Andre Gingrich
Institut für Ethnologie, Kultur- und Sozialanthropologie, Universität Wien
 
ORF ON Science :  Andre Gingrich :  Gesellschaft 
 
Zivilisations-Wissenschaften im Umbruch  
  Japanologie oder Buddhismuskunde: Sind die "Zivilisationswissenschaften" noch in der Lage, die Welt zu erklären? Eine Tagung am Wiener IFK, Internationales Forschungszentrum Kulturwissenschaften soll Klarheit schaffen.  
Nutzlose "Orchideenfächer"?
Über Jahrzehnte galten die so genannten Zivilisations-Wissenschaften als Inbegriff von Gelehrsamkeit. Was Indologie, Japanologie, Sinologie, Arabistik und Islamwissenschaften, Tibetologie und Buddhismuskunde etwa forschten, galt noch bis in die 70-er Jahre als Paradebeispiel von Wissenschaft schlechthin.

Die Erschütterungen und die Krisen, welche seither im Selbstverständnis und im öffentlichen Image dieser Fächer eingetreten sind, lassen sich kaum anders denn als tiefgehender Einbruch beschreiben. Sie mündeten im bösen Wort von den nutzlosen Orchideenfächern. Am Beginn eines neuen Jahrhunderts ringen diese Zivilisationswissenschaften heute um neue fachliche und gesellschaftliche Grundaufgaben.
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Paradigmenwechsel
Dieses Ringen um ein Umdenken kann als Paradigmenwechsel charakterisiert werden. Dies ist daher auch der Titel eines dreitägigen Symposiums, welches das Internationale Forschungszentrum für Kulturwissenschaften vom 17.-19. Mai in Wien veranstaltet.

Namhafte Gelehrte aus Australien, Frankreich, den USA, aus Deutschland, Österreich und der Schweiz, welche die gesamte, bunte Palette dieses Fächerspektrums repräsentieren, werden dabei die aktuellsten Grundeinsichten in dieser Debatte vorstellen und diskutieren, die von Martin Fuchs vom Südasien-Institut in Heidelberg initiiert wird.
->   Internationales Forschungszentrum Kulturwissenschaften
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Erschütterung der Zivilisationswissenschaften
Drei wesentliche Faktoren sind es, die den Einbruch bewirkt haben, der die Zivilisationswissenschaften seit den 70-er Jahren fundamental erschütterte. Zum ersten galten sie oft als außereuropäische Ableger jener Europa-bezogenen Fächer, welche früher den Kanon der genannten Geisteswissenschaften ausmachten, also etwa Germanistik, Philosophie oder Geschichtswissenschaften.

In dem selben Maße, in dem der Europa-bezogene Kanon hinterfragt wurde, gerieten auch die außereuropäischen Ableger in grundlegende Probleme. Die Frage nach mehreren Perspektiven auf kulturelle Gegebenheiten, nach widerstreitenden Ansichten und Interessen, nach äußeren Einflüssen und inneren Hierarchien etwa markieren eine Teil dieser neuen Problematiken.
"Orientalismus"
Zum zweiten kam aber bei den außereuropäischen Ablegern noch die grundsätzliche Kritik hinzu, welche im Gefolge von Edward Saids Demontierung des Orientalismus durch weite Bereiche asiatischer oder afrikanischer Intellektueller an traditionellem europäischen Wissenschaftskanon in diesen Fragen geübt wurde.
Ökonomische Fragen
Drittens schließlich fügten sich diese fachinternen Erschütterungen ein in einen neuen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Rahmen, in dem Sinn und Zweck der etablierten Zivilisationswissenschaften oft ganz grundsätzlich hinterfragt wurden, meist wegen angeblicher ökonomischer Unergiebigkeit.
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Leistungsschau der Zivilisations-Wissenschaften
Das Symposium des IFK hat sich demgegenüber die Aufgabe gestellt, eine Art neuer Leistungsschau der Zivilisations-Wissenschaften zu offerieren. Zugleich wird der Nachweis erbracht, dass der oft nur rhetorisch beschworene interdisziplinäre Dialog in diesen Fächern viel häufiger als sonst von Anfang an ein Muss darstellt.

Wie mit dem Begriff von Kultur zu arbeiten ist, stellt eine weitere zentrale Thematik der Veranstaltung dar, die daher zum Teil auch von Kulturanthropologen moderiert wird. Wie das Verhältnis von Text und Schrift zu Kultur, von Denktradition zu Innovation, von Zivilisation zu Geschichte und Praxis wie Interpretation heute neu gedacht und angegangen werden kann: Diese Fragen des IFK-Symposiums versprechen eine spannende Veranstaltung.
->   Andre Gingrich im Internet
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