Christian Gastgeber
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Karl Gruber: Der vergessene Außenminister  
  Das Gedenkjahr 2005 gibt Anlass, das Wirken des ersten Außenministers der 2. Republik, Karl Gruber, Revue passieren zu lassen. Eine Sammlung relevanter Dokumente seines Wirkens von 1945 bis 1953 wurde durch den Historiker Michael Gehler zusammengestellt und bringt Licht in seine mittlerweile vergessene Amtsperiode.  
2005: Die Genannten und die Ungenannten
Das Staatsvertragsbild von Robert Fuchs ist 2005 wohl kaum noch jemandem unbekannt. Figl, Raab, Schärf und Renner erkennt die Mehrheit auf den zahlreich affichierten Plakaten mittlerweile auch. Die Balkonszene im Belvedere ist ebenfalls zur Genüge medial präsent, wieder mit Figl, Raab und Schärf. Das sind auch die Namen, die sich ins kollektive Gedächtnis der Österreicher zum Stichwort Staatsvertrag eingeprägt haben. Aber wer kennt schon Raabs Vorgänger als Außenminister, Karl Gruber, und seinen Einsatz für den Staatsvertrag?
Ein Tiroler im Widerstand gegen den Nationalsozialismus

Gruber 1945
1909 in Innsbruck geboren beteiligte sich Gruber im Widerstand gegen das Naziregime. Er nahm Teil an der Übergabe der Stadt Innsbruck am 3. 5. 1945 zwischen 19.00 und 20.00 Uhr an die 103. US-Infanterie-Division, nachdem die Widerstandsgruppen das Landhaus nach der Räumung durch die Nationalsozialisten um 14.00 Uhr besetzt hatten.

Gruber wurde - wegen interner Streitigkeiten unter den Gruppen - als Integrationsfigur zum Vorsitzenden des Exekutiv- und Ordnungsausschusses der Österreichischen Widerstandsbewegung in Tirol gewählt, einer provisorischen Regierung. In weiterer Folge wurde er Landeshauptmann von Tirol.
Das Geschichtsbild, wie es zu 1938 kam
Die Ereignisse von 1934 werden in einer seiner ersten Reden 1945 (November) noch beschönigt, und nicht zuletzt wurde den Sozialdemokraten die Schuld an 1938 gegeben; sie hätten sich - ebenso wie die Heimwehr - einer großen Koalition im Kampf gegen die Nazisozialisten unter Ausschaltung der demokratischen Freiheiten verweigert: "Die Schaffung des österreichischen Autoritätsstaates war ... überhaupt unvermeidlich ... Die Kräfte, welche die große Koalition verhinderten, waren die Heimwehr und der radikale Flügel der sozialdemokratischen Partei. Als Seipel an Bauer das Anerbieten stelle, die große Koalition zu begründen, wurde diese infolge der stark doktrinären Auffassungen Bauers abgelehnt."

Und doch wird selbst der rechte Flügel der Heimwehr entschuldigt: "Die Heimwehrführung hat keinen Rassenhass gekannt, im Gegenteil, Juden haben sogar im Kreise ihrer Förderer eine nicht unbeträchtliche Rolle gespielt. Ihr Ziel war auch nicht imperialistisch. Die österreichische Heimwehr wurde geboren in einer Zeit, in der die roten Diktaturen in Ungarn, Bayern und Oberitalien ein gewiß nicht unbeträchtliches Gefahrenmoment für Besitz und Ordnung darstellten ... Es hat in der Heimwehr tausende ehrliche Bauernsöhne gegeben, denen nicht anderes am Herzen lag, als die nach ihrer Meinung notwendige bewaffnete Verteidigung ihrer Dörfer und des Staates."
Der Umgang mit den Nationalsozialisten
Im September 1945 setzte sich Gruber mit den Nationalsozialisten auseinander, er wollte dieses Problem aber nicht auf die temporäre Erscheinung einer Partei begrenzen, sondern den Nährboden für derartige Parteien ausrotten, durch ein sozial gefestigtes und wirtschaftlich erstarktes Österreich.

Gruber wandte sich gegen eine radikale Ausgrenzung der ehemaligen Parteimitglieder wie auch gegen zu große Nachsicht: Nach seinem Mittelweg sollten die Schuldigen selbstverständlich bestraft werden, bei Mitläufern sei bedingte Nachsicht geboten: "Wer nunmehr beweist, dass er die historische Schuld des Nazismus erkannt hat und demgemäß seinen Wiedergutmachungsbeitrag leistet, kann am schnellsten die volle Anerkennung seiner Mitbürger finden."

