Christian Gastgeber
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Zum 10. Todestag von Viktor Frankl  
  Am 2. September jährt sich Viktor Frankls Todestag zum zehnten Mal. Eine zwölfbändige Werkausgabe ehrt das Andenken des Begründers der Logotherapie und Existenzanalyse. Vor kurzem erschien Band 2 mit biographischem Schwerpunkt, Band 3 zur Psychotherapie in der Praxis ist eben in Druck.  
Selbstzeugnisse 1945-1993

Viktor Frankl um 1948
Band 2 der kürzlich erschienen Werkausgabe mit dem Titel "Psychologie des Konzentrationslagers. Synchronisation in Birkenwald. Und ausgewählte Texte 1945-1993" stellt die Trias Leid - Schuld - Tod in den Mittelpunkt.

Im Nachkriegsösterreich, das Frankl bewusst auch nach dem Tod von Mutter, Vater, Bruder und Frau im Konzentrationslager nicht verließ, ist er mehr denn je mit der Frage des Leides und der Schuld konfrontiert. Vermehrt tritt die Sinnfrage - aus der kritischen Reflexion der Kriegsgeneration - auf und die Frage, wie man nach so viel Leid, ja wie man bei der Vergänglichkeit unseres Daseins überhaupt dem Leben Sinn abgewinnen kann.

Frankl Antwort - zentral für seine Existenzphilosophie: "Not und Tod, beide machen das Dasein des Menschen nicht sinnlos, sondern überhaupt erst sinnvoll."
Aus dem Zeitzeugen-Vortrag und der Diskussion, 26.6.1985

"Die Logotherapie hilft da insofern, als sie eben Hilfestellung gibt, aber sie hilft nicht etwa in dem Sinn, dass sie dem Patienten einen Sinn mit auf den Weg gibt. Man kann einen Lebenssinn nicht rezeptieren. Man kann keinen Sinn geben - und zwar einfach deshalb nicht, weil man ihn finden muss. Und finden muss ihn eigentlich jeder selbst.

Ein Logotherapeut kann also nicht einem Patienten sagen, was der Sinn seines Lebens ist. Sehr wohl aber, und das ist nicht zu unterschätzen, kann er dem Menschen zeigen und die Tatsache aufleuchten lassen, dass das Leben einen Sinn hat, und zwar einen Sinn, den es auch in den extremsten Situationen und bis zuletzt, bis zum letzten Atemzug, behält" (Bd. II, S. 287).
Schuld und Leid
Vielfach sind Frankls Stellungnahmen zum Thema der Schuldfrage der Kriegsgeneration. Er war sowohl mit ehrlich Bereuenden wie mit Schuldverdrängern konfrontiert. Gerade letztere, die sich dem Anteil der Österreichischen Nationalsozialisten am Leid der Anderen durch die Schuldzuweisung an den Deutschen Überfall und die Opfertheorie zu entziehen suchten, trat er entschieden entgegen mit dem Schlagwort des "Österreichischen Pharisäertums" (1946).

Zentrales Thema auch seines logotherapeutischen Ansatzes ist und bleibt der freie Wille und dessen Ausübung im Kollektiv, selbst unter Zwängen. Demnach sei auch zu differenzieren zwischen einer selbst gewählten und einer erzwungenen Gruppenzugehörigkeit. Entscheidend ist selbstverantwortliche Reflexion und das nachträgliche Reuebekenntnis.
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Österreich und die Grundlagen des Nationalsozialismus
Grundlegend zu den Wurzeln - lange vor Hitler -, auf denen die nationalsozialistische Ideologie in Österreich aufbaute, die medial bedauerlicherweise kaum rezipierte, kürzlich erschienene detaillierte Untersuchung von Michael WLADIKA:

Hitlers Vätergeneration
Die Ursprünge des Nationalsozialismus in der k.u.k. Monarchie
675 Seiten, 34 s/w-Abb.
Wien: Böhlau 2005
->   Infos zum Buch
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Kollektivschuld

Stenographische Urfassung von Synchronisation ... (April 1946)
Im Zusammenhang mit der Schuldfrage wurde nach 1945 nur zu gern die Kollektivschuld eingefordert und die Verantwortung der gesamten Nation bzw. der ganzen Gruppe eingeklagt.

