Christian Gastgeber
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Tagung zur Schriftstellerin Mimi Grossberg  
  Das Leben der in Wien geborenen Schriftstellerin Mimi Grossberg war geprägt von Vertreibung, Verzweiflung und Versöhnung. Eine Tagung am Institut für Wissenschaft und Kunst in Wien (21.10.05) geht den vielfältigen Aspekten einer bewegten Biografie nach.  
Zur Person Mimi Grossberg

Mimi Grossberg (Foto: Alisa Douer)
Ein Beitrag von Dr. Mag. Susanne Blumesberger

Mimi Grossberg wurde als Emilie Buchwald am 23. April 1905 in Wien in eine begüterte Fabrikantenfamilie geboren. Schon in der Volksschule wurde ihr von der Lehrerin bewusst gemacht, dass sie als Jüdin nicht in die Klassengemeinschaft integriert sei. Sie besuchte kurzzeitig das Schwarzwaldlyzeum und wechselte dann in das Mariahilfer Mädchenlyzeum, wo sie die spätere Schriftstellerin Klara Blum kennen lernte, die für ihr weiteres Leben richtungsweisend wurde.

1924/25 war sie Fremdsprachenbibliothekarin an der Volkshochschule Ottakring. Auf Anraten Klara Blums absolvierte Grossberg 1927 bis 1929 eine Ausbildung zur Modistin, danach arbeitete sie im Hutsalon Dora in der Nußdorfer Strasse 28 im 9. Bezirk.

Sie studierte am Volksheim Ottakring englische Literatur, Kompositionslehre und Individualpsychologie bei Alfred Adler und nahm mit Klara Blum eine Zeit lang an den regelmäßigen Zusammenkünften des Internationalen Vereins für Individualpsychologie im Café Siller teil.
1930 bis 1938

Grossberg 1936, Wien
Nach 1930 verschlechterte sich die finanzielle Situation für Mimi Grossberg, die inzwischen als selbständige Modistin tätig war. Die Fabrik ihres Vaters musste 1934 Konkurs anmelden. Zu dieser Zeit verfasste Mimi Grossberg ihre ersten Gedichte, wurde Mitglied des Bundes Junger Autoren Österreichs, hielt Lesungen und gestaltete Vortragsabende, unter anderem bei zionistischen Jugendgruppen oder beim Wiener Kulturklub. 1935 veröffentlichte sie den Gedichtband "Der Weg zu dir".

Spätestens 1938 beschlossen Mimi Grossberg und ihr Mann, klar, beide jüdischer Herkunft, Österreich zu verlassen. Die Wohnung in der Schottenfeldgasse wurde konfisziert, am 11. Juni 1938 hatte Norbert Grossberg seine Stellung bei der Firma Felix Hochstimm verloren, da sie als jüdischer Betrieb konfisziert worden war. Mittels Affidavits der beiden amerikanischen Schwestern ihres Vaters konnte das Ehepaar Grossberg am 21. September 1938 aus Wien flüchten.
Der schriftstellerische Werdegang
Die Liebe zur Literatur setzte Mimi Grossberg nicht nur in eigene Texte und Übersetzungen um, sondern auch in Bemühungen um österreichische Autorinnen und Autoren, die wie sie im amerikanischen Exil lebten.

Ab 1945 veröffentlichte sie mehrere Anthologien, engagierte sich in der Gruppe des deutsch-jüdischen Kulturvereins "New World Club", betätigte sich als Ausstellungsgestalterin und hielt bis zuletzt Vorträge im Austrian Institute (später Austrian Forum) und im Literarischen Verein in New York.

Sie war auch mit zahlreichen anderen AutorInnen wie Rose Ausländer, Friederike Zweig, Gertrude und Johannes Urzidil, Ernst Waldinger und Mirjam Beer-Hofmann in engem Kontakt.
Das Leben in Amerika

Mimi und Norber Grossberg auf der Emigration nach Amerika, September 1938
Mimi und Norbert Grossberg trafen am 3. Oktober 1938 in New York ein und lebten zunächst bei der Schwester ihres Vaters in New York. Mimi Grossberg hatte damals bereits begonnen in englischer Sprache zu schreiben und übersetzte amerikanische Autoren. Erst als sie 1956 erfuhr, dass der Wiener-Verlag, der 1935 ihren ersten Gedichtband verlegt hatte, wieder existierte, schrieb sie wieder auf Deutsch.

