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Siegfried Mattl
Siegfried Mattl,
Institut für Zeitgeschichte, Universität Wien
 
ORF ON Science :  Siegfried Mattl :  Gesellschaft 
 
Erinnerungspolitik (3): Gianfranco Fini und die Legitimierung des Populismus  
  Im Zusammenhang mit den Briefbomben italienischer Anarchisten blieb es dem "Kurier" (11.1.2004) vorbehalten, die Stadt Bologna als Nährboden politischer Projekte vorzustellen. Auf der einen Seite die Radikalen (Rote Brigaden), auf der anderen die "demokratischen Talente". Zu letzteren gehört - man höre und staune - neben EU-Kommissionspräsident Prodi auch Gianfranco Fini von der "Alleanza Nazionale" (AN).  
Gewiss: man spricht vom "geläuterten Neofaschismus", seitdem sich Fini vergangenes Jahr bei Sharon von der Anti-Judengesetzgebung Mussolinis 1938 distanziert hat.

Aber genügt das tatsächlich, um zum begabten Demokraten aufzusteigen? Die Südtiroler haben ihn jedenfalls anders im Gedächtnis - nämlich als nationalistischen Haupteinpeitscher für die Rückbenennung des "Siegesplatzes" in Bozen.
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Im Rahmen einer Serie zum Thema "Erinnerungspolitik" hat Siegfried Mattl in science.ORF.at bereits zwei Beiträge veröffentlicht:
"Zur Entsorgung Julius Wagner-Jaureggs"
"Zur Entsorgung Matthias Sindelars"
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Aushöhlung des Rechtsstaates
Und als Mitglied der Regierung Berlusconi trägt Gianfranco Fini mit die Verantwortung für die Aushöhlung des italienischen Rechtsstaates und die Zementierung von Berlusconis Wirtschafts- und Medienimperiums, das sich durch Einschüchterung und Anlassgesetzgebung in eigener Sache am Leben hält.

(Nur so nebenbei: Die von Fini mitgetragene "Legge Cirami" erlaubt, Prozesse bei vermuteter Voreingenommenheit der Richter aufzuschieben - und sichert damit Berlusconi die Verjährung in Strafverfahren, die gegen ihn (u.a. wegen Richterbestechung) eingeleitet worden sind; die Bilanzfälschung, eines der Delikte, die gegen Berlusconis Firmenkonglomerat geltend gemacht wurde, wurde entkriminalisiert; die Steuerhinterziehung (siehe letzten Satz) fällt unter ein Amnestiegesetz.)
Gedächtnispolitik als Vergessenspolitik
Vielleicht hat sich Fini innerlich vom Antisemitismus des alten italienischen Faschismus distanziert - sein AN-Kollege Pasquale Squitieri, ein Regisseur und Senatsabgeordneter, zauberte bei einer Diskussionsveranstaltung auf skandalöse Weise vor, wie leicht man als Postfaschist hier switchen kann: Er trennte einfach zwischen guten italienischen Juden und anderen, die er sogar der Kollaboration mit den Nationalsozialisten beschuldigte.

Der "Duce", so eine beliebte Lesart im AN-Milieu, habe mit seiner "Rassenpolitik" bloß die Deutschen getäuscht, wärend die Italiener stets zu "ihren" Juden gestanden seien.

Der Populist und Nationalist Fini als "demokratisches Talent": Was wird dafür ins Treffen geführt? Seine verbale Haltung zur Vergangenheit, der Bruch mit dem Vokabular des "Movimento Sociale Italiano", den Fini 1994 zur AN umgebaut hat. So gesehen wird "Gedächtnispolitik" zur Ideologie und zur Vergessenspolitik, das heißt zum Verzicht der Erinnerung daran, was gestern und heute tatsächlich passiert ist.
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