Christian Gastgeber
Österreichische Nationalbibliothek
BIBLOS-Redaktion und Österreichische Akademie der Wissenschaften, Institut für Byzanzforschung
 
ORF ON Science :  Christian Gastgeber :  Gesellschaft 
 
Naher Osten: Einfluss und Wirkung des Habsburger  
  Vor 400 Jahren öffnete sich für Österreich das "Tor in den Orient" - berechtigter Anlass für den Historiker Robert-Tarek Fischer, den nachhaltigen Einfluss des Habsburgerstaates im Nahen Osten in einem neuen Buch erstmals in seiner Gesamtheit Revue passieren zu lassen.  
Das Tor in den Orient

Mit dem Friedensvertrag von Zsitvatorok am 11.11. 1606 und einem schon bald darauf erfolgten Besuch des Sultans Ahmet I. in Wien wurden die Grundlagen für eine Handels- und bald auch Schutzmachtpolitik der Habsburger gelegt.

Noch im 17. Jahrhundert wurde die 1. Orientalische Kompagnie (1667-1683) gegründet, und Österreich übernahm die Schutzmachtpolitik der Katholiken im Orient durch die Schaffung eines Generalkommissariats für das Hl. Land in Wien (1633) bei den Franziskanern.

Unter Maria Theresia übernahm Österreich weiters die Schutzmacht der katholischen Franziskanermission (Reformaten) in Ägypten.
Kuriose Nachwirkungen

Bemerkenswerte Einflüsse des Habsburgerstaates zeigen sich in der langen Verwendung des Maria-Theresien-Talers. Aufgrund seines gleich bleibenden Feingehaltes war er im Süden und Westen der arabischen Halbinsel und in Abessinien besonders geschätzt und konnte jeglichen Gegenmaßnahmen des Sultans trotzen.

Erst 1960 wurde die österreichische Silbermünze abgelöst. Bis zu diesem Zeitpunkt erreichte der Maria-Theresien-Taler eine Gesamtauflage von 230 Millionen Stück.

Optische Nachwirkung des österreichischen Einflusses zeigt bis heute die Nationalflagge des Libanon: Sie ist der österreichischen Fahne nachgebildet, ergänzt durch eine grüne Zeder, - als Ausdruck der Verbundenheit des libanesischen Außenministers Henri Phraon, der aus einer Familie von Honorarkonsuln unter den Habsburgern stammt.
->   Maria Theresien-Taler (Münze Österreich)
Pulverfass Libanon
Die ethnischen Abgrenzungen zwischen den christlichen Maroniten und den z.T. vom Islam beeinflussten Drusen vermischten sich durch die europäische Einflüsse, vor allem Frankreichs, immer mehr.

Die Dominanz der Christen und deren prosperierender Aufstieg führten zu gewalttätigen Übergriffen der Drusen gegen die Maroniten. Zu einem Zeitpunkt, als Europa gegen Mitte des 19. Jahrhunderts in eine Auseinandersetzung mit Muhammed Ali von Ägypten verwickelte war, der die Großmachtpolitik des Orients abrupt zu ändern drohte.

England übernahm die Schutzherrschaft der Drusen, Frankreich die der Maroniten. Die Osmanen wollten ihren Machtanspruch im Libanon wieder herstellen und ernannten den aus Kroatien stammenden und zum Islam konvertierten Michael Latas, Omar Pascha, der Österreicher (el-Nimsawi), zum Gouverneur des Libanon.
Versuche von Metternich
1842 versuchte Metternich durch eine ethnische Abgrenzung eine Regelung der verfeindeten Volksgruppen herbeizuführen, die in der Realität bald scheitern sollte.

1861 wurde nach neuen Unruhen schließlich zwischen dem Osmanischen Reich, Großbritannien, Frankreich, Österreich, Russland und Preußen ein Regierungssystem erarbeitet, das sowohl den Christen wie den Moslems Rechnung trug und Autonomie gegenüber dem Osmanischen Reich garantierte.
->   Drusen (Wikipedia)
->   Maroniten (Wikipedia)
Der österreichische Lloyd

Als der Mittelmeerhandel und die Schifffahrt im Zuge des verstärkten europäischen Orienthandels stark florierten, wagte sich Karl Ludwig Bruck an die Gründung einer Dampfschifffahrtsgesellschaft (1836) als Österreichischer Lloyd in Triest.

Im August 1837 fuhren die ersten Raddampfer die Strecke Triest-Alexandria. Salomon Rothschild rettete den Lloyd aus einem finanziellen Tief. 1847 beschäftigte der Lloyd bereits 1.049 Angestellte.

Ägypten wurde immer mehr zu einem der bevorzugten Zielhäfen mit der Errichtung eines Postdienstes. Bruck wurde von Felix Schwarzenberg 1848 zum Handelminister berufen (1855 übernahm er das Amt des Finanzministers). Unter ihm wurden die wirtschaftlichen und diplomatischen Kontakte (Ausbau des österreichischen Konsularwesens) in die Levante intensiviert.
->   Österreichischer Lloyd
Österreich und der Sudan
Buck baute den österreichischen Einfluss im Sudan durch die Errichtung eines Konsularamtes auf. In der Wahl des Abenteurers und Naturwissenschaftlers Konstantin Reitz, eigentlich eines Ersatzmannes, hat er eine vorzügliche Wahl für die österreichische Vertretung getroffen.

