Christian Gastgeber
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Jugend-Tagebücher Franz Josephs erschienen  
  Die erst jüngst entdeckten Jugend-Tagebücher des Erzherzogs (und späteren Kaisers) Franz (Joseph I.) aus der Zeit von 1843-1848 liegen nun erstmals in einer vollständigen Ausgabe vor.  
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1999 überraschte Anna Maria Sigmund die Historiker mit dem Fund der beiden Tagebücher des damaligen Erzherzogs Franz (Josephs) vom 18. August 1843 bis zum 13. März 1848. In einer ersten Edition, die beim Böhlau-Verlag, Wien erschien, wurde eine mit zeitgenössischen Bildern reich illustrierte Auswahl der Tagebuchstellen präsentiert (Anna Maria Sigmund, Die verschollenen Tagebücher Franz Josephs); die gesamte kommentierte Edition wurde damals versprochen, dieses Versprechen löste Heimo Cerny nun ein und gab die beiden Tagebücher in einer kommentierten Ausgabe (wiederum im Böhlau-Verlag, Wien) heraus.
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Die Überlieferung der beiden Manuskripte
Kaiser Franz Joseph dürfte die beiden Tagebücher aus seiner Jugendzeit in der kaiserlichen Kabinettskanzlei aufbewahrt haben. Nach seinem Tod sollten sie wie die übrigen Schriften der Kanzlei vernichtet werden, um nicht kommunistischen Putschisten in die Hand zu fallen. Die Vernichtung wurde dem Unteroffizier der Leibgarde Kaiser Karls I., Franz Kukala, übertragen, der die beiden Tagebücher jedoch an sich nahm.

Wohl in der Hoffnung auf eine gebührende Entlohnung bot Kukala 1923 die beiden Manuskripte Erzherzog Franz Salvator Habsburg-Lothringen und dessen Frau Marie Valerie, der Lieblingstochter Kaiser Franz Josephs, an. 1925 wurden sie Kukala abgekauft; nach dem Tod des Erzherzogs 1939 gingen die Tagebücher in den Besitz seiner zweiten Frau Melanie, geb. Baronin Riesenfels, auf Schloß Seisenegg über; dort entdeckte man sie 1984. Der Erbe Gert Üblacker-Risenfels übergab sie 1998 der Wissenschaft zur Auswertung.
Tagebücher in Adelskreisen
Das Anlegen eines Tagebuches war Bestandteil der Erziehung in adeligen Häusern. Damit sollte Gewandtheit in der Sprache geübt werden; gerade bei Franz Joseph kommt noch hinzu, daß seine Mutter Sophie dem Tagebuchschreiben eine besondere Liebe entgegenbrachte, und auch seine Brüder waren dazu angehalten. Erhalten haben sich auch die Tagebuchaufzeichnungen seines Bruders, des Erzherzogs Karl Ludwig, aus seinem 11. bis 13. Lebensjahr.
Das Leben am Hof aus den Tagebüchern

Nikolaus I.
Einblick geben die Aufzeichnungen über die Umgebung und Personen am Hofe; so findet etwa ein Besuch des Zaren Nikolaus I. von Rußland während einer Reise von Palermo nach Petersburg eine besondere Erwähnung.

Zur Verabschiedung des Zaren am 2. Jänner 1846 bemerkt Franz (Joseph): "Derselbe umarmte uns noch alle mit sehr viel Herzlichkeit, stieg dann in den Wagon und fuhr davon. Es that mir wirklich leid, ihn so wegreisen zu sehen, denn er gefiel mir sehr gut und war so freundlich mit mir, daß er mich ganz gewonnen hat. Aus dem Wagon, an dem wir standen, bis er abfuhr, warf er mir zum Abschiede noch einen Blick voll Wehmuth zu, den ich nie mehr vergeßen werde. Das Gespräch, das er mit Mama und Papa bey seiner ersten Visite führte, überzeugte mich, kann ich fast sagen, daß er es gut mit uns meint; ... Er ist voll militärischen Anstandes, und bey der Parade ritt er meistens eine halbe Pferdelänge hinter unserem Kaiser."
Angst vor den Prüfungen
Einen Schwerpunkt in den Beschreibungen nimmt der Unterricht ein; man erhält freilich weniger Einblick in die Methoden und die konkreten Lerngegenstände als in das generelle umfangreiche Lernprogramm, das bis zu 50 Wochenstunden betragen konnte.