Sehr belastend für Mimi Grossberg war die Tatsache, dass es ihr nicht gelungen war, ihre Eltern aus Wien zu retten. Salomon Buchwald und Adele Durst wurden am 29. Juli 1942 von Wien ins Konzentrationslager Theresienstadt gebracht, am 21. September 1942 nach Maly Trostenez in die Nähe von Minsk weiterdeportiert und dort wahrscheinlich erschossen.

Mimi Grossberg wurde Mitglied des New World Club, 1947 der Wander- und Freizeitgruppe "New York Firsters". Sie begann schon bald kulturelle Abende zu organisieren. Am 6. April 1949 fand ein German-English Author's Evening statt, bei dem auch Philipp Heller und die damals noch unbekannte Rose Ausländer mitwirkten.
Die Brückenbauerin
Mimi Grossberg war sehr an den österreichischen AutorInnen in den USA interessiert, deren Werke und Biografien sie bald in Anthologien und Ausstellungskataloge aufnahm.

Sie hielt zahlreiche Vorträge, u. a. über Arthur Schnitzler, Peter Altenberg, Stefan Zweig, Joseph Roth, die literarische Emigration und andere Themen, publizierte Beiträge in Zeitschriften und wurde schließlich zu einer zentralen Gestalt für österreichische Vertriebene in den USA.
Das literarische Werk
Sie publizierte in den USA weiterhin auch Lyrik, obwohl sie nach 1945 kein unbelastetes Verhältnis zum Dichten mehr hatte: "Mein persönlicher Schmerz über das, was mir drüben angetan wurde, darf in diesen Gedichten nicht gezeigt werden. (...) Solchen Schmerz in Verse zu setzen, ist Sünde (...) Sie würden Freude haben an dem Wissen, dass ihre Tat heute noch schmerzt. Ich will niemandem die Genugtuung geben, nach der er lechzt. Schadenfreude, nicht Reue wäre die Reaktion."

1957 erschien "Versäume, verträume ..." beim Wiener Europäischen Verlag, bei dem auch ihr erster Gedichtband erschienen war. Danach folgten Besprechungen im Österreichischen Rundfunk; bei privaten Anlässen wurde sie gebeten, Gedichte vorzutragen. Bei einer Veranstaltung lernte sie Siegfried Altmann kennen. Er wurde ihr Mentor und riet ihr, sich verstärkt mit Exilautorinnen und -Autoren zu beschäftigen.
Anthologien mit Exilautoren
1964 wurde "Kleinkunst aus Amerika" veröffentlicht. Mimi Grossberg schrieb darin in einem Vorwort: "Die meisten Autoren dieser Anthologie sind Österreicher, die infolge der Ereignisse von 1938 nach den Vereinigten Staaten kamen. Es handelt sich keinesfalls um eine literarische 'Gruppe'. Wir sind, im Gegenteil, bunt zusammengewürfelt, aber es macht uns allen Spaß, uns wieder einmal über unsere Manuskripte zu unterhalten, uns zu fragen, was davon für den Vortrag geeignet wäre und nachzusehen, ob nicht vielleicht etwas darunter ist, das denen, die drüben leben, unsere neue Heimat ein wenig ins Rampenlicht zu rücken vermöchte."

1966 konnte sie einen weiteren Überblick über österreichische Exilschriftsteller in der USA geben. Sie stellte ihre Arbeit unter dem Titel "Geschick und Leistung der österreichischen Emigration von 1938 in den Vereinigten Staaten" vor.
Ausstellung zu den Exilautoren Österreichs (1968)

Grossberg bei einem Vortrag im Austrian Institute, 1975 (Foto J.H. Popper)
1968 arbeitete sie an der Ausstellung "Austrian Writers in the United States, 1938 bis 1965" am Kulturinstitut mit. In New York war damit Pionierarbeit auf dem Gebiet der Erforschung des österreichischen Exils geleistet worden. 1970 wurde die Ausstellung im Amerika-Haus in Wien gezeigt.

