Host-Info
Konrad Paul Liessmann
Institut für Philosophie, Universität Wien
 
ORF ON Science :  Konrad Paul Liessmann :  Wissen und Bildung .  Gesellschaft 
 
Wissenschaft und Universitätsreform
Weitere Anmerkungen zu einer Debatte
 
  Jenseits aller Details der geplanten Reformvorhaben könnte man auch einmal jene wohlfeilen Formeln und Phrasen analysieren, die zur Reformpolitik die Begleitmusik abgeben.  
Pausenlose Konkurrenzkämpfe
Universitäten, so heißt es seit Jahren, müßten sich endlich dem "Wettbewerb" stellen. Natürlich, Wettbewerb ist ein Zauberwort der Gegenwart, und prinzipiell wagt es ohnehin niemand, sich gegen Wettbewerb auszusprechen, obwohl man auch darüber nachdenken könnte, ob es wirklich der Weisheit letzter Schluß sein kann, Menschen pausenlos in permanente Konkurrenzkämpfe zu hetzen.
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Wettbewerb? Wettbewerb!
Aber abgesehen davon: welchem Wettbewerb sollen sich die Universitäten stellen? Und standen sie bisher in keinem Wettbewerb? Sollen die österreichischen Universitäten mit anderen Universitäten konkurrieren, und wenn ja mit welchen und in welcher Hinsicht? Mit dem MIT oder mit der Gesamthochschule Paderborn? Geht es dabei um Forschungs- oder um Ausbildungsleistungen? Sollen sich die Universitäten um die Studenten oder die Studenten um die Universitäten prügeln? Oder geht es um die Konkurrenz zwischen staatlichen Universitäten, Privatakademien und Fachhochschulen? Und wie schauen hier dann eigentlich die Rahmenbedingungen aus? Und wie wettbewerbsverzerrend sind diese zur Zeit eigentlich?
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Ganz nebenbei: Universitäten gibt es seit dem 12. Jahrhundert, und seitdem gibt es zwischen ihnen Konkurrenz und Wettbewerb. Im Grunde wußte und weiß man immer, wo die guten Hochschulen sind, wo viel verlangt und viel geboren wird und wo das Gegenteil der Fall ist.
Keine geschützten Werkstätten
Nebenbei: die beliebten Rankings der Boulevard-Magazine sind nicht einmal so seriös wie deren Horoskope. Und wer die Sache so darstellt, als wäre eine Universitätskarriere eine bislang ausgemachte Sache in einem geschützten Bereich gewesen, unbeeinflußt von Hürden und Qualitätskontrollen, der irrt.

Wer auch nur irgendwo versucht, wissenschaftliches Renommee zu erlangen, sah und sieht sich einer Reihe selektiver Kriterien gegenüber, von den Fachbeiräten von Zeitschriften über Lektoren von Verlagen bis zur Kritik durch die Kollegenschaft. Universitätslehrer stehen überdies nahezu täglich der Kritik ihrer Studenten gegenüber, und wer sich am Rande des Wissenschaftsfeldes um ein größeres Publikum bemüht, ist ohnehin den Gesetzen des Marktes ausgesetzt.
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Daß allerdings Universitätskarrieren nicht nur von der fachlichen und didaktischen Qualität der Bewerber, sondern immer auch von persönlichen Abhängigkeiten oder Animositäten und vor allem von politischen Gesichtspunkten abhängig waren, muß betont werden. Paradox, daß gerade der neue Dienstrechtsentwurf alles daran setzt, solche Abhängigkeiten zu verstärken und das fachliche Qualitätskriterium zu minimieren.
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Zu viel pragmatisiert ?
Die mit viel Getöse verkündete Abschaffung der Pragmatisierung als Wunderwaffe im Kampf gegen die Versteinerung gehört auch in diesen Zusammenhang. Natürlich: es ist an den Universitäten in machen Bereichen zu viel pragmatisiert worden, aus sozialen und politischen Gründen und ohne die Pragmatisierung an das Qualifikationskriterium einer ernst zu nehmenden Habilitation zu binden.
Hürden der wissenschaftlichen Karriere
In diesem Zusammenhang erscheint auch die geplante Abschaffung der Habilitation merkwürdig. Sie berücksichtigt einerseits nicht, daß es unterschiedliche Wissenschaftskulturen gibt und daß die große wissenschaftliche Monographie in den Geistes- und Kulturwissenschaften - im Gegensatz zu den Naturwissenschaften ¿ noch immer ein entscheidendes Qualitätsmerkmal ist.

Eine ganze Reihe bahnbrechender Studien auf diesen Gebieten waren und sind Habilitationsschriften. Zudem wird vergessen, daß die Möglichkeit der kumulativen Habilitation immer schon gegeben war.

