Christian Gastgeber
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In memoriam Kurt Schubert  
  Kurt Schubert, der am 4. Februar 2007 verstorbene Doyen der Wiener Judaistik, hat sich in seinem letzten Buch dem Verhältnis von Christentum und Judentum im Wandel der Zeit gewidmet - ein Buch auf der Suche nach dem Ideologienhass.  
Setzte selbst Denkmäler

Bild: Institut für Judaistik,
Universität Wien
Durch seine Aufbauarbeit für die Judaistik an der Universität Wien hat sich Schubert bereits ein bleibendes "monumentum aere perennius", wie man Horaz' Zitat hier treffend anzuwenden vermag, errichtet: 1945 mit der ersten Hebräisch-Vorlesung noch am Institut für Orientalistik, 1959 mit einer außerordentlichen Professur und 1966 mit einem eigenen Institut für Judaistik.

Ein wirksames Denkmal setzte er der jüdischen Kultur auch mit der Gründung des Österreichisch Jüdischen Museums in Eisenstadt.

Seine umfangreiche wissenschaftliche Publikationstätigkeit ist es jedoch vor allem, die ihn weit über den Kreis der Wiener Universität hinaus bekannt gemacht und seinen Einsatz für den christlich-jüdischen Dialog propagierte.
->   Österreichisches Jüdisches Museum
->   Institut für Judaistik, Universität Wien
Das Gemeinsame unterstreichen

Ein Blick in Schuberts umfangreiche Publikationsliste zeigt schon anhand einiger Titel, wie sehr es ihm als Christ nicht um den eigenreligiösen Aspekt bei seiner Forschung ging, sondern um das Verbindende und die Ursachen der steten Religionsentfremdung zwischen den Juden und ihrer Umgebung, dokumentiert etwa durch:

- "Das Judentum in der Umwelt des christlichen Mittelalters" (1975),
- "Der christlich-jüdische und der jüdisch-christliche Antagonismus im Mittelalter" (1978),
- "Die jüdisch-christliche Ökumene - Reflexionen zu Grundfragen des christlich-jüdischen Dialogs" (1980),
- "Möglichkeiten und Grenzen des christlich-jüdischen und des jüdisch-christlichen Gesprächs" (1987),
- "Was haben wir Christen vom Judentum übernommen und was können/sollen wir noch von ihm lernen?" (1997) und
- "Die christlich-jüdische und die jüdisch-christliche Polemik im Mittelalter" (2000).
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Publikationen von Kurt Schubert
Chronologisches Verzeichnis der Aufsätze und Werke von Kurt Schubert (Quelle: http://www.kurt-ursula-schubert.at/)
->   Literaturverzeichnis
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Der historische Überblick als Alterswerk
Als Alterswerk erschien genau in seinem 80. Lebensjahr 2003 ein Überblick über eine zweitausendjährige gemeinsame Geschichte von Judentum und Christentum, gewissermaßen die Zusammenfassung seines Lebenswerks - einerseits ein historischer Überblick der religiösen (und politischen) Antagonismen, andererseits noch viel mehr ein analytisches Buch der gegenseitig verursachten und provozierten Missverständnisse.

Mit dem Werk wandte sich Schubert an Christen und Juden in der Hoffnung, "dass der Nichtjude, den ich lieber als Christ bezeichnen möchte, die Juden nicht nur aus seiner eigenen Perspektive zu verstehen versucht, und der Jude verstehen lernt, warum er oft und so sehr missverstanden wird."

In diesem Sinne ist das Buch mehr als eine historische Zusammenschau, der Versuch eines toleranten Aufeinanderzukommens vor dem historischen Hintergrund der Vorurteile; es setzt dort an, wo Schuberts Interesse an der Judaistik seinen Ausgangspunkt nahm.
Aus der Einleitung:
"Das Thema des Verhältnisses des Christentums zum Judentum beschäftigt mich seit etwa sechs Jahrzehnten. Wo hat der so weit verbreitete und, wo immer er sich zeigt, schamlose Antisemitismus seine Wurzeln?