Der Wiederaufbau des Staates mit einer starken und zukunftsreichen Wirtschaft für die Jugend und der Aufbau der Demokratie standen für ihn im Vordergrund. Am 16. Oktober wandte er sich vehement gegen "papierne Lösungen" anhand der Eintragungsnummern in der NSDAP: "Wir haben in diesem Krieg genug Menschen getroffen, die nicht Parteimitglieder waren und die trotzdem typische Vertreter der faschistischen Ideologie gewesen sind. Und es hat unter den gepreßten Parteimitgliedern aufrechte Kämpfer für Österreichs Unabhängigkeit gegeben."
Die Südtirolfrage

Rede zur Südtirolfrage am 4. 9. 1945
Eine der ersten Aufgaben des neu berufenen Außenministers sollte der Versuch sein, die alliierten Mächte zur Rückgabe von Südtirol zu bewegen; so bereits am 4. September 1945 unter dem Motto "Österreich ruft Südtirol, Südtirol ruft Österreich". In mehreren Reden und Aufmärschen engagierte er sich für den Verbleib Südtirols bei Österreich.

Gruber sah darin auch ein stärkendes Element gegen eine russische Wirtschaftshegemonie in Ostösterreich: "Mit der Rückgliederung dieses österreichischen Bauernvolkes mit seiner reichen Frucht- und Gemüseproduktion ist Österreich gegen Hegemoniebestrebungen viel besser gesichert. Während die Südtiroler Bauern im Staatsverband Italiens ein Element der Anarchie darstellen, tragen sie in Österreich in hervorragendem Maße zur politischen Stabilität bei."

Die Außenministerkonferenz der vier Großmächte in Paris (25.4.-16.5.1946) sprach sich jedoch dagegen aus. Frankreich, das anfangs in dieser Frage Österreich noch wohl gesonnen war, gab diese Position schließlich zugunsten der "wichtigeren" europäischen Stellung Italiens auf. Gruber musste seine Forderungen immer weiter zurückstecken; als Grundlage eines zukünftige Völkerverständnisses konnte am 5. September 1946 mit dem italienischen Ministerpräsidenten Alcides De Gaspari eine grundsätzliche Vereinbarung erarbeitet werden.
Die Auseinandersetzung mit dem Kommunismus

Bilaterales Abkommen mit den USA; Schärf und Gruber
Wenn der Name Grubers in historischen Reminiszenzen auftaucht, dann in seiner intensiven Auseinandersetzung mit dem Kommunismus. Stets stand er mit der kommunistischen Presse auf Kriegsfuß und zeigte politische Verleumdungen der KPÖ auch offen auf (etwa am 14. Juni 1947 in einer Radioansprache "So viel Lügen als Zeilen").

Es ist dies auch die Zeit, als seine eigene Partei ein mögliches Zugeständnis an die KPÖ in einer Regierungszusammenarbeit machen will, die sich zu einem heftigen Skandal entwickeln sollte.

Gruber wies nun fortwährend auf die "kommunistische Gefahr" hin, sehr plastisch am 6. Oktober 1947: "Bereits bei ihrer 1.-Mai-Demonstration wurden Galgen für Regierungsmitglieder mitgetragen. Das können sie sich allerdings ersparen, denn wir wissen gut genug, daß, wenn sie jemals die Möglichkeit hätten, ihr Galgenregime in Österreich aufzurichten, das Leben der Führer der übrigen Parteien keinen Groschen mehr wert wäre. In den Versammlungen rufen ihre Stoßtrupps: Aufhängen, aufhängen, niedermachen!"
Gegen den Kommunisten Ernst Fischer
Sein direkter Konfrontationsgegner in der Bundesregierung war der Nationalratsabgeordnete und Staatssekretär Ernst Fischer (der selbst infolge der Niederschlagung des Prager Frühlings aus der KPÖ austrat). Zu heftigen Auseinandersetzungen kam es infolge eines vertraulichen Treffens von Bundeskanzler Figl (unter Ausschluss der SPÖ) mit Fischer in der Wohnung des ÖVP-Abgeordneten Kristofics-Binder.

Gruber leitete dies an den Wiener Kurier weiter, der von dem Treffen am 9. Juni 1947 berichtete. Es folgte eine Bundesparteivorstandstagung der ÖVP (10.6.) und eine Nationalratssitzung (11.6.). Am 14. Juni hielt Gruber eine Radioansprache, in der er weitere bilaterale Vereinbarungen mit der Sowjetunion - ohne Zugeständnisse der Westmächte - ablehnt und gegen eine Einbindung der KPÖ in der Regierung auftritt.
Forderung des Abzuges der Alliierten

Gruber im BBC-Interview nach der Londoner Konferenz 1947
Sein Einsatz galt ab 1947 intensiv dem baldigen Abzug der Besatzungsmächte und der Wiederherstellung der territorialen Integrität und staatlichen Souveränität Österreichs. Die Aufstellung eines eigenen Bundesheeres erschien ihm eine wichtige Grundvoraussetzung zum Überleben des Staates nach dem Abzug der Alliierten.

