Christian Gastgeber
Österreichische Nationalbibliothek
BIBLOS-Redaktion und Österreichische Akademie der Wissenschaften, Institut für Byzanzforschung
 
ORF ON Science :  Christian Gastgeber :  Gesellschaft 
 
Zum 15. Todestag Bruno Kreiskys am 29. Juli
Ein Rückblick politischer Kontrahenten aus der Distanz
 
  Am 29. Juli jährt sich zum 15. Mal der Todestag von Bruno Kreisky. Neben der Analyse seiner politischen Ära widmet sich eine neue Publikation vor allem dem Blickwinkel seiner Koalitionspartner und Oppositionsgegner.  
Die Aufarbeitung der Ära Kreisky
Robert Kriechbaumer, Professor für Neuere Zeitgeschichte und seit 1993 wissenschaftlicher Leiter der Dr.-Wilfried-Haslauer-Bibliothek in Salzburg, ließ auf 554 Seiten die Ära Kreisky (1970-1983) noch einmal Revue passieren.

Etwa die Hälfte des Buches beinhalten Interviews und Statements von Oppositionsgegnern bzw. Koalitionspartnern der ÖVP und FPÖ - somit eine gute Gelegenheit, das Phänomen Kreisky aus zeitlicher Distanz zu beurteilen.

Das Gedenkjahr bietet sich dazu zusätzlich an, war Kreisky doch einer der Mitverhandler seitens der SPÖ für den Staatsvertrag und nahm an der Reise der Regierungsdelegation 1945 nach Moskau teil.
Die kollektive Erinnerung

Kreisky als "Retter" der Verstaatlichten Industrie (Ironimus)
Kreisky wurde von seiner Heimatstadt Wien mit einer Wohnhausanlage (1017 Wien), einer Gasse (1010), einem Platz (1220) und einem Park (1050) auf seinen Namen geehrt, eine Fülle an Literatur wurde und wird seinem politischen Wirken gewidmet, drei Institutionen (Stiftung Archiv, Forum für Internationalen Dialog, Menschenrechtsstiftung) hüten das materielle und geistige Erbe Kreiskys.

Seine Prägung und sein Einfluss auf die österreichische Politik der Zweiten Republik sind unbestritten.

Die Erinnerung an ihn ist verbunden mit Stichworten oder Namen wie Hannes Androsch, Friedrich Peter, Josef Taus, Alois Mock, Kardinal Franz König, Bildungsreform, Universitätsreform, Fristenlösung, Verstaatlichte Industrie, Austro-Keynesianismus, Zwentendorf, ORF-Reform, AKH ... je nach subjektivem Befinden erweiterbar.
Der Aufstieg
Als am 6. März 1966 die SPÖ ihre größte Wahlniederlage in der Zweiten Republik hinnehmen musste, stellte sich die Frage nach einer Neupositionierung. Die ÖVP begann schließlich unter Josef Klaus eine Alleinregierung, die SPÖ fand sich auf der Oppositionsbank wieder.

In der SPÖ erging der Ruf nach einer Ablösung des Parteivorstandes unter Bruno Pittermann, Bruno Kreisky wurde schließlich am 18. SPÖ-Parteitag (30.1.-1.2.1967) gegen den Widerstand der Gruppe Pittermann-Waldbrunner-Benya zum Parteivorsitzenden gewählt, bemühte sich aber sofort um eine Aussöhnung und um ein geschlossenes Bild.

Es galt das Image der reinen Sozialpartei auch auf den Wirtschaftssektor zu erweitern und damit in eine Domäne der ÖVP einzubrechen, die Jugend sowie die Mittelschichten zu gewinnen und die SPÖ als zeitgeistige, linksliberale Partei gegenüber dem konservativem Erscheinungsbild der ÖVP zu positionieren.
Die Minderheitenregierung
Die Rechnung Kreiskys ging auf, wie die Landtagswahlen 1967-1969 bereits verdeutlichten. Im Vorfeld der Nationalratswahl 1970 kam der SPÖ noch das Volksbegehren zur 40-Stunden-Woche (mit Druck auf die ÖVP), die Erosion der Demokratischen Fortschrittlichen Partei Franz Olahs sowie Kreiskys Postulat der sechstmonatigen Wehrplicht zugute: Die SPÖ hatte mit 48,4 Prozent die ÖVP mit 44,7 Prozent überholt.

