Host-Info
Siegfried Mattl
Siegfried Mattl,
Institut für Zeitgeschichte, Universität Wien
 
ORF ON Science :  Siegfried Mattl :  Gesellschaft 
 
Der Richter als Krieger
Einsichten aus dem Kosovo-Krieg
 
  Der britische Journalist und Schriftsteller Michael Ignatieff bietet in seinem neuen Buch über den Kosovo-Krieg erstaunliche Einblicke in die "Revolution in militärischen Angelegenheiten".  
Politisch prekäres visuelles Spektakel
Als während des Golf-Krieges die Marschflugkörper vor den Augen der staunenden Reporter durch die Straßen Bagdads flogen und sich selbsttätig ihre Ziele suchten war eine neue Zeit aufgeschlagen worden: der Krieg wurde zum optischen Spektakel und zum sauberen telechirurgischen Eingriff.

Scheinbar sauber, denn ohne die in traditioneller Form und mit hohen Verlusten an Menschenleben - außerhalb des Gesichtsfelds der Kameras - geführten Schlachten zu Land wäre "desert storm" nicht zum Abschluß gekommen. Im Kosovo scheute die NATO dieses Risiko, um damit, wie Michael Ignatieff ausführt, knapp an einer politischen Katastrophe, nämlich dem Zerfall der Allianz, vorbeizuschrammen.

Ein Paradox tut sich auf mit Ignatieffs Buch über den "Virtuellen Krieg": mit der hochtechnologisch garantierten Möglichkeit, Kriege auf Distanz zu führen, wird der politische Kontext, in dem die militärische Aktion stattfindet, mehr und mehr prekär.
Strategische Bedeutung von Militärrichtern
Das am meisten überraschende Faktum in Ignatieffs Bericht ist die strategische Rolle, die die Militärrichter im "virtuellen Krieg" einnehmen. Bedingt durch die internationalen Konventionen über Kriegsverbrechen müssen die Ziele taktischer Angriffe heute vorweg auf ihre rechtlichen Implikationen hin geprüft werden.

So weigerten sich die Briten im Kosovo-Krieg, Einsätze gegen den Fernsehsender in Belgrad zu fliegen. (Die amerikanischen Richter hingegen meinten, die "hate speech" des serbischen Regierungs-Senders schließe die völkerrechtlich garantierte Immunität aus.) Dies, ebenso wie die systematische Zerstörung der Elektrizitätsversorgung, stellte ihrer Meinung nach einen Verstoß gegen die Genfer Konvention dar.

Die amerikanischen Militärs reagierten auf so viel Sorge ihrer europäischen Verbündeten, indem sie diese nur noch bedingt über die geplanten Operationen informierten und den größten Teil der juridisch problematischen Angriffe alleine ausführten.

Mit gutem Grund also, wie Ignatieff ausführt, verweigern sich die USA gestern wie heute dem Projekt eines Internationalen Kriminalgerichtshofes, das - wie die Europäer und Kanadier wünschen - die zeitlich begrenzten UNO-Sondergerichte ablösen soll. Es ist für die USA unvorstellbar, daß amerikanische Piloten wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit vor internationale Tribunale gestellt werden könnten.
Ende des "gerechten Krieges"
Ignatieffs zentrale These vom "virtuellen Krieg" zielt allerdings auf einen anderen Punkt, den er als das Ende des "gerechten Krieges" bezeichnet. Ein gerechter Krieg, so Ignatieff, erfordert die Bereitschaft, das Leben der eigenen Soldaten aufs Spiel zu setzen.

Nur so kann es zur Zivilisierung des Krieges, das heißt zur wohlweislichen Selbstbeschränkung bei der Anwendung von Gewalt wie zur dauernden Beobachtung von politischen Verhandlungsmöglichkeiten kommen. Nun stimuliert aber die Technologie der Präzisionswaffen auf Distanz bei denen, die ein Monopol darauf besitzen, die Vorstellung, jederzeit und überall militärische Sanktionen setzen zu können - unabhängig von den komplexen politischen Realitäten und getrieben von einer öffentlichen Meinung, die unter dem Diktat ultimativer Bilder steht.

