Christian Gastgeber
Österreichische Nationalbibliothek
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1.000 Jahre alter Kodex als Faksimile-Ausgabe  
  Das religiöse Oberhaupt Armeniens, der oberste Patriarch aller Armenier, der Katholikos Karekin II., übernimmt die Schutzherrschaft für ein Buch österreichischer Produktion: der Codex Etschmiadzin, eine der wichtigsten Evangelienhandschriften der armenischen Kultur wird von einer Grazer Verlagsanstalt als Faksimile herausgegeben.  
Die armenische Kirche und Österreich

Die armenische Kirche zeigt sich Österreich schon seit längerem durch die Ehrerweisung eines ihrer großen Schriftstellers verbunden.

Franz Werfel hatte in seinen Roman "Die vierzig Tage des Musa Dagh" das Leiden der armenischen Bevölkerung in den Jahren 1915 bis 1917 beschrieben. Jährlich wird daher des Todestages (27. August 1945) Franz Werfels in der armenischen Kirche besonder gedacht.
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Franz Werfel und Armenien
Eine Aufarbeitung der Beziehungen zu Franz Werfel und der armenischen Kirche findet sich bei (Erzbischof) Mesrob K. Krikorian: "Franz Werfel und Komitas, An den Wassern zu Babel saßen wir und weineten", erschienen 1999 im Peter Lang-Verlag: Der Hauptteil des Buches enthält zwei unedierte Briefe und zwei Telegramme Franz Werfels, die in Verbindung mit seinem Roman "Die vierzig Tage des Musa Dagh" stehen, der den Widerstand der Armenier gegen den von den Türken begangenen Völkermord darstellt. Am Beispiel des Schicksals von Vardapet Komitas wird der Genozid von 1915 bis 1917 in einem eigenen Kapitel behandelt.

Da Werfel seinen Roman in Wien geschrieben hat, ist auch ein Abschnitt über die Geschichte der armenischen Gemeinschaft in Österreich zu finden. Ein historischer Überblick über Armenien und die Armenier soll dem Leser eine grundlegende geschichtliche Übersicht und Abrundung des Themas ermöglichen.
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Der Codex als Faksimile

Vor kurzem erschien nun in der auf dem Gebiet der Faksimileproduktion weltweit markenführenden Akademischen Druck- und Verlagsanstalt in Graz (ADEVA) das Vollfaksimile einer der wichtigsten Evangelienhandschriften der armenischen Kultur in einer detailgetreuen Kopie mit ebenso originalgetreuer Wiedergabe des Elfenbeineinbandes.
Der Codex Etschmiadzin

Es handelt sich bei diesem Juwel um den so genannten Codex Etschmiadzin, der im Jahre 989 nach einer alten Kopie für das Kloster Noravank geschrieben wurde.

Es enthält die vier Evangelien und ist in seinem originalen Bestand zu Beginn illustriert.

Ehe der Codex im Matenadaran zur Aufbewahrung übergeben wurde, spiegelt er in seiner weiteren Aufbewahrung zum Teil die armenische Geschichte wieder.
Seine wechselvolle Geschichte
Das Kloster Novarank wurde im 12. Jahrhundert von den Seldschuken (oder durch ein Erdbeben) zerstört. Die mehrfachen Raubzüge der Seldschuken veranlassten die Armenier, ihre Kulturschätze an einen sicheren Ort, in Festungen, die man vor den Feinden sicher erachtete, zu bringen.

Doch hielten auch diese Bollwerke den Feinden nicht stand und wurden im Laufe des 12. Jahrhunderts erobert. Die erbeuteten Kunstgegenstände wurden dabei überallhin verstreut.
Elfenbeintafeln als Einband im 12. Jahrhundert
Eine neue Spur führt zu dem Georgier Gurdschi, der die Handschrift 1173 wahrscheinlich von einem Moslem erworben, neu binden lassen und dem Kloster Malardis übergeben hat.

Zur Neubindung wurden zwei fünfteilige Elfenbeintafeln aus dem späten 6. Jahrhundert vom Buchdeckel einer verlorengegangen Handschrift auf den Codex angebracht.

 


Alte Miniaturen im 12. Jahrhundert hinzugefügt

Im Rahmen der Restaurierarbeiten durch den Georgier Gurdschi wurden auch Miniaturen am Ende der Handschrift eingefügt; diese wurden ebenfalls aus einer anderen verlorengegangenen Handschrift genommen.

Mit diesen Blättern besitzen wir die ältesten armenischen Miniaturen. Sie stammen wahrscheinlich aus dem späten 6. Jahrhundert und stehen in syrischer Maltradition.
Das Bildprogramm
Die Handschrift selbst ist mit Bilder auf den Vorspann beschränkt. Hier erfüllen sie auch im Rahmen des Buches eine symbolische Bedeutung: über die Rundbögen der Kanontafeln wird der Leser zunächst über den Inhalt informiert, tritt der Leser in den Tempel, in das Heiligtum: Hier sind die Prunkillustrationen von der Maiestas Christi bis zum Opfer Abrahams.

 


Als Faksimile von Österreich in die ganze Welt
1847 kam der Kodex in das Katholikosat Etschmiadzin; seit 1920 ist der Kodex als Dauerleihgabe in der Bibliothek des Mashtots Matenadaran in Eriwan ausgestellt (Cod. 2374).

Gewöhnlich wird die Handschrift nur hohen Repräsentanten von Staat und Kirche gezeigt. Mit diesem Faksimile ist ein weiterer Schritt in Richtung des Bekanntwerdens und Verbreitung der Kulturschätze unserer Welt gesichert.

In einer limitierten Auflage von 250 Stück gehen die originalgetreuen Faksimiles nun aus Österreich in alle Welt.
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Der Codex ist ausführlich erklärt in einem Kommentarband von Heide und Helmut Buschhausen. Eine Auswahl der prächtigsten Abbildungen mit einer kurzen Einleitung wird in einer eigenen Dokumentation angeboten.

Der Codex Etschmiadzin wird immer wieder in Österreich und Deutschland ausgestellt. Genaue Informationen unter www.adeva.com oder unter der
Emailadresse: info@adeva.com
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