Erwartet wurde nun die große Koalition. Kreiskys strebte jedoch auf eine Minderheitsregierung (mit Duldung seitens und Zugeständnissen an Friedrich Peters FPÖ); er ließ die Verhandlungen mit der ÖVP scheitern, die Minderheitenregierung Kreisky wurde am 20. 4. 1970 von Bundespräsident Jonas gebilligt.
Michael Graff (ÖVP) über die Wahlniederlage 1970
Michael Graff (ÖVP) über die Wahlniederlage 1970 seiner Partei: "In der Partei herrschte eine tiefe Niedergeschlagenheit und Frustration, die sich noch steigerte, als deutlich wurde, dass Kreisky das tat, was in der Partei immer als Tabubruch gegolten hat: ein direktes politisches Arrangement mit der FPÖ. Klaus war einem solchen stets ablehnend gegenübergestanden. ...

Klaus persönlich war vom Wahlergebnis maßlos enttäuscht. Er hat in seinem Innersten wohl eher die Meinung vertreten, er müsste auf Grund der Leistungen der von ihm geführten ersten Alleinregierung der Zweiten Republik die absolute Mehrheit zumindest behalten, wenn nicht sogar ausbauen. ...

Wie wir heute im Rückblick, bei dem man bekanntlich immer gescheiter ist, bekennen müssen, fehlte es aber der ÖVP-Alleinregierung an Liberalität. Sie hatte letztlich einen gewissen klerikalen Touch und verstand es nicht, trotz ihrer unbestreitbaren Erfolge, eine konservativ-liberale Mehrheit zustande zu bringen."
Erhard Busek (ÖVP): Keine Beziehung zur FPÖ
Erhard Busek (ÖVP): "Man vertrat die Meinung, dass er einfach mit uns reden muss. Dabei existierte in der ÖVP eine eigenartige Fixierung auf die Meinung, dass man mit der FPÖ nicht reden kann.

Diese war einerseits durch die Festlegung von Klaus im Wahlkampf bedingt, zum anderen resultierte sie auch aus einer dominanten Tradition der Partei. Es gab eigentlich kaum jemanden in der ÖVP, der eine engere Beziehung zur FPÖ hatte, und für die meisten meiner Generation war eine Koalition mit der FPÖ damals einfach unmöglich."
Der ungebrochene Erfolg
Der Erfolgskurs der SPÖ war zugleich einer Annäherung an Friedrich Peter zuzuschreiben (mit dem die ÖVP eine Koalition ablehnte); Peter unterstützte Kreisky bei seinem Neuwahlantrag im Juli 1971 (die Bundespräsidentenwahl mit Jonas' Sieg gegen Kurt Waldheim war der Stimmungsbarometer).

Der 10. Oktober brachte der SPÖ nun tatsächlich 50 Prozent der Wählerstimmen, ein Erfolg der noch 1975 (50,4 Prozent ) und 1979 (51 Prozent) überboten wurde, bis die ÖVP zu erstarken begann (Alois Mock trat als neuer und junger Kontrahent der ÖVP auf) und die absolute Mehrheit der SPÖ langsam schwand.

1983 (47,6 Prozent) wurde mit Norbert Steger die SPÖ-FPÖ-Koalition eingegangen, ehe 1986 (43,1 Prozent) die große Koalition mit der ÖVP wieder belebt wurde. 1983 zog sich Kreisky aus der Politik zurück, Fred Sinowatz übernahm die Leitung der SPÖ.
Bruno Kreisky, gesehen von Ironimus (1973)
 


Alexander Götz (FPÖ): Zustimmung zu Neuwahlen 1971
Alexander Götz (FPÖ): "Zunächst einmal rechnete niemand in der Partei mit der absoluten Mehrheit der SPÖ. Man würde also die FPÖ als Regierungspartner benötigen, wenn es zu keiner Neuauflage der großen Koalition kommen sollte.

Und zum anderen war durch die inzwischen verabschiedete Wahlrechtsreform klar, dass wir mit mehr Mandaten in den neuen Nationalrat einziehen würden. Mehr Mandate bedeutete auch eine bessere finanzielle Basis für die Partei, die ja mit Ausnahme der Mitgliedsbeiträge kaum über sichere Finanzquellen verfügte."
Josef Taus (ÖVP): Fernsehdiskussion mit Kreisky 1975

Kreiskys Wahlsieg über Josef Taus 1975
Josef Taus (ÖVP): "Mir war das Fernsehen zwar keineswegs fremd, denn ich war relativ oft als Experte im Fernsehen aufgetreten. Doch der Experte unterliegt anderen Mediengesetzen als der Politiker.

Er kann seine Expertenmeinung sagen, ohne darauf achten zu müssen, ob das, was er sagt, vom Großteil des Publikums verstanden wird, oder ob dieses findet, dass seine Krawatte eigentlich nicht zu seinem Anzug passt. ...

