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Drei Bücher zum Thema "Leben im Rollstuhl"  
  Zum Ende des Jahres der Menschen mit Behinderungen behandeln gleich drei Bücher das Thema "Leben im Rollstuhl". Geschrieben von Franz-Joseph Huainigg, Medienpädagoge und ÖVP-Behindertensprecher.  
"Ritter haben leicht lachen" ist der Titel des ersten Buches, in dem Huainigg aus seinem Leben mit der Behinderung von Kindheit an erzählt.

Franz-Joseph Huainigg ist ein besonders aufgewecktes und fröhliches Baby. Nach einer Impfung im siebenten Lebensmonat bekommt der kleine Franz-Joseph Fieber und hört auf zu strampeln, seine Beine sind fortan gelähmt. Die nächsten Jahre verbringt er am Boden kriechend.
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Die Welt von unten
"Am Boden fühlte ich mich wohl. Das war meine Welt. Das Krabbeln hatte ich perfektioniert: Am Spannteppichboden ging es eher langsam dahin, auf dem Perserteppich im Vorraum musste man in Strichrichtung krabbeln, am glatten Küchenboden glitt man am besten dahin", heißt es in dem Buch.

Am schwierigsten war es, die 17 Stufen von seinem Zimmer in die Küche hinunter zu gelangen: "Es galt, mit den Händen Stufenkante um Stufenkante im Tempo der normalen Fallgeschwindigkeit zu erfassen, damit man ohne zu bremsen unten ankam. Eine Art Wettbewerb, den ich meistens gewann."
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Höhenluft schnuppern
Mit neun Jahren kann Franz-Joseph dank neuer orthopädischer Bein-Stützschienen erstmals aufrecht stehen.

"Rechter Stock, linkes Bein, linker Stock, rechtes Bein - sagte die Therapeutin, während ich mich mit unendlicher Langsamkeit durch den Turnsaal quälte. Als wir bei einem Spiegel vorbeikamen, sah ich mich das erste mal selbst stehen, mit den Schienen und den Krücken. Da musste ich lachen: 'Jetzt sehe ich aus wie ein richtiger Ritter.'"

Franz-Joseph perfektioniert seine Gehtechnik. Was er auch braucht, obwohl er einen Rollstuhl hat. In der Hauptschule zum Beispiel, wo er zehn Treppen zum Eingang überwinden muss, weil es keine Rollstuhlrampe gibt. Und später in seiner ersten Studentenwohnung, die in einem Haus ohne Lift ist.
"Ich bin behindert"
Mit sechzehn muss er das erste mal zur Kenntnis nehmen, dass er in der Gesellschaft zur Gruppe behinderter Menschen gehört. Obwohl er sich selbst nicht so fühlt. Und zwar als er ein Bewerbungsschreiben für einen Auslandaufenthalt in England verfasst.

"Ich musste irgendwie meine Lebenssituation beschreiben. Einen Nachmittag lang überlegte ich hin und her. Dann setzte ich mich an die Schreibmaschine und tippte: Ich bin behindert. Es war wie ein Bekenntnis, schriftlich festgehalten, schwarz auf weiß geschrieben, von mir selbst. Ab nun gehörte ich der Gruppe behinderter Menschen an."
"Muss es denn gleich Liebe sein?"
"Muss es denn gleich Liebe sein?" ist der Titel des zweiten Buches von Huainigg - Untertitel: "Eine Rollstuhlhochzeit".

Darin erzählt der Autor die Liebesgeschichte mit seiner Frau Judit Marte. Mit ihr hat er heute eine Tochter. Kennen gelernt hat er sie auf einer Versammlung der österreichischen Hochschülerschaft an der Universität Wien.

Seine zukünftige Frau konnte ein von ihm geschriebenes Gedicht mit dem Titel: "Warum ich?", auswendig. Sie treffen sich öfter und finden einen zärtlichen humorvollen Weg zueinander.
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"Judith nannte mich liebevoll 'Schildkrötle'. Auch die dünnen Beine begann sie zu lieben. Meinen Rücken nannte sie die 'Rocky Mountains'. Dieser Humor, der mit ohnehin liegt, tat uns beiden gut."
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Kein Schwiegersohn zum Vorzeigen
Es folgt eine Zeit, in der Huainiggs Gedanken ständig um Judit kreisen und, wie er schreibt, das innere Herzklopfen den Tagesrhythmus bestimmt.

Nach der ersten Liebes-Euphorie beginnt eine schwierige Zeit. Judit muss lernen, die Behinderung von Franz-Joseph anzunehmen. Es gibt keine gemeinsamen sportlichen Aktivitäten, die künftigen Schwiegereltern reagieren ratlos. Er ist kein Schwiegersohn zum Vorzeigen.
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Gemeinsames Kind?
Huainigg macht sich Gedanken darüber, wie ihr künftiges