Christian Gastgeber
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Werkausgabe zum 100. Geburtstag von Viktor Frankl  
  Am 26. März jährt sich der Geburtstag von Viktor Frankl (1905-1997) zum 100. Mal: Zu diesem Anlass erscheint erstmalig eine Werkausgabe des Schöpfers von Logotherapie und Existenzanalyse. Sie ergänzt und kommentiert seine grundlegenden Schriften durch erstmals edierte Materialien aus dem Nachlass im Viktor-Frankl-Institut Wien sowie durch eine Bildauswahl.  
Herausgegeben werden die Bände von Dr. Alexander Batthyany, Univ.-Prof. Dr. Karlheinz Biller und Univ.-Prof. Dr. Eugenio Fizzotti.
->   Viktor-Frankl-Institut
Das Projekt der Neuausgabe

Auf ca. zwölf Bände konzipiert, die in halbjährlichem Abstand im Wiener Böhlau-Verlag erscheinen werden und deren erster Band nun vorliegt, wird eine Edition vorgelegt, die sich einer thematischen Textauslese widmet.

Jeder Band wird einem inhaltlichen Schwerpunkt zugeordnet und die diesbezüglichen Schriften Frankls (zu Lebzeiten veröffentlichte Bücher und Artikel, Texte aus dem Archiv, übertragene Tonband- und Videomitschnitte) mit ergänzendem Archivmaterial zusammenfassen.

Als Verständnishilfen werden den Bänden Einleitungen vorangestellt und die Texte mit Anmerkungen versehen. Beigefügt ist den Bänden jeweils ein Bildteil, eine erstmalige Dokumentation aus Frankls Privatarchiv zur Person und seinen Werken z.T. mit handschriftlichen Notizen.
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Schwerpunkte der einzelnen Bände
a) Die Psychotherapie in der Praxis - und ausgewählte Vorträge über angewandte Psychotherapie
b) Theorie und Therapie der Neurosen - und weitere Texte zur Neurosenlehre
c) Pathologie des Zeitgeists - und ausgewählte Vorträge über die Psychologie des Alltags
d) Ärztliche Seelsorge - und weitere Grundlagentexte zur Logotherapie und Existenzanalyse
e) Die frühen Schriften (1923-1942)
f) Der unbewusste Gott - und Texte und Gespräche über Psychologie und Religion
g) Die Sinnfrage in der Psychotherapie - und ausgewählte Texte, Vorträge und Gespräche über Logotherapie und Existenzanalyse
h) Im Gespräch - Interviews, Gespräche und Diskussionen über Logotherapie und Existenzanalyse
i) Anthropologische Grundlagen der Psychotherapie - und ausgewählte Texte über Philosophie und Psychotherapie
j) Rezensionen und Notizen - und weitere Texte aus dem Nachlass
k) Fragmente und Notizen - und weitere unveröffentlichte Texte aus dem Nachlass
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"... trotzdem Ja zum Leben sagen" (Bd. 1)

Der 1. Band ist den Jahren 1945-1949 gewidmet und arbeitet die Zeit des Nationalsozialismus sowie Frankls Deportation in die Konzentrationslager Theresienstadt, Auschwitz-Birkenau, Kaufering III und Türkenheim auf.

Briefe und Gedichte Frankls aus den frühen Nachkriegstagen vertiefen den Blick auf den Menschen, der nach seiner Rückkehr nach Wien erfahren musste, dass seine Eltern, seine Braut und sein Bruder dem Wahnsinn der Nationalsozialisten zum Opfer gefallen waren.

Dies drückt ergreifend die erste Strophe eines seiner Gedichte aus: "Ihr lastet so auf mir, ihr meine Toten: | Ihr seid um mich als schweigende Verpflichtung, | für euch sein; | so ist mir nun geboten | zu tilgen, was euch schuldet die Vernichtung.!
Die Aufarbeitung der Zeit in den Konzentrationslagern

Mit dem Abdruck von Frankls Buch "... trotzdem Ja zum Leben sagen", dessen Titel einer Strophe des Buchenwald-Liedes von Fritz Löhner-Beda entnommen ist, wird seine zweite Buchveröffentlichung (aus dem Frühjahr 1946, mit selbst entworfenem Umschlagbild) wieder aufgelegt.

Zunächst erschien das Buch unter dem Titel "Ein Psycholog erlebt das Konzentrationslager" ohne Nennung des Autors auf dem Titelblatt. Gedacht war es nicht nur als persönliche Aufarbeitung, sondern gemäß Frankls Lebensphilosophie als Nachweis, dass selbst schlimmstes Leid dem menschlichen Leben nicht seinen unbedingten Sinn nehmen kann.