Ein Professor kann sich eben vieles leisten, was sich ein Politiker nicht leisten kann, und trotzdem noch als gut gelten. Mein eigentliches Problem dieser ersten Fernsehdiskussion 1975 mit Kreisky und Peter bestand jedoch nicht darin, dass ich wie ein Experte anstatt wie ein Politiker redete, sondern dass mir das 'gelbe Kuvert' präsentiert wurde. Ein Abgeordneter der ÖVP hatte einem Journalisten Geld für dessen publizistische Ratschläge und Wohlmeinung angeboten."
Alois Mock (ÖVP) zur Fernsehdiskussion 1983
Alois Mock (ÖVP): "Er war nicht nur der erste Bundeskanzler, der mit dem Medium Fernsehen virtuos umzugehen wusste, sondern der auch die Meinungsforschung bewusst in seine politische Strategie einbezog.

Ich habe mich gezielt auf die Fernsehkonfrontation mit Kreisky im Vorfeld der Nationalratswahlen 1983 vorbereitet. Kreisky hat mich sicherlich falsch eingeschätzt. Ich glaube zu wissen, dass er mich bloß als netten Menschen, der ihn allerdings manchmal nervte, sah und mein programmatisches, grundsatzorientiertes Interesse und vielleicht auch meine Ausdauer unterschätzte. ...

Während der Diskussion konnte ich zweierlei feststellen: Kreiskys Argumente wiederholten sich, und er begann sichtlich nervös zu werden. ... Im Rückblick, so glaube ich, war es die erste politische Diskussion im Fernsehen, die er nicht gewann."
Ehemalige Nationalsozialisten als Regierungspartner
Kontroversiell gestaltete sich Kreiskys Annäherung an die ehemaligen Nationalsozialisten. Kritik rief dies nicht zuletzt seitens Simon Wiesenthals hervor, worin zwei verschiedene Standpunkte aneinanderprallten (Aufarbeitung versus Vergessen).

Für den Sozialisten Kreisky waren die Februarereignisse 1934 das bei weitem prägendere Schlüsselerlebnis als 1938, unter dem Schlagwort des "notwendigen Schlussstriches" war ein Werben im dritten Lager durchaus legitim, auch um vier Regierungsmitglieder der Minderheitsregierung Kreisky.

Der Streit sollte im Herbst 1975 eskalieren, als Wiesenthal Friedrich Peters Vergangenheit (Mitglied der 1. SS-Infanteriebrigade) nachforschte. Kreisky reagierte sehr empfindlich (es stand ja eine Koalition mit der FPÖ auf dem Spiel) und denunzierte Wiesenthal ("Gestapo-Gehilfe").
Friedrich Peter (FPÖ) zu einem KZ-Besuch 1976
Friedrich Peter (FPÖ): "Anfang 1976 rief er mich an und sagte: 'Ich mache demnächst einen Staatsbesuch in der Tschechoslowakei. Ich lade Sie ein, fahren Sie mit'. Darauf antwortet ich: 'Herr Bundeskanzler, in dieser Situation wollen Sie mich mitnehmen?'. Er erwiderte: 'Na, Herr Kollege, über eines müssen Sie sich im Klaren sein, entweder Sie fahren mit, oder Sie sind politisch tot'. ...

Bei diesem Staatsbesuch stand auch ein Besuch des Konzentrationslagers Theresienstadt auf dem Programm. ... Nach dem Essen sagte mir [Johannes] Kunz [Kreiskys Pressesprecher]: 'Kreisky sagt, Sie müssen mitfahren. Er werde in Theresienstadt erklären, dass er 28 Familienmitglieder in Theresienstadt verloren hat, aber trotzdem der Meinung ist, dass ihn Friedrich Peter bei diesem Besuch begleiten soll.'"
Die ersten faulen Sümpfe
Der Sozialismus, wie in Kreisky repräsentieren wollte und mit dem er anfangs Erfolg hatte, stieß neben den Problemen des Steuerstaates und der Verstaalichten Industrie nicht zuletzt mit der absoluten Mehrheit und den im Rausch des Sieges offenbarten menschlichen Schwächen der Führungsspitze auf Krisen, die das politische Image der 70er und 80er dominieren sollte.

In Wien wurde Felix Slavik (durch Leopold Gratz 1973) ausgetauscht, in Kärnten wurde Landeshauptmann Hans Sima (Kontrahent im Ortstafelstreit) 1974 ausgetauscht.
Die Skandale
Die folgenden Jahren waren neben Kreiskys privaten Auseinandersetzungen mit Hannes Androsch von drei gewaltigen Skandalen (AKH, Lucona, Noricum) überschattet.

