Host-Info
Siegfried Mattl
Siegfried Mattl,
Institut für Zeitgeschichte, Universität Wien
 
ORF ON Science :  Siegfried Mattl :  Wissen und Bildung 
 
Haus der Geschichte und Toleranz
Warum Museen nicht alles lösen können
 
  Seit vor zwei Jahren im Regierungsauftrag Konzepte für ein "Haus der Toleranz" wie ein "Haus der Republik" erstellt worden sind, droht der Republik latent ein Geschichts-Desaster. Dies nicht zuletzt, weil die Gedächtniskultur hierzulande nicht zwischen Museen und Memorialen zu unterscheiden vermag.  
"Tintenburg" Palais Epstein
Vor kurzem hat Armin Thurnherr im "Falter" (Nr.43/01) wieder die Forderung aufgegriffen, das Palais Epstein, früher Sitz des Stadtschulrates, umzugestalten zum "Denkmal der Glanzzeit jener jüdischen Bourgeoisie, welche die Wiener Moderne hervorbrachte". Derzeit - seit der Übersiedlung von Verwaltungsstellen des Nationalrates hierher - sei es "schändlicherweise" (?) eine "Tintenburg für Parlamentsbürokraten" (!).
Erbschaft großkoalitionärer Harmoniesucht
Worüber soll man sich nun mehr wundern: über die populistischen Ressentiments - ausgerechnet im "Falter" - gegen "die" Politiker-Beamten, oder über die typisch österreichische (?) Gedächtnisschwäche, die sich im Kommentar bemerkbar macht. Denn: nicht ein weiteres Fin-de-Siècle-Museum im Palais Epstein stand (und steht) zur Debatte, sondern ein "Haus der Toleranz" als Museum der Shoa und als staatsbürgerlicher Lernort.

Und noch etwas macht uns Armin Thurnherr vergessen: hübsch großkoalitionär - nach den noch 1999 geltenden Farbcodes von Rot und Schwarz - soll das "Haus der Toleranz" mit einem "Haus der Geschichte" fusioniert werden, das der Republik ein neues kollektives Gedächtnis verordnet.
Die Ablehnungsfront
Die politische Fragwürdigkeit dieser beiden Unternehmen hatte immerhin zu einer einmaligen Protest- und Ablehnungsfront unter den österreichischen HistorikerInnen geführt - nachzulesen auf der homepage des Instituts für Zeitgeschichte (www.univie.ac.at/zeitgeschichte/haus). Die Sache ist aber mit dem Bruch der großen Koalition noch nicht ausgestanden. Dem Vernehmen nach läßt das Bildungsministerium weiter am "Haus der Geschichte" basteln, das unter Umständen nun gemeinsam mit der Stadt Wien realisiert werden wird.
Memorial: Ein aktives Erinnern
Was an beiden Studien und an der affirmativen Haltung der Politik dazu verstört, ist die Meinung, den Holocaust im Rahmen eines österreichischen Museums auf dokumentarische Weise (und damit scheinbar "objektiviert") repräsentieren zu können. Darin zeigt sich die Ignorierung der wichtigsten internationalen Debatten, die im letzten Jahrzehnt zur Kultur der Erinnerung und zur Gedächtnispolitik geführt worden sind.

Ich möchte aus der Vielzahl von Beiträge nur auf Iwona Irwin-Zarecka in "Frames of Remembrance" verweisen. Die Frage, die Irwin-Zarecka aufwirft, lautet: Können wissenschaftliche und künstlerische Repräsentationen der Vergangenheit Identität stiften und Gruppen der Gesellschaft (oder ganzen Gesellschaften) ein Selbstwert- und Machtbewusstsein verleihen?

Und sie beantwortet diese Frage anhand der Praktiken der letzten drei Jahrzehnten damit: Denkmäler, Museen oder Dokumentationsarchive erfüllen diese Funktion nur dann, wenn sie mit persönlicher Anteilnahme der Kollektive und mit positiven Werten verknüpft werden können. Dann fungieren sie als "Memoriale", das heißt als moderne Varianten von Gedächtnisorten, die durch den spezifischen Raum und die der gemeinsamen Erinnerung gewidmete Zeit Zusammengehörigkeit bestätigen und verstärken.
Gegenteil musealer Erinnerungskultur
Es versteht sich, dass das Memorial nur aus einer gelebten Erinnerung, aus einer aktiven Bewegung beispielsweise für rechtliche und soziale Anerkennung einer diskriminierten Gruppe hervorgehen kann. (Die russischen Opfer der stalinistischen Verfolgung und der Aufbau ihres MEMORIAL-Archivs sind eine der prominentesten Initiativen.)

Das Memorial wird in dieser Perspektive, um Irwin-Zareckas Beobachtungen weiterzuführen, zum Gegenteil der faktisch-dokumentarisch-distanzierenden musealen Erinnerungskultur, die gar nicht anders kann, als Identitäten und Status zu verordnen und zuzuschreiben.
Museen: Die Macht, zu definieren
Das Museum dient nicht der Selbstermächtigung von Gruppen und Individuen, sondern der ideologischen Bestätigung von bestehenden Unterordnungen. (Aber selbstverständlich kann auch ein Museum ein Memorial werden, wie das von schwarzen Bürgerrechts-Gemeinschaften betriebene "Railroad Underground"-Museum zur Erinnerung an die Sklaverei in den USA.)

Das Memorial, so Irwin-Zarecka weiter mit Bezug auf die Shoa und die Erinnerungsformen an sie, entzieht sich dem ästhetischen oder dem wissenschaftlichen Urteil, weil seine Funktion und Angemessenheit nur von den betroffenen Gruppen, den Opfern, beurteilt werden kann.

Anders gesagt: auch wenn es gut gemeint sollte, so stellt die Überlegung des einen oder anderen aufgeklärten Menschen, den ermordeten und vertriebenen österreichischen Juden ein Denkmal zu setzen - legitimiert mit Wissenschaftlichkeit, (Bau)künstlerischer Qualität oder Aura des Ortes - eine erstaunliche Anmaßung dar.
Das 20. Jahrhundert: Geteilte Vergangenheiten
Die Opposition von Memorial und Museum baut selbst wiederum auf einem fundamentalen Wandel unserer Geschichtsbilder auf. Die nationalistischen Heilserwartungen des 19. Jahrhunderts haben dem skeptischen Wissen um eine Politik der Ausgrenzung und Exterminierung, die sich eben auf die Verpflichtungen durch die "Geschichte" berufen hat, Platz gemacht.

Der entscheidende Aspekt dieser Geschichtspolitik ist die Selbstartikulation der Kollektive und die Zurückweisung eines "allgemeinen" Sinnes in ihrer Leiderfahrung, von dem her sich eine Aussöhnungs- oder Versöhnungspolitik mit der offiziösen Geschichte zwangsläufig einstellen müsste. Diesen erreichten Punkt sollte man nicht zu hintergehen versuchen, schon gar nicht mit einem "Haus der Geschichte und der Toleranz".
->   Universität Wien, Zeitgeschichte
 
 
 
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