So sind Eintragungen wie zum 27. Oktober 1843 ("Nun fingen mit schrecklichen Ängsten die mündlichen Prüfungen an") oder zum darauffolgenden Tag ("Waren wieder mündliche Prüfungen, welche gut ausfielen, und damit waren die Prüfungen geendet. Ich war froh, nun von so vielen Ängsten befreyt zu seyn. Doch nun muß ich wieder wacker an das Studieren gehen") keine Seltenheit.
Die Bewunderung für das Militär
Aus den Eintragungen läßt sich sehr gut die Begeisterung des jungen Erzherzogs für militärische Paraden und Übungen sowie schöne Uniformen erkennen; es beginnt auch sein erster Eintrag zu seinem 13. Geburtstag am 18. August 1843 mit den Worten: "Es freute mich besonders, daß ich ein Cavallerieregiment bekommen hatte und unter der Cavallerie ein Dragonerregiment, da mir die deutsche Cavallerieoffizier-Uniform immer besonders gefallen hatte. Doch hätte ich die edle Uniform eines Cuirassierobersten vorgezogen".

Damit verbunden war aber auch ein adrettes Auftreten und Disziplin, so notiert der Dreizehnjährige zum 16. September 1843: "Das Regiment exercierte recht gut, doch gefiel es mir von allen Cavallierieregimentern, die ich gesehen hatte, am wenigsten. Die Helme sind gegen die Vorschrift." oder zum 19. August: "... doch gefielen mit die Helme nicht, da sie gegen die Vorschrift waren. Wäre so etwas bey meinem Regimente, dachte ich, ich wollte es abbestellen."
Contenance und Selbstdisziplin
Bemerkenswert sind immer wieder selbstkritische Eintragungen des jungen Erzherzogs, der sich seiner Schwächen sehr wohl bewußt war und diese wie eine innere Beichte in sein Tagebuch eintrug; als charakteristisches Beispiel sei etwa die Tagebuchnotiz zum 3. Dezember 1843 angeführt: "War meine Aufführung nicht ganz gut. Ich war gegen Grfn. Morzin ungehorsam. Er hatte mir verboten, mit einem Lineale zu spielen, und ich spielte noch einen Augenblick fort. Dann war ich Nachmittage nach dem Exercieren zu ausgelaßen".
Das kulturelle Leben am Hof
Begeisterung für Literatur zeigt der Erzherzog keine mit Ausnahme des Exerzier-Buches. Immer wieder wird aber - meist kommentarlos - über Theaterbesuche berichtet. Hierbei ist recht auffällig, daß gefährlich anmutende Autoren wie Ferdinand Raimund oder Johann Nestroy im Programm ausgespart wurden, man begnügte sich eher mit seichter Unterhaltung wie Eduard von Bauernfeld, Friedrich von Halm oder August von Kotzebue.

Auch für musikalische Abende konnte sich Franz (Joseph) nicht begeistern, und dies, obwohl seine Mutter Sophie Hofkonzerte mit Künstlern wie Franz Liszt gab.
Das andere Geschlecht

Hildegard , Prinzessin von Bayern (Lithogr. A. Douthage)
Sehr verhalten äußert sich Franz (Joseph) zu Frauen - wohl auch in der berechtigten Angst vor einer Einsichtnahme der kontrollierenden Mutter. Eine der seltenen Eintragungen findet sich zur neunzehnjährigen Prinzessin Hildegard von Bayern zum 24. Mai 1844: "Sie gefiel mit gut, sie ist hübsch, hat zu dicke Wangen, eine sehr hübsche Gestalt, ist recht aimable, hat aber, finde ich, nur zu viel von der Kaiserinn Mutter, besonders das lange, starre Ansehen. Abends sah ich Fanny Elssler tanzen."
März 1948
Mit den Märztagen des Revolutionsjahres endet das Tagebuch; der Erzherzog hält dabei die Ereignisse ausführlicher fest. Das Tagebuch schließt mit einer Notiz zum 13. März 1848, die folgendermaßen endet: "... Auf dem Hofe machten die Cuirassiers mehrere Attaquen, auf dem Judenplatz wurden Barricaden gemacht, bald aber wieder von den Truppen zerstört, kurz es war ein förmliches Gefecht. Ungefähr um 5 Uhr finden auch die uniformierten Bürger an sich zu versammeln und schickten eine Deputation zum Onkel Ludwig, um ihre Dienste unter der Bedingung anzubieten, daß man die Wünsche des Volkes erfülle, und sie drangen besonders darauf, daß der Fürst Metternich abdicire."
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Cerny, Heimo (Hrsg.)
Die Jugend-Tagebücher Franz Josephs (1843-1848)
Ungekürzte kommentierte Textedition
Böhlau-Verlag Wien 2003.
187 Seiten, 7 schw.-w. Abb.
EUR 29,90
ISBN 3-205-77092-7
->   Buchbeschreibung
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