Resignierend hielt er kurz vor seinem Tod fest: "Wenn man Sozialist ist, darf man nicht korrupt sein ... Ich war sehr unglücklich, als ich ... feststellen musste, dass das nicht so war. Wir haben uns nicht besser bewährt (als die anderen). Wir sind korrupter geworden. Wir sind unseren Grundsätzen nicht treu geblieben."
Charakterisierung Kreiskys durch Josef Taus (ÖVP)
Josef Taus (ÖVP): "Er war sicher einer der erfolgreichsten Parteipolitiker der Zweiten Republik. ... Zum anderen war Kreisky ein sehr zivilisierter Mann, aus einem bürgerlichen Haus stammend, mit einer guten humanistischen und historischen Bildung.

Es war angenehm, mit ihm zu diskutieren. Ich habe Gespräche mit ihm immer als angenehm empfunden, denn er war ein Mann, mit dem man reden konnte und der auch hilfsbereit war. Bei all dem war er aber ein Mann, der vor allem seiner Partei gedient hat. Er war ein überzeugter 'Roter'."
Gerd Bacher zu seiner Wiederwahl als Generalintendant des ORF 1978
Gerd Bacher: "Ich hatte den Wahlsieg ausgiebig gefeiert, lag schon im Bett, als Kreisky, aus Paris zurück, am Telefon war. ... Kreisky: 'Glauben Sie, dass es ohne mich überhaupt gegangen wäre?' Das glaubte ich. Und Kreisky: 'Na, das ist auch egal, wir wollen uns darüber jetzt nicht streiten, wollen Sie zu mir auf eine Eierspeis kommen?' ...

Nach einer guten Stunde fragte ich den Bundeskanzler, warum er mich zur Eierspeis geladen hätte. Kreisky meinte, ich sollte nicht immer so direkt sein. Ich meinte darauf: Nach einer Stunde sei es doch nicht zu früh, ich wisse doch, dass er mich nicht zur Eierspeis einlud, um mir zu meiner Wahl zu gratulieren.

Es ging um eine Personalfrage, gar keine sehr wichtige, aber für ihn erschien sie offensichtlich wichtig genug. Würde ich ihm diesen Wunsch erfüllen, so hätte ich, solange er Bundeskanzler wäre, keine Schwierigkeiten mehr zu erwarten."
...

Die Ära Kreisky
Robert Kriechbaumer
Österreich 1970-1983 in der historischen Analyse, im Urteil der politischen Kontrahenten und in Karikaturen von Ironimus.
(Schriftenreihe des Forschungsinstitutes für politisch-historische Studien der Dr.-Wilfried-Haslauer-Bibliothek, Band 22)
Wien, Köln, Weimar: Böhlau 2004/5
568 Seiten, 31 Karikaturen
ISBN 3-205-77262-8
->   Info zum Buch
...
...

Die Autobiographie Bruno Kreiskys
Bruno Kreisky
Memoiren in drei Bänden
1) Zwischen den Zeilen, 2) Im Strom der Politik, 3) Der Mensch im Mittelpunkt. Das Vermächtnis eines großen Europäers
Herausgegeben von O. Rathkolb, J. Kunz und M. Schmidt.
1342 Seiten
Wien, Münschen, Zürich: Kremayr & Scheriau
ISBN: 3-218-00684-8
->   Info zum Buch
...
Bruno Kreisky-Forum für Internationalen Dialog

Armbrustergasse 15
A-1190 Wien
Tel: +43-1-318 8260
Fax: +43-1-318 8260/10
e-mail: kreiskyforum@kreisky.org
->   Homepage
Stiftung Bruno Kreisky-Archiv

Rechte Wienzeile 97
A-1050 Wien
Tel.: +43 /1/ 545 75 35 / 32
Fax: +43 /1/ 545 30 97
Mo - Fr 9:00-15:00
e-Mail: archiv@kreisky.org
->   Homepage
Bruno Kreisky-Menschenrechtsstiftung
->   Homepage
...

Dr. Wilfried-Haslauer-Bibliothek
Forschungsinstitut für politisch-historische Studien
Griesgasse 17, 5020 Salzburg
Postfach 122, 5010 Salzburg
Tel. ++43 (0)662 846666
Fax: ++43 (0)662 841200
e-mail: haslauer.bibliothek@sbg.ac.at
->   Homepage
...
->   Eröffnung des Bruno-Kreisky-Archivs
->   oesterreich.ORF.at: Park in Wien wird nach Bruno Kreisky benannt
 
 
 
ORF ON Science :  Christian Gastgeber :  Gesellschaft 
 

 
 Übersicht: Alle ORF-Angebote auf einen Blick