Host-Info
Herbert Hrachovec
Institut für Philosophie, Universität Wien
 
ORF ON Science :  Herbert Hrachovec :  Wissen und Bildung 
 
Schlachten und Melken  
  Nikotin ist ein Suchtgift; Zigaretten dürfen in Zukunft nur in Apotheken abgegeben werden: Es kann jedem passieren, dass ein massiver öffentlicher Meinungsumschwung die Lebensführung völlig durcheinanderbringt. Für Katholiken war es etwa der politische Machtverlust der Kirche, für Männer die Karriereförderung zugunsten von Frauen. Eine ähnliche Erschütterung der Spielregeln trifft gegenwärtig die Universitäten: Hochschulausbildung ist eine Ware.  
Beispiel USA: Namhafte Wissenschaft per Multimedia
In den Vereinigten Staaten verpflichten große Verlage namhafte Wissenschaftlerinnen zur Produktion multi-medialer pädagogischer Hochschulkurse. Kleine und finanzschwache Colleges kaufen das Paket und ersparen sich einen Professor; zur Betreuung der Studierenden im digitalisierten Curriculum genügt ein wissenschaftlicher Assistent.

In der Regel wird die fachliche Qualität des Multimedia-Angebotes die Leistungskraft vergleichsweise provinzieller Fachkräfte übertreffen. Außerdem handelt es sich oft um Einführungskurse, in denen bisher hochbezahlte Fachleute jährlich dieselben Inhalte zu wiederholen hatten. Die Qualität steigt und die Kosten sinken. Das ist doch wohl ein gutes Argument.
Uni-Selbstverteidigung rutscht Fundament weg
Eine verbreitete Reaktion auf Seiten der Universitäten ist Selbstverteidigung. Das Bildungswesen sei seit Menschengedenken eine Institution zum Nutzen des gesellschaftlichen Ganzen, wie die Justiz, das Heer und die Spitäler. Es bietet Chancengleichheit und ermöglicht Lernprozesse in einer nicht gänzlich zweckrationalen Umgebung. Wie die Bundestheater müsste der Staat sich akademische Freiräume allein schon aus Prestigegründen leisten können.

Die Punkte sind nicht von der Hand zu weisen. Das Problem ist allerdings, dass sie mit dem Siegeszug nüchterner Kosten-Nutzen-Rechnungen an Gewicht verlieren. Das ist ein Schock für Hochschullehrerinnen- und lehrer: ihrer Verteidigung rutscht das Fundament weg.
Hochschule, eine Firma?
Anstelle der Defensive lässt sich eine experimentellere Antwort vertreten. Angenommen, Hochschulausbildung sei eine Ware. Was sind die Konsequenzen und die Kosten dieser neuen Betrachtungsweise? Sagen wir, eine Universität sei eine Firma.

Das korrigiert schlagartig einige viel beklagte Fehlentwicklungen. Der Beamtenstatus für Universitätslehrer ist ein nutzloses Relikt; eine Menge Schreibtische im Bundesministerium sind einzusparen. Aber die nächste Frage muss wohl lauten: Welche Art Firma ist eine Universität?
Beispiel Uhrenfabrik
Zum Beispiel eine Uhrenfabrik. Sie produziert billige Armbanduhren, Digitalwecker, luxuriöse Chronometer, Kuckucksuhren, Tachometer und Elektrozähler. Der Absatz stagniert, die Konkurrenz wächst, die Aktieninhaber verlangen höhere Dividenden. Ein Sanierungsprogramm wird ausgearbeitet. Unprofitable Produktionsbereiche werden eingestellt, fusioniert oder verkauft. Die Firma wird umgemodelt, egal ob vorhandenes Know-How verlorengeht.
"Marktgerechte Reorganisation"
Universitäten sind derartig unpraktisch diversifizierte Unternehmungen; schwer überschaubare Ansammlungen von Wissensgebieten mit drastisch ungleicher Popularität und kaum kalkulierbarem Nutzwert. Wer sie ernsthaft als einen Wirtschaftsbetrieb behandeln will, muss sie entsprechend marktgerecht reorganisieren.

Manche Wissenschaftszweige würden "gesundgeschrumpft" oder ganz verschwinden. Andere expandieren je nach Konjunktur. Begehrte Studien steigen im Preis. Ganz allgemein gelten für Universitäten unter dieser Perspektive dieselben Regeln, wie für das Eisenbahnnetz: unrentable Nebenstrecken sind einzustellen.

Das soll kein herzzerreißendes Plädoyer für den traditionellen Bildungsbegriff werden, bloß ein Hinweis auf den ökonomischen Sachzwang und seine Folgekosten. Soweit das konsequent kapitalistische Szenario. Es wird natürlich von niemandem uneingeschränkt vertreten. Doch die Konflikte zwischen dem Universitätspersonal und den Politikern, die im Begriff sind, dessen "Privilegien" zu beschneiden, sind durchaus greifbar.
Kulturkampf: Nicht neu und konfus
Zwei Bemerkungen zu diesem Kulturkampf. Erstens ist er überhaupt nicht neu, zweitens führt ihn die jetzige Regierung mit schwer übertreffbarer Konfusion. Trotz der schönen Feiertagsrhetorik ist Bildung natürlich seit jeher (auch) eine Geldsache.

Im Hochschulstudiengesetz, das derzeit umgesetzt wird, ist die Mitsprache der Sozialpartner bei der Erstellung der Studienpläne vorgeschrieben. Der Effekt ist in der Praxis eher lächerlich, dennoch steckt dahinter zumindest eine richtige Idee.

Die Akademikerausbildung ist Sache der ganzen Gesellschaft, speziell auch jener Interessensgruppen, welche den Überschuss erwirtschaften, der in die nächste Generation investiert wird. Davon hat sich das Regierungsbündnis mittlerweile weit entfernt.
Schlachten und melken zugleich
Die neue Politik besteht im Versuch, die Kuh gleichzeitig zu schlachten und zu melken. Privatwirtschaftliche Impulse, verstärkter Einsatz von Drittmitteln und der Druck des Marktes sollen die Universitäten dynamisieren, Geld sparen und den Bildungssektor fit für die Zukunft machen.

Gleichzeitig scheint die Gelegenheit gekommen, der ungeliebten Elite eins auszuwischen. Die dazu passende Schlagzeile lautet: "Uni-Reform: Auch strenge Kontrolle für Professoren".

Melken oder - meinetwegen - schlachten. Aber es ist ein Widerspruch, die Universitäten gleichzeitig zu modernen, profitablen Unternehmungen machen zu wollen und das Bildungssystem in seiner bisherigen Breite und Chancengleichheit aufrecht zu erhalten.
 
 
 
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