Frankl widersprach diesen pauschalen Schuldzuweisungen. Selbst in Vorlesungen in Amerika rückte Frankl das Bild des kollektiv schlechten Menschen am Beispiel des SS-Lagerführers in Türkheim zurecht.

Sehr aktuell ist Frankls Auseinandersetzung mit dem stets von außen und später eingeforderten Heroismus gegen den Nazi-Terror.
Aus dem Zeitzeugen-Vortrag und der Diskussion, 26.6.1985
"Heroismus ist gut und schön, aber verlangen und fordern dürfen sie Heroismus eigentlich nur von einem Einzigen, und das sind Sie selbst. Und siehe da, diejenigen, die wirklich in den Lagern waren, sind im Allgemeinen nach meiner persönlichen Erfahrungen viel milder in ihrem Urteil und viel verständnisvoller. Und zwar deshalb, weil sie selber gesehen haben, was für die anderen - und nicht nur für sie selbst - auf dem Spiel gestanden ist. ...

Besser jedenfalls als diejenigen, die nur Forderungen nach Heroismus stellen und sich während der eigentlichen Zeit ins sichere Ausland zu retten vermocht haben; ganz zu schweigen von jenen, die erst Jahrzehnte später zur Welt gekommen sind und auf einmal auf den Standpunkt der Kollektivschuld gedrängt werden." (Bd. 2, S. 288).
In Memoriam 1938

Typoskript von Synchronisation ... unter dem Pseudonym Gabriel Lion
In seiner Rede "In Memoriam 1938" vom 10. März 1988 am Wiener Rathausplatz vor 35.000 Zuhörern anlässlich des 50. Jahrestages des Hitler-Einmarsches nimmt Frankl noch einmal zum Thema des Vorwurfes mangelnden Widerstandes Stellung.

Auf die Forderung, sich lieber einsperren zu lassen als sich mit den Nazis zu arrangieren, hält er die Eigenverantwortung der Kritiker entgegen: Dies gelte, wenn man selbst für seine eigene Person unter Beweis gestellt hat, dass man es vorgezogen hat, sich ins Konzentrationslager stecken zu lassen.

Nimmt man das Nazi-Jargon auf, dann gebe es nur die Rasse der anständigen und der unanständigen Menschen, und diese Rassentrennung verlaufe quer durch alle Nationen - wiederum als Kritik an der Kollektivschuld. Doch vor der negativen Auslese, den "Unanständigen", ist keine Nation gefeit, so sei auch jede Nation grundsätzlich holocaustfähig.
Das Milgram-Experiment
Untermauert wird dies durch amerikanische Versuchsserien zur Überprüfung, wie weit Menschen gegenüber Konformitätsverhalten und Totalitarismus anfällig sind, - durch Versuche, Unbekannten in gesteigertem Maße unter dem Vorwand wissenschaftlicher Untersuchung Leid zuzufügen. Berühmt geworden ist diese Forschung unter dem Stichwort des Milgram-Experiments (nach Stanley Milgram) in dem Film "I wie Ikarus" (1979, Regie Henri Verneuil, mit Yves Montand).

[31.8.07]
->   Milgram-Projekt (Wikipedia)
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Frankl-Ausgabe, Bd. 2
Viktor E. Frankl: Gesammelte Werke, Bd. 2

Batthyany, Alexander; Biller, Karlheinz; Fizzotti, Eugenio (Hrsg.)
Psychologie des Konzentrationslagers
Synchronisation in Birkenwald
Und ausgewählte Texte 1945-1993

Wien: Böhlau 2006

301 Seiten, 20 s/w-Abb.
ISBN 3-205-77390-X
ISBN-13: 978-3-205-77390-0
->   Infos zum Buch
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Frankl-Ausgabe, Bd. 3
Viktor E. Frankl: Gesammelte Werke, Bd. 3

Batthyany, Alexander; Biller, Karlheinz; Fizzotti, Eugenio (Hrsg.)

Die Psychotherapie in der Praxis

Wien: Böhlau 2007

Ca. 300 Seiten
ISBN 3-205-77664-X
ISBN-13: 978-3-205-77664-2
->   Infors zum Buch
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->   Viktor Frankl-Zentrum Wien
->   Viktor Frankl-Institut Universität Wien
->   Logotherapie (Wikipedia)
->   Viktor Frankl (Wikipedia)
->   Viktor Frankl (Frankl-Institut Wien)
 
 
 
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