Wie unkalkulierbar indes diese Bilder sind weist Ignatieff wiederum am Beispiel des Kosovo nach: Ende Mai 1999 hatte sich mit der Zunahme von schockierenden Aufnahmen wie derjenigen der irrtümlichen Bombardierung eines serbischen Zuges die öffentliche Meinung soweit gegen die Kriegsführung der NATO gedreht, daß ein schneller Ausstieg von Nöten war. Eine mit den Menschen- und Völkerrechten vereinbare politische Lösung im Kosovo war in weite Ferne gerückt. Ohne Bereitschaft zur Intervention mit Bodentruppen, so Ignatieffs Lehre, ohne Risikobereitschaft zulasten der eigenen Truppen ist das militärische Engagement für die Menschenrechte nicht glaubwürdig.
"Die Bürgerkriegsgesellschaft"
Ignatieffs Buch ist entstanden aus einer Reihe von aktuellen Kommentaren, die er 1998/99 vor Ort im Kosovo verfaßte. Seine Sympathie und sein Mitgefühl lagen ohne jeden Zweifel bei den Kosovo-Albanern. Um so überzeugender wirken seine sich mit Verlauf des Krieges verfestigenden Meinungen über den Täuschungscharakter der "Revolution in militärischen Angelegenheiten".

Die Fernlenkwaffen machen den künftigen Krieg nicht lokaler und politisch stärker kontrollierbar, sondern im Gegenteil: die auf der Hochtechnologie basierende neue Militärdoktrin schiebt sich mehr denn je in die zivile Gesellschaft vor. Es ist in diesem Zusammenhang aufschlußreich, und notwendig, sich mit den letzten polit-militärischen Szenarien zu befassen, die etwa von Erich Vad, Referent für Außen- und Sicherheitspolitik der CSU im Deutschen Bundestag, in Umlauf gesetzt werden.

Vad (Neue Zürcher Zeitung, 8.1. 2002) spricht von einer kommenden "Bürgerkriegsgesellschaft", in der sich der (politisch-moralisch geschwächte) idealtypische westliche Staat auf die Aufstelllung einer Art militärisch-polizeilicher Mischtruppe gegen politisch-kriminelle Milieus konzentrieren müsse. Die zu schaffenden "urban warriors" werden - hochtechnologisch gerüstet und selbständig in ausgedehnten urbanen Gebieten operierend - den Präventivkampf gegen die Gesellschaftsfeinde aufnehmen, explizit gegen die linken Autonomisten, die Skin-Heads, die Fundamentalisten, die Drogenmafia sowie die lateinamerikanischen Guerillas wie die Todesschwadronen.

Der "Erfolg" dieser "Systemsoldaten" wird nach Vad abhängig sein von der Kontrolle über die Medien, gewinnender ausgedrückt: von der "Informations-Souveränität" der Demokratien. Liest man Ingatieffs "virtuellen Krieg", dann wird man nichts mehr fürchten, als die definitive Regulierungsmacht gegenüber der Presse und den elektronischen Medien, die sich mit militärischen Logiken legitimiert.
Technologen-Diktatur
Ignatieffs Buch ist wichtig. Es immunisiert, gerade weil es aus der Perspektive eines Befürworters der NATO-Intervention in den Balkankriegen geschrieben ist, gegen die populistischen Szenerien, die der "Revolution in militärischen Angelegenheiten" zum fatalen Abschluß verhelfen wollen, d.h. zum Diktat einer Technologen-Kaste. "Virtueller Krieg" plädiert dementgegen für eine Intensivierung der demokratischen Politik, die mehr denn je die internationalen Institutionen einer Reform unterziehen soll.
 
 
 
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