Wie konnte es dazu kommen, dass die meisten Antisemiten sich als 'anständige Menschen' und 'im guten' Recht selbst verstanden und weiterhin verstehen? Wie konnte es kommen, dass gerade unser Christentum der Mutterboden für den antichristlichen biologischen Antisemitismus, den massenmörderischen Judenhass, werden konnte?

Die Frage führte mich dazu, dass ich die Hintergründe verstehen wollte. Hat der Antagonismus seine Wurzeln mehr im Judentum und seinem Schicksal in der Diaspora oder im Unverständnis der Antisemiten für die religiösen und kulturellen Werte des Judentums?

Je mehr ich mich mit diesem Problem beschäftigte, desto stärker kam ich zu der Einsicht, dass beide Komponenten ernst genommen werden müssen."
Die historische Darstellung: Antike
Schuberts historische Synopse beginnt bei den Anfängen im heidnischen Umfeld: der Monotheismus und das jüdische Selbstverständnis gegenüber dem heidnischen Götterglauben, die Grundlagen des antiken Antijudaismus bis hin zur Konfrontation im römischen Gottkaiserkult.

Mit dem vom Christentum verstandenen Erbe der an das biblische Israel ergangenen Verheißungen startet die christliche antijüdische Polemik im Neuen Testament sowie bei den Kirchenvätern und setzt die jüdische Apologetik und Polemik in Gang.
Die historische Darstellung: Mittelalter und Neuzeit
Mit diesen für die Folgezeit prägenden literarischen Grundlagen setzt Schubert seinen Überblick in das lateinische Mittelalter fort, das immer wieder bestimmt ist - auch in der Kunst - von der Darstellung der frommen ecclesia und der unfrommen synagoga. Der Humanismus sollte in dieser Hinsicht keine neue Entwicklung bringen, im Gegenteil: Der zugleich aufkommende Buchdruck gab antijüdischen Polemiken nun mit Holzschnitten eine noch größere Verbreitung.

Schubert führt dann über zu der vom Merkantilismus geprägten und dem Fiskus verpflichteten Zulassung der Juden in Barock und Aufklärung, ohne dass Hetzreden wie von Abraham a Santa Clara nachließen. Akzeptanz sollte mit der Aufgabe der jüdischen Identität gekoppelt sein.

Fließend ging in den Strömungen des Antiliberalismus und des Antikapitalismus der vordergründig religiöse Antisemitismus in einen wirtschaftlich bedingten, gegen das arrivierte und gebildete Judentum über; die neuen Argumente lieferte ein rassisch-biologischer Antisemitismus. Die Rassenideologen verschafften sich damit Gehör bis hin zum Völkermord.
Plädoyer an das Christentum
Schuberts abschließende Worte, seine eigene Lebensmaxime, gelten als Vermächtnis an die Nachkriegsgenerationen: "Es kann nicht geleugnet werden, dass es nur einzelne besonders sensible Theologen im Mittelalter gab, die die 'Kirche' als notwendige Ergänzung und Vervollständigung des Bundes verstanden, den Gott mit Israel am Sinai geschlossen hat. ...

So steht es unserer Generation nach den Erfahrungen der Schoa zu, daraus die notwendigen Konsequenzen zu ziehen und im Judentum einen Partner zu sehen, mit dem wir ökumenisch verbunden sind und nicht mehr vom jüdischen Unglauben, sondern vom 'Glauben des Judentums' zu sprechen. ...

Die Worte 'adveniat regnum tuum', 'Dein Reich komme', sind eine jüdische Bitte, deren zukunftsbezogener Sinn Inhalt der Ökumene aus Christen und Juden ist."

[7.2.07]
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Zum Buch
Kurt SCHUBERT

Christentum und Judentum im Wandel der Zeiten
Wien: Böhlau 2003.

226 Seiten, 20 schw.-w. Abb.
SBN 3-205-77084-6
ISBN-13: 978-3-205-770
->   Info zum Buch
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