Der Mensch ist auch angesichts größten Übels dazu fähig, aufgrund seiner existenziellen Freiheit eine "Tragödie in einen Triumph zu verwandeln".
Der späte Erfolg

Während Frankls erstes Buch "Ärztliche Seelsorge" ein Bestseller wurde, blieb der Absatz dieses seines zweiten weit hinter den Erwartungen. Erst die durch den Präsidenten der American Psychological Association, Gordon W. Allport, geförderte englische Übersetzung 1959 ("From Death-Camp to Existentialism" und ab 1963: "Man's Search for Meaning") brachte dem Buch den großen Erfolg.

Weltweit liegt das Buch mittlerweile in 150 Ausgaben mit zehn Millionen Exemplaren vor; von der American Library of Congress wird es unter den zehn einflussreichsten Bücher in Amerika genannt.

Frankl resümiert rückblickend mit Verwunderung über den Erfolg gerade dieses Buches, "das ich garantiert in dem Bewusstsein schrieb, es würde anonym herauskommen und könnte mir zu keiner Zeit persönliche Erfolge einbringen."
Wissenschaftliche Grundlagen und Weiterentwicklung

Sein schon in der Gymnasialzeit entwickeltes unbändiges Interesse für die Psychologie dokumentiert sich in einem Briefwechsel mit Sigmund Freud, der sein erster renommierter Förderer werden sollte.

Doch sehr bald wandte sich Frankl von der Psychoanalyse Freuds zur Individualpsychologie Alfred Adlers zu. Von dessen "orthodoxen" Linie abgehend, entwickelte er die Logotherapie als eine Psychotherapie, die über die Klärung und Heilung psychischer Konflikte die geistige Dimension des Menschen ansprach.

Philosophisch untermauert und vertieft wurde sie durch die Existenzanalyse, deren Begriff er 1933 prägte. Diese Einbeziehung des Geistlichen in die Psychotherapie führte auch zum Bruch mit Adler.
Gelebte Wissenschaft
Frankl konzentrierte sich fortan auf die wissenschaftliche Dokumentation der Logotherapie und Existenzanalyse, sammelte seine Erfahrung zugleich aber auch in psychiatrischer und psychotherapeutischer Tätigkeit. Erste Erfolge waren die von ihm ab 1928 zunächst in Wien organisierten Beratungsstellen für in seelische Not geratene Jugendliche.

Ab 1930 zeigte sein Wirken mit den Beratungsstellen speziell für Schüler, unter denen die Selbstmordrate gerade vor der Zeugnisvergabe anstieg, weitere Erfolge. Diese Sonderaktion, bei der Jugendliche anonym und kostenlos beraten wurden, senkte die Selbstmordrate unter Jugendlichen erheblich, 1931 wurden keine Schülerselbstmorde mehr in Wien verzeichnet.

Neben anderen freien Mitarbeitern betreute er insgesamt rund 900 derartiger Fälle. Mit diesem Erfolg begann man sich für Frankls Aktivitäten und Forschungen auch im Ausland zu interessieren.
Die Zeit des Nationalsozialimus

Frankls Notizen zur Rekonstruktion von "Ärztliche Seelsorge"
Frankl, der 1930 seine Ausbildung zum Facharzt für Neurologie und Psychiatrie abschloss, konnte 1938 zunächst noch praktizieren, erhielt 1940 die Leitung der neurologischen Abteilung des jüdischen Rothschildspitals und rettete zahlreiche jüdische Psychiatriepatienten vor dem Euthanasieprogramm Hitlers durch falsche Diagnosen, die jeglichen Hinweis auf psychische Erkrankungen vermieden.

1942 wurde auch er mit seiner Familie deportiert, den Tod des halbverhungerten Vaters erlebte er in Theresienstadt. Unentmutigt linderte er in den Lagern psychisches Leid der anderen, sah darin seine Berufung und ließ sich nicht zur Selbstaufgabe entmutigen.