In "Österreichs literarische Emigration in den Vereinigten Staaten 1938" meinte Mimi Grossberg: "Die Sprache des Dichters hat mit der Umgangssprache wenig gemein. Sie erwächst aus seiner Persönlichkeit. Sie trägt seinen Stempel, kann weder gewechselt noch verwechselt werden. Der sie wechseln kann, hat sie nie besessen. Die Fremdsprache aber kann im Dichter nicht erstehen, nicht wachsen. Er stößt an sie von außen, sie verrät ihm nicht ihr Letztes, sie entzieht sich seinem Schaffensprozess. Er lebt daher im Fremdsprachenland als doppelt Exilierter."
Gedichte und Studien zu Exilautoren

Grossberg 1992 in ihrer Wohnung in Washington (Foto Alisa Douer)
1972 veröffentlichte sie "Gedichte und kleine Prosa", 1974 "Die k.u.k. Armee in der österreichischen Satire", 1978 "Amerika im austro-amerikanischen Gedicht 1938-1978" und 1982 "Geschichte im Gedicht. Das politische Gedicht der austro-amerikanischen Exilautoren des Schicksaljahres 1938".

In den letzten 20 Jahren ihres Lebens hielt sie mehr als 50 Vorträge in New York und Wien. Anlässlich ihres 90. Geburtstages sprach sie im Literarischen Verein in New York noch über Anton Kuh. Die letzten beiden Lebensjahre verbrachte sie in ihrer Wohnung, wo sie seit 1942 gewohnt hatte. Am 2. Juni 1997 starb sie.
Das Erbe
Mimi Grossberg dokumentierte ihr eigenes Leben in Notizen, Briefen und Kurzgeschichten. Ihr Nachlass besteht nicht nur aus zahlreichen Manuskripten, Büchern, Dokumenten, Briefen, Fotos und 57 Hüte. 1997 kam der Nachlass an die Österreichische Exilbibliothek im Wiener Literaturhaus.
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Tagung (21. 10. 2005)
Institut für Wissenschaft und Kunst, Berggasse 17, 1090 Wien

10.00-10.30 Mag. Dr. Susanne Blumesberger: "Aber Mensch bin ich geblieben." - Ein Porträt der vielseitigen Künstlerin Mimi Grossberg
10.30-11.00 Mag. Siglinde Bolbecher: Von der Courage, über Brücken zu gehen - Meine Begegnungen mit Mimi Grossberg
11.15-11.45 Dr. Evelyn Adunka: Mimi Grossberg und Siegfried Altmann (1887 bis 1963)
11.45-12.15 Dr. Peter Malina: Die Bibliothek Mimi Grossbergs
14.00-14.30 Univ. Prof. Mag. Dr. Helga Embacher: Mimi Grossbergs "Amerika-Bild"
14.30-15.00 Mag. Christian Klösch: Mimi Grossberg und die Ausstellung "Writers in the United States" (New York 1968, Wien, 1969)
15.30-16.00 Mag. Rahel Rosa Neubauer: Road to America - Mimi Grossberg und die österreichische literarische Emigration in die USA ab 1938
->   Institut für Wissenschaft und Kunst
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biografiA
Das am Institut für Wissenschaft und Kunst laufende Modulprojekt des Großprojektes "biografiA" - "Die jüdischen Schriftstellerinnen in Österreich: Ihr Leben, ihr Schicksal und ihr Schaffen" hat es sich zur Aufgabe gemacht, auch unbekanntere Frauen wieder in das öffentliche Bewusstsein zurück zu holen.
->   biografiA
Literaturhaus Wien
Österreichische Exilbibliothek im Literaturhaus
Seidengasse 13, A-1070 Wien
Öffnungszeiten: Montag, Mittwoch 9-17 Uhr
Fax: 0043/1/526 20 44-30

Kontakt:
Dr. Ursula Seeber (Leiterin)
Tel.: 0043/1/526 20 44-20
us@literaturhaus.at
->   Exilbibliothek
->   Nachlass Mimi Grossberg im Literaturhaus
 
 
 
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