksmusik in der Monarchie in ausgewählten Beispielen demonstrieren und das mehrbändige Gesamtwerk bewerben.
Ein internationaler und nationale Prospekte

Josef Pommer
Schließlich sollten zwei Arten von Prospekten gedruckt werden, ein "internationaler" und - in unterschiedlichen Ausführungen und versehen mit "Stichproben und Bildern" - die nationalen Prospekte der einzelnen Arbeitsausschüsse.

1916 entschloss sich die deutsche Gruppe als erste zu einem eigenen "Prospekt". Dieser wurde von Curt Rotter (Einleitung) und Josef Pommers (Stichproben aus allen deutschen Kronländern sowie einige nicht-deutsche Proben) erstellt und 1918 dem deutschen Redaktionsausschuss zur Einsicht vorgelegt. Publiziert wurde er damals aber nicht mehr.
Bearbeiteter und kommentierter Reprint

Reprint 2004
Aus Anlass des 100. Geburtstags des Österreichischen Volksliedwerkes wurde dieser Band nun von Walter Deutsch und Eva Maria Hois bearbeitet und kommentiert und unter dem Titel "Das Volkslied in Österreich. Volkspoesie und Volksmusik der in Österreich lebenden Völker" herausgegeben.

Er erschien als Sonderband der bei Böhlau publizierten Volksmusikgesamtausgabe in repräsentativer Auswahl Corpus Musicae Popularis Austriacae.
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Kommentierte Neuauflage
Walter Deutsch, Eva-Maria Hois (Hrsg.)

Das Volkslied in Österreich. Volkspoesie und Volksmusik der in Österreich lebenden Völker, Wien 1918
Kommentierte Neuauflage
Wien: Böhlau 2004
358 Seiten, 186 S. Faks. u. zahlr. Abb. 29,7 x 21 cm Geb.
EUR (A) 39,00
ISBN 3-205-77254-7
->   Volkslied in Österreich
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Internationales Symposium
Anlässlich des Jubiläums wurden auch das internationale Symposium "Kulturelles Erbe bewahren, vermitteln und entdecken. Das österreichische VolksLiedWerk und ethnomusikalische Archive und Sammlungen in europäischen Nachbarländern" abgehalten. Daran beteiligt waren Vertreter aus den Ländern Bosnien-Herzegowina, Italien, Kroatien, Rumänien, Slowenien, Polen und Ungarn.

Ziel dieses Symposiums war ein genauerer Einblick in die gemeinsame Geschichte, der nun auch zu gemeinsamen künftigen Projekten führen möge.
Symposium 2004
 


Symposium "Kulturelles Erbe bewahren, vermitteln und entdecken. Das Österreichische Volksliedwerk und ethnomusikologische Archive und Sammlung in europäischen Nachbarländern".

Referenten des Symposiums: Ewa Dahlig-Turek (Institut für Kunst an der Polnischen Akademie der Wissenschaften), Sabina Ispas (Institut für Ethnologie und Folklore an der Rumänischen Akademie der Wissenschaften) und Eva Maria Hois (Institut für regionale Musikforschung der Ludwig Boltzmann Gesellschaft) - Foto: Michael Weese
Österreichisches Volksliedwerk

Dachverband der Volksliedwerke der Bundesländer
->   http://www.volksliedwerk.at/
 
 
 
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