Host-Info
Siegfried Mattl
Siegfried Mattl,
Institut für Zeitgeschichte, Universität Wien
 
ORF ON Science :  Siegfried Mattl :  Gesellschaft .  Wissen und Bildung 
 
Die Helden der Massenkultur  
  Die niederösterreichische Landesausstellung ist heuer zweigeteilt - "Lauter Helden" zeigt den Wandel der Heldenbilder von der Antike bis in die Welt der Comics und des Cyberspace. Ein Katalogbeitrag verbindet die exemplarische Geschichte der Bluessängerin Janis Joplin mit einer Bestandsaufnahme der Produktionsbedingungen von "Helden" in der modernen Popularkultur - nur ein "früher" und "angemessener" Tod kann das Überleben dieser Helden garantieren, so die These.  
Viele mythologische Figuren ...
Die Produkte der Popularkultur des vergangenen Jahrhunderts strotzen vor mythologischen Figuren. Batman, Spiderman, Catwoman und all die anderen teilen mit den antiken Wesen eine unbestimmte Herkunft und übermenschliche Fähigkeiten und übertreffen diese sogar durch ihre Fertigkeit, an verschiedenen Orten zugleich aufzutauchen - sei es in Comics, Filmen oder Songs.

Sie sind, wie Richard Reynolds in "Superheroes" feststellt, Mediatoren, an deren Handlungen Sichtweisen der Welt zwischen Magie und Rationalität verhandelt werden.
... aber keine Helden wie James Dean & Co
Helden hingegen, Menschen, die sich durch ihre Werke und Handlungen von den anderen abheben und ganze Gemeinschaften gegenüber ihrer moralischen Verlassenschaft dauerhaft in ein Schuldverhältnis nehmen, hat die Massenkultur nur wenige hervorgebracht: James Dean, Marilyn Monroe, Che Guevara, Jimi Hendrix, Janis Joplin, Jim Morrison ...

Die anderen sind Stars, keine Helden, Role-Models, die mit dem Tag und den Fans kommen und gehen. Dies zumindest ist die Bilanz, wenn man innerhalb der kommerziellen Denkungsart bleibt, die der Massenkultur zugerechnet wird, und die Sujets der Vermarktung wie der Huldigung - Posters, T-Shirts, Star-Biographien - als Indizien heranzieht.

Betreibt die Massenkultur etwa bloß Mimikry gegenüber der Hochkultur, um diese ihrer menschheitsverbessernden Funktion zu berauben?
Kulturindustrie: Bloß Konsum oder auch Demokratie?
Die Massenkultur, so wussten schon Theodor Adorno und Max Horkheimer, produziert rasch vernutzte Surrogate, Standardgüter in Serie ohne individuelle Qualität und zum unmittelbaren Konsum bestimmt. "Kulturindustrie" eben.

Wo sollen nachhaltige Erfahrungen herkommen, wenn es bloß um die Aufbau von Spannung und um Zerstreuung geht, statt um die konzentrierte Aneignung geistiger Prozesse?

Andererseits: Verbirgt sich hinter der Vorstellung vom autonomen Kunstwerk nicht, wie die Verteidiger der Massenkultur meinen, ein Machtverhältnis, das soziale Privilegien legitimiert? Eröffnet demgegenüber die "Kulturindustrie" nicht einen mehr demokratischen Raum, in dem auch andere als rein intellektuelle Fertigkeiten und Kenntnisse zu ihrem Recht kommen? Und wohin haben uns die Helden geführt, außer zum Nationalismus?
Ecos Antwort: Kultur liegt in Kommunikation
Umberto Eco hat in einem zwischenzeitlich schon betagten Essay eingewandt: die notorische Streitfrage ist falsch gestellt. Weder kann von einer bloß "unterhaltenden" Natur massenkultureller Produkte die Rede sein, noch von einer spontanen Erweiterung kultureller Kompetenzen; ebenso wenig wie die Hochkultur von Vergnügungen frei ist und ein Hindernis für Barbarei darstellt.

Es käme, so Eco, vielmehr auf die Tatsache an, dass kulturelle Werte nicht in den Dingen selbst lägen, sondern in den kommunikativen Beziehungen, in die diese eingewoben sind.

Von "Kulturindustrie" zu sprechen sei nur dahingehend sinnvoll, dass im 20. Jahrhundert alle Aspekte der Kommunikation in massenmediale, d.h. marktfähige, umgewandelt worden seien.
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NÖ Landesausstellung 2005 "Zeitreise Heldenberg"
Die NÖ Landesausstellung 2005 gliedert sich in zwei Teile: Zum einen stehen die Helden bzw. der Wandel des Heldenbegriffs im Laufe der Jahrhunderte im Mittelpunkt. Neben den klassischen Helden der Antike wird hierbei auch auf die Helden im "Zeitalter der Masse" eingegangen.

