Andre Gingrich
Institut für Ethnologie, Kultur- und Sozialanthropologie, Universität Wien
 
ORF ON Science :  Andre Gingrich :  Gesellschaft .  Wissen und Bildung 
 
Kultur liegt in der Natur des Menschen!  
  Forschung und Anwendung von modernen Schlüsseltechnologien sind nicht auf medizinische Debatten zu reduzieren. Sie enthalten konkrete Menschenbilder, verweisen auf politische und ökonomische Machtverhältnisse und sind durchsetzt von kulturell-normativen Strukturen. Ein Dialog über Forschungs- und Anwendungsbereiche von Gen- und Reproduktionstechnologien zwischen den Natur- , Geistes- und Sozialwissenschaften ist daher unumgänglich. Dazu eine Stellungnahme von Johanna Riegler und Eva Maria Knoll, Mitarbeiterinnen in meinem Forschungsprojekt Wittgenstein 2000 an der ÖAW, Kommission für Sozialanthropologie.  
Wissenschaft und Public relations
Von Johanna Riegler und Eva Maria Knoll

Innerhalb weniger Wochen wurden wir mehrfach über die geplante Durchführung zweier öffentlicher Veranstaltungen informiert. Das Programmbüro GEN-AU des bm:bwk veranstaltet einen so genannten Diskurstag und beauftragte dazu die PR-Agentur "Science Communications".

Die PR-Agentur "Communication matters" organisiert im Auftrag des Österreichischen Rates für Forschung und Technologieentwicklung (RFT) eine "Citizens Conference" zum Thema Gendiagnostik.

Unter dem Motto "Wir müssen reden" lädt das Österreichische Genomforschungsprogramm auch im Internet zum Dialog mit der Fachdisziplin. Die grundsätzlichen Zielsetzungen der genannten Auftraggeber liegen darin, die internationale Wettbewerbsfähigkeit der österreichischen Genomforschung wissenschaftlich und wirtschaftlich zu steigern.
->   Mehr zur "Citizens Conference" ...
->   ... und zum Diskurstag Gendiagnostik
Eine Werbemaßnahme ist kein Dialog
Dialog, Meinungsaustausch und Diskussion sind häufig verwendete Begriffe in beiden Initiativen. Jeder Bürgerin wird dabei Recht auf Information und Mitbestimmung eingeräumt. Zweifelsohne hat die Bevölkerung ein Recht, genau zu erfahren, wohin Forschungsgelder fließen und was in den Labors der Gentechnik passiert.

Als Kulturanthropologinnen verstehen wir aber unter Dialogbereitschaft und öffentlichem Meinungsaustausch keine mit vereinfachtem Fachwissen angereicherten Monologe einer Fachdisziplin; auch keine Werbemaßnahme für die Mobilisierung wirtschaftlicher und wissenschaftlicher Kooperationen.

Ein Dialog ist nicht gekennzeichnet durch einseitige Zielsetzungen und Informationsflüsse. Ein offener Dialog bedient sich weder der Rhetorik der Überzeugung noch der einseitigen Belehrung. Ein Dialog über Zukunftstechnologien wäre auch für die Initiatoren (in diesem Fall der Genomforschung und des Forschungs- und Technologiebeirats) eine Herausforderung, bereits gesetzte Zielvorstellungen mit anderen zu reflektieren.
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Wer spricht hier?
- Welche Teilinteressen liegen diesem "Reden müssen" zugrunde? Sind es nicht primär die ökonomischen Erwägungen einer "erfolgsversprechenden Wissensbranche", die hier eine rasante Weiterentwicklung vorantreiben?
- Geht es nicht vielmehr um die plakative Herstellung von gesellschaftlicher Akzeptanz für bevorstehende gesetzliche Neuregelungen auf dem Gebiet der Humangenetik?
- Warum wird der umfassende Fragenkomplex zu Biotechnologien eigentlich auf medizinische Diagnoseverfahren (Gendiagnostik) reduziert?
- Bedingt die Positionierung der ExpertInnen bei diesen Veranstaltungen nicht eine inhaltliche Einschränkung und Entschärfung skeptischer Positionen in Bezug auf allgemeine Forschungs- und Technologieentwicklung?
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Gentechnik & Wir?
Beide Initiativen sind geprägt von einer simplen Gegenüberstellung Technik und Gesellschaft; diese Zweiteilung läuft auf die klassische Dichotomie von Natur und Kultur hinaus. Dem wäre entschieden zu entgegnen, dass jedes naturwissenschaftliche Denkmodell ein kulturell geformtes ist.

- Bedingt diese simple Natur - Kultur Aufteilung nicht eine Ausblendung von historischen, philosophischen, soziologischen und kulturanthropologischen Aspekten der technologischen Zivilisationsentwicklung? Gerade in Bezug auf Gen- und Reproduktionsmedizin haben vorwiegend feministische Analysen, diese interdisziplinäre Herangehensweise bereits geleistet.

- Ist es nicht eine naive Vorgangsweise, die Definition des Lebens ("life science") und damit auch den Begriff des Menschen primär auf biologistischer und medizinischer Ebene zu vollziehen? Ist das nicht allzu reduzierend und zudem politisch bedenklich?
Wertvolle Informationen von wem?
- Ist der angestrebte Diskurs der neutralen und objektiven Wissensvermittlung überhaupt vereinbar mit dem angestrebten "bottom-up approach" der beiden Initiativen? Werden die angesprochenen Subjekte nicht zugleich als Objekte behandelt, die es zu informieren und im genetischen Denkstil zu trainieren gilt, bevor sie ihren Beitrag zur Diskussion abgeben können (dürfen)?

- Die gleiche Ambivalenz zwischen "richtig und ausreichend informiert sein" und "freier Entscheidung" kennzeichnet auch die Debatte zur genetischen Beratungspraxis. Schließen sich vorherrschende medizinische Definitionsmacht und so genannte Entscheidungsfreiheit hier nicht per se aus?

- Warum wird in der Diskussion über "Datenflut, Datenfluss und Datenschutz" nicht deutlich vermerkt, dass jedes Individuum potentielle Datenlieferant/in ist? Sämtliche Basisdaten/material werden unentgeltlich und meist ohne Zustimmung zur Verfügung gestellt. Es erhebt sich dabei die Frage nach der eigentlichen "Ressourcenpolitik" von Genforschung: Wer mit welchen Daten wirtschaftlichen Gewinn erzielen möchte?
->   Mehr über die Imagekampagne des RFT
->   www.innovatives-oesterreich.at
 
 
 
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