Reitz engagierte sich in seinen Agenden zum Aufbau eines Handelsnetzes sowie zur Erforschung der Gegend (200 Tiere kamen in den Zoo nach Schönbrunn) mit großem Enthusiasmus, bis er 1853 bei einer Forschungsfahrt nach Abessinien an Ruhr starb.
Rudolf Slatin Pascha

Rudolf Slatin Pascha
In den 1870er Jahren sollte ein weiterer Österreicher in die Geschichte des Sudan eingehen: Rudolf Slatin Pascha; ebenfalls abenteuerlustig, unterbrach er eine Handelslehre und kam mit 17 Jahren nach Ägypten.

Nach dem Armeedienst diente Slatin unter dem britischen Generalgouverneur Charles Gordon. Als Bezirksgouverneur von Dara bewährte er sich vorzüglich und wurde dank seines Ruhmes zum Provinzgouverneur berufen. Er scheiterte an den durch nationalen Aufruhr geschürten Vormarsch der Truppen des Wanderpredigers Muhamed Muhad, des Mahdi.

Es folgten elf Jahre Gefangenschaft, ehe er 1895 fliehen konnte und die Zeit seiner Gefangenschaft in dem Bestseller "Feuer und Schwert im Sudan 1879-1895" festhielt. Im britischen Gegenschlag war Slatin 1898 als Lokalberater anwesend.

1899 wurde er im britischen Dienst zum Generalinspekteur des Sudans eingesetzt, ehe er 1914 bei Kriegsausbruch seine Dienste wieder seiner Heimat anbot und den Sudan für immer verließ (1932 starb er in Wien).
Bericht über eine Gefangennahme Slatin Paschas (14.5.1908)
 


Das Pilgerhaus an der Via Dolorosa

Zu den augenscheinlichen Spuren Österreichs im Nahen Osten zählt zweifelsohne das Pilgerhaus in Jerusalem. Als die Großmächte neben Handelszonen mit der christlichen Schutzmachtpolitik Einfluss auf die Länder auszuüben begannen, engagierte sich auch Österreich verstärkter in Religionsprotektoraten, vor allem im "Heiligen Land"; intensiviert durch Metternich - nicht zuletzt durch ein neues protestantisches Bistum durch Großbritannien und Preußen und in Auseinandersetzung mit der katholischen Schutzmacht Frankreich.

Finanziellen Bedenken wurde u.a. mit dem Hinweis auf die Kaisertitulatur der Habsburger, die auch den Titel des Königs von Jerusalem führten, und auf das Prestige gekontert.

Das Pilgerhaus wurde von Anton Endlicher entworfen, der 1856 in Jerusalem eintraf; Kostenexplosionen zwangen zwar zu einer Änderung des ursprünglichen Monumentalbaues, doch seit 1860 besteht es an der Via Dolorosa bis zum heutigen Tag.
->   Österreichisches Hospiz zur Hl. Familie
Geschäftemachen und Wissenschaft

Als sich Ägypten im 19. Jahrhundert für die Wissenschaft und Forschungsreisenden öffnete, erkannten auch einige Kaufleute die Gunst der Stunde, mit Antiquitäten in das große Geschäft einzusteigen. Zu ihnen zählte der Wiener Teppichhändler Theodor Graf, der in den 80er Jahren des 19. Jahrhunderts mit dem Wiener Orientalisten Josef von Karabacek (und nachfolgendem Generaldirektor der Hofbibliothek) Kontakt aufnahm und Objekte zum Kauf anbot.

Graf schickte seine Untergebenen im Land aus und kaufte den Fellachen alles ab, was sich am Antiquitätenmarkt zu Geld machen ließ. Es waren vor allem die arabischen, koptischen und griechischen Papyri, die das Interesse Karabaceks weckten.

Als in El-Fajum Ende der 1870er Jahre große Papyrusfunde zutage traten, konnte Wien dank des Sponsors Erzherzog Rainer eine umfangreiche Kollektion ankaufen. 1899 wurde sie Kaiser Franz Joseph als Geschenk übergeben, der sie seinerseits der Hofbibliothek, nunmehr unter dem Generaldirektor Karabacek, anvertraute.
Papyrussammlung der Österreichischen Nationalbibliothek
Die heutige Papyrussammlung der Österreichischen Nationalbibliothek mit rund 180.000 Objekten (darunter ca. 46.000 griechischen) beruht zu 95 Prozent auf der Privatsammlung des Erzherzogs.

[8.9.06]
->   Papyrussammlung
->   Prokesch von Osten (Universität Graz)
->   Alois Musil (Wikipedia)
->   Nikolaus Rhodokanakis (Bautz)
->   Österreichische Forscher und Entdecker (KHM)
...

Das Buch: Österreich im Nahen Osten
Robert-Tarek Fischer:
Die Großmachtpolitik der Habsburgermonarchie im Arabischen Orient 1633-1918,
314 Seiten,
20 s/w-Abb
ISBN 3-205-77459-0
Böhlau: Wien.
->   Info zum Buch
...
 
 
 
ORF ON Science :  Christian Gastgeber :  Gesellschaft 
 

 
 Übersicht: Alle ORF-Angebote auf einen Blick