Die Bemühungen um die Staatsvertragsverhandlungen 1948 blieben erfolglos, im November 1949 sah Gruber Österreich kurz vor der Unterzeichnung des Staatsvertrages, doch die Großmächte bremsten den österreichischen Enthusiasmus.

In dieser Zeit hielt Gruber mehrere Reden, in denen er die Verzögerungstaktik der Alliierten anprangerte: "Wir müssen verhindern, daß die österreichische Frage ad infinitum verschleppt wird. Wir müssen den Großmächten klarmachen, daß diese als Befreiung getarnte Okkupation nunmehr zu Ende gehen muß. Wir müssen ihnen klarmachen, daß die Geduld des österreichischen Volkes nach vier Jahren restlos erschöpft ist. Wir müssen ihnen klar machen, daß von nun an die österreichische Regierung eine Politik verstärkter Aktivität betreiben wird, daß die österreichischen Interessen gegenüber allen Aufträgen und Befehlen der alliierten Regierungen prävalieren weden." (20.5.1949)
Stärkere Einbeziehung der Nationalsozialisten

Wahlplakat der ÖVP 1949
In seinem Kampf um den Abzug der Alliierten und gegen den Kommunismus reichte er den Nationalsozialisten - erneut - die Hand zur Mitarbeit kurz vor den Nationalrats- und Landtagswahlen am 9. Oktober 1949, nachdem am 9. September erstmals der Verband der Unabhängigen, die Vorgängerpartei der FPÖ, gestattet wurde.

So richtet er am 17. September ein "offenes Wort an die ehemaligen Nationalsozialisten": "Ich habe Verständnis für die schwierige Lage, die für sie entstand, als unserer Regierung die NS-Gesetze aufgezwungen wurden. Wir haben diese Gesetzte von Anbeginn als ein Unglück empfunden. ... Die Kommissionen der Alliierten waren daran, um nach eigenem Gutdünken die Entnazifizierung durchzuführen, wahllos und willkürlich alles hinauszuwerfen und gleich andere mitzunehmen, die ihnen nicht genehm waren. ... Es ist unser fester Entschluß, so rasch als möglich, wenn vor allem der Staatsvertrag alle fremden Einflussnahmen beseitigt, die Liquidierung der Ausnahmegesetze durchzuführen ..."
Rücktritt 1953, USA-Botschafter 1954
Nachdem in der ÖVP Figl am 2. April 1953 in seiner Funktion als Bundeskanzler durch Raab ersetzt wird, schien sich auch für Gruber das Blatt gewandt zu haben. Seine proamerikanische Einstellung war mit ein Hindernis für einen Vertragsabschluß mit der Sowjetunion. Es dauerte noch bis November des Jahres, als die Memoiren Grubers "Zwischen Befreiung und Freiheit. Der Sonderfall Österreich" im Ullstein-Verlag und die darin erneut thematisierten Figl-Fischerei (wie die Gespräche von 1947 bezeichnet wurden) ihn zum Sturz brachten.

Gruber trat als Außenminister zurück und wurde am 19. Jänner 1954 zum Botschafter von Amerika ernannt; der zuvor seines Amtes enthobene Figl wurde zum neuen Außenminister, der nach Stalins Tod am 5. März 1953 mit Chrustschow eine Wende zu weiteren Verhandlungen einleitete. Die russische Presse nahm den Rücktritt Grubers als Außenminister mit Genugtuung auf.
Gruber als Vermittler in der Waldheim-Debatte

Gruber im Einsatz für Waldheim
Fast 80jährig sollte Gruber durch seine Beziehungen zu den Vereinigten Staaten in heikler Mission wieder zum Einsatz kommen. 1986/87 setzte er sich als Sonderbotschafter in den USA zur Vermittlung in der Waldheim-Debatte ein (Waldheim war einst sein Sekretär als Außenminister).

Am 1. Februar 1995 starb er in seiner Heimatstadt Innsbruck.

[7.10.05]
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Dokumente und Reden
Michael Gehler (Hrsg.)
Karl Gruber. Reden und Dokumente 1945-1953
532 Seiten, 12 schw.-w. Abb.
ISBN 3-205-98169-3
Wien: Böhlau
->   Böhlau-Verlag
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