Auf der anderen Seite muß man auch bedenken, daß die Habilitation aus einer Zeit stammt, in der ihr nur das einfache Doktoratsstudium vorausging. Seit Einführung der Diplomstudien und des Bakkalaureats bedeutet eine wissenschaftliche Karriere also, vier Qualifikationshürden zu überspringen ¿ das ist offensichtlich unsinnig, so daß sich die Sache einfach nach unten verschiebt.
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War früher die Habilitation Voraussetzung für eine akademische Karriere, so wird es nun eben das Doktorat sein. Gewonnen ist damit allerdings nichts - außer eine leichte Nivellierung nach unten. Aber auch diese liegt im Trend der Zeit.
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Ein unsicherer Job
Nicht vergessen darf allerdings werden, daß die Erstarrung mancher Institute auch mit dem seit 1995 de fakto geltenden Aufnahmestopp und damit zu tun hat, dass unzählige Stellen nicht nachbesetzt werden, dass auch dort, wo die Studentenzahlen steigen, die Lehrkörper nicht vergrößert, manchmal sogar dezimiert werden.

Die beschworene Fluktuation, die angepeilten befristeten Verträge werden nur dazu führen, daß auf den zu wenigen Stellen mobile Kurzzeitassistenten oder befristete Professoren sitzen, die sich kaum mit Engagement der Lehre widmen werden, weil sie ständig nach dem nächsten Job Ausschau halten müssen.
Flexible Menschen?
Allmählich fragt sich, welches Bild von wissenschaftlicher Arbeit in Lehre und Forschung die forschen Reformer eigentlich habe. Daß diese etwas mit Erfahrung, mit der Möglichkeit, langfristig zu planen und mit Kontinuität zu tun haben könnte, kommt offensichtlich niemandem mehr in den Sinn.

Und es sollte offen ausgesprochen werden, daß die Freiheit von Lehre und Forschung auch rechtlich durch einen erhöhten Kündigungsschutz für Forscher und Lehrer, die sich bewährt haben und die Qualifikationskriterien erfüllen, gesichert sein muß.
Die polemische Attacken auf die Pragmatisierung auf die Wurzel allen Übels hat wohl auch ihre Hintergründe. Man versteht schon, daß es manchen Politikern und Wirtschaftskreisen ganz recht wäre, wenn der Hinweis auf den befristeten Vertrag genügt, um Wissenschaftlern die Ergebnisse ihrer Forschung in aller Freundschaft nahe zu legen ¿ mittelfristig würde dies allerdings zu einem Zerfall der für eine moderne Gesellschaft so notwendige Wissenschaftskultur führen.
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Der Phrasen und modernen Sprechblasen gibt es viele: Effizienz zum Beispiel ist eines dieser altneuen Zauberwörter. Universitäten müssen effizienter werden. Aber was bedeutet das?
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Effizienz der Universitäten
Universitäten sind im Gegensatz zu einer offenbar weit verbreiteten Meinung keine Unternehmen, die ein Produkt herstellen und dann am besten sind, wenn sie dieses mit maximalem Profit verkaufen.

Wann ist eine Universität effizient? Wann ist einer Forscher effizient, wann ein Lehrer? Gibt hier nur die Statistik Auskunft? War Kant, der 10 Jahre lang nichts publizierte, ineffizient? Sind spezialisierte Institute und hochkarätige Seminare mit wenigen Teilnehmern und deshalb wenigen Studienabgängern ineffizient?

Sind Universitäten, die den Studierenden einen Freiraum bei der Studiengestaltung geben und gleichzeitig ein vielfältiges Angebot bereitstellen, ineffizient, weil sich so naturgemäß die Studiendauer verlängern wird?
Das Genie der Universitätsreform
Oder: Vernetzung. Wir müssen uns, so lautet der Imperativ der Stunde, vernetzen. Nur Teams sind heute noch konkurrenzfähig. Das stimmt für Disziplinen, die durch ihre gesamte Tradition und Forschungspraxis auf Forscherindividualitäten aufbauen, ganz sicher nicht; und, wie einem glänzenden Essay des Schweizer Biochemikers Gottfried Schatz zu entnehmen ist, nicht einmal für die Naturwissenschaften (FAZ v. 24. 1. 2001, S. 55).

Begabungen, Talente, Individualitäten, gar Genies zu fördern hat allerdings noch keine Universitätsreform zustande gebracht. Wie immer diese Reform letztlich aussehen wird: der Geist der Wissenschaft wird sich auch weiterhin gegen sie durchzusetzen haben.
Teil 1 dieser Überlegungen lesen Sie auf science.orf.at
->   K.P. Liessmann: Wissenschaft und Universitätsreform (Teil 1)
 
 
 
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