Nach seiner freiwilligen Versetzung zur ärztlichen Betreuung in die Fleckfieberbaracken im Lager Türkenheim schwer von Typhus gezeichnet, hielt ihn seine wissenschaftliche Arbeit am Leben: Mit aller Entschlossenheit versuchte er nächtens sein Manuskript "Ärztliche Seelsorge", das man ihm in Ausschwitz abgenommen hatte, zu rekonstruieren - mit einem Bleistiftstummel, den er zum 40. Geburtstag von einem Kameraden erhielt, und auf der Rückseite von SS-Formularen.
Seine Lebensaufgabe
Die triste Situation nach seiner Rückkehr nach Wien ohne überlebende Verwandte, die sich erst mit seiner zweiten Ehe und der Geburt seiner Tochter Gabriele 1947 bessern sollte, bekräftigte ihn, gerade unter diesen Umständen seinen wissenschaftlichen Verpflichtungen und seiner Gnade des Überlebens nachzukommen, wie er 1945 anmerkt:

"Kein Glück ist mir in diesem Leben geblieben seit den Martyrien meiner Mutter und meiner jungen Frau: Nichts ist geblieben - außer der Verantwortung gegenüber dem geistigen Werk, das ich zu erfüllen habe - immer noch und trotz, oder: vielleicht auch gerade, weil ich so zu leiden habe."
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Details zu Bd. 1
Viktor E. Frankl
"... trotzdem Ja zum Leben sagen"
Und ausgewählte Briefe (1945-1949)
(Viktor E. Frankl - Gesammelte Werke, Band 1)
Herausgegeben von A. Batthyany, K. Biller und E. Fizzotti
Wien: Böhlau Verlag 2005. 17 x 24 cm, geb. 208 S. und 16 S. SW-Abb. - ISBN 3-205-77351-9
->   Bd. 1 der Werkausgabe
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Vorankündigung zu Bd. 2
Viktor E. Frankl
Psychologie des Konzentrationslagers
Synchronisation in Birkenwald
Und ausgewählte Texte 1945 -1996
(Viktor E. Frankl - Gesammelte Werke, Band 2)
Herausgegeben von Alexander Batthyany, Karlheinz Biller,
Eugenio Fizzotti
2005. 17 x 24 cm, geb., ca. 270 S. - ISBN 3-205-77390-X
- Bd. 2 präsentiert Artikel, Interviews und Buchbeiträge Viktor Frankls aus den Jahren 1945 bis 1997 mit den thematischen Schwerpunkten der Psychologie des Konzentrationslagers und des Krieges sowie philosophische und psychologische Beiträge über den Umgang mit Leid und Schuld.
->   Viktor Frankl-Werkausgabe bei Böhlau
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Viktor Frankl-Ausstellung in der Universitätsbibliothek Wien
Foyer der Universitätsbibliothek Wien
Dr.-Karl-Lueger-Ring 1, 1010 Wien
16.3.-13.5.2005
->   Universitätsbibliothek Wien
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Dr. Alexander Batthyany
Dr. phil., wissenschaftlicher Mitarbeiter des Viktor Frankl Instituts in Wien, betreut das schriftliche Archiv und den Privatnachlass von Viktor E. Frankl. Lehrauftrag am Institut für Wissenschaftstheorie der Universität Wien (Schwerpunkt Theorie und Philosophie der Psychologie). Veröffentlichungen über philosophische Psychologie und Logotherapie, darunter (gemeinsam mit David Guttmann, Univ. Haifa) der ersten umfassenden Forschungsbibliographie über empirische Studien zur Logotherapie und Existenzanalyse (1975-2005).
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Univ.-Prof. Dr. Karlheinz Biller
Lehrt Pädagogik an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel. Biller ist Mitglied von nationalen und internationalen Gesellschaften und war von Oktober 1999 bis September 2003 Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Logotherapie und Existenzanalyse (DGLE). Er forscht auf den Gebieten der Entwicklung (a) eines mehrperspektivischen personalen Ansatzes zur Erklärung von Gewalt und (b) einer sinnorientierten Pädagogik.
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Univ.-Prof. Dr. Eugenio Fizzotti
Lehrt Religionspsychologie an der päpstlichen Universität Salesiana der Salesianer Don Boscos in Rom und hat auch Lehraufträge an mehreren weiteren italienischen Universitäten inne. Fizzotti hat in Wien bei Viktor E. Frankl Logotherapie studiert und ist Verfasser zahlreicher Bücher und Artikel über Frankls Logotherapie. Er ist Herausgeber der italienischen Fachzeitschrift für Logotherapie und Gründungsmitglied der italienischen Logotherapiegesellschaft (A.L.AE.F.) sowie deren Präsident.
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Mehr zu Viktor Frankls 100. Geburtstag in oe1.ORF.at:
->   Logotherapie und Existenzanalyse Viktor Frankls
->   Der Wille zum Sinn
 
 
 
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