Der zweite Teil der Ausstellung widmet sich den "Geheimnisvollen Kreisgräben": Dabei handelt es sich um bis heute von vielen Rätseln umgebene Denkmäler, die in der mittleren Jungsteinzeit - in der Zeit von 4.800-4.500 v. Chr. - errichtet worden sind. Die meisten dieser Monumentalbauten liegen in Niederösterreich.

NÖ Landesausstellung 2005 "Zeitreise Heldenberg", 5. Mai bis 1. November, Heldenberg in Klein-Wetzdorf, täglich von 9.00 bis 18.00 Uhr, Informationen unter Tel.: 02956 / 81331.
->   Zeitreise Heldenberg
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Massenmedien fehlt fester Ort und Zeit ...
Unter den vielen Elementen, die die Kultur der (modernen) Massenmedien von anderen, wie derjenigen des Buches, unterscheiden, kommt für die Produktion von Helden dem Ort und der Zeit besondere Bedeutung zu.

Massenmedien haben keinen festen physischen Ort und keine Dauer, innerhalb derer sich ihre Produkte bewähren und altern können.

Während die Hochkultur wesentlich durch die Entwicklung eines "Kanons" gebildet wird, der in der Zeit durch das Zusammenwirken von Institutionen wie Museen, Kunstwissenschaften, Kunst-Vereinen und -Gesellschaften, Kritikern und Publikumsgemeinschaften entsteht und eine Art "Archiv" darstellt, das Vergangenheit und Gegenwart verbindet und den Protagonisten bereits einen potenziellen Erinnerungsort offeriert (als Neuerer, als Schwierige, als Verkannte ...), beruht die Ökonomie der Medien auf der kontinuierlichen Substitution bzw. Variation ihrer Güter und der Schaffung immer neuer Schichten und Segmente von Publikum. Redundanzen können nicht aussedimentieren, sondern müssen vergessen werden.
... und somit das Gedächtnis
Was den Massenmedien fehlt, ist ein Gedächtnis, so wie ihnen die Vorstellung einer eigenen "Entwicklung" fehlt, die über punktuelle Ereignisse hinausgeht, die Unterscheidung von Phasen und Epochen ermöglichte, und eine "kritische" Aneignung der eigenen Vergangenheit garantierte.

Die Geschichte der Massenmedien ist sentimental, relevant (auch und besonders) für ihr Publikum durch die nicht-reflexive Wiederkehr von affektiven Zuständen.

Erst die letzten Jahre verzeichnen so etwas wie eine Institutionalisierung oder sogar Akademisierung der Vergangenheit der Popularkultur, nicht zuletzt deshalb, weil sich eine ganze Generation, repräsentiert beispielsweise von den Literaten der "Neuen Archivisten", biographisch geprägt fühlt von der Durchdringung ihres Alltags durch Pop-Fragmente.
Einzige Chance für Helden: Zeitgerechter Tod
In einem solchen Milieu haben es Helden schwer, als solche erkannt zu werden. Und ein Erinnerungsort ist für die Protagonisten, im Gegensatz zur Hochkultur, nicht von vornherein vorgesehen.

Nur durch besondere Umstände, konkret: durch einen zeitgerechten, gewaltsamen und der öffentlichen Rolle angemessenen Tod, der einen unvermuteten Realitätsbezug in die Massenkultur einschleust und die Zerstreuung unterbricht, kann man hier "Unsterblichkeit und Pop-Ikonenhaften Heiligenstatus" erreichen.
Janis Joplin: Teil des amerikanischen Erbes
Janis Joplin hat es zu solchem Heldentum gebracht. Sie bzw. ihre Musik fungiert, wie Ingeborg Schober in ihrer 2002 erschienen Joplin-Biographie vermerkt, auch in zeitgenössischen TV-Serien und Filmen, 30 Jahre nach ihrem Tod, als universales Zeichen für trotzige, selbstbewusste und widerspenstige junge Frauen und als Referenz für die feministische Eroberung der männlichen Domäne Rock-Kultur.

In einem Rechtsstreit mit der Familie Joplin um die Exklusivität der literarischen Verarbeitung von Janis Leben argumentierte die Autorin Susan Ross, Janis sei Teil des nationalen Erbes der USA. Ross gewann den Drei-Millionen-Dollar-Prozess.

[4.5.05]
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Bei dem Text handelt es sich um eine gekürzte Version des Beitrags von Siegfried Mattl zum Katalog "Lauter Helden" (Verlag Berger) zu NÖ Landesausstellung 2005.
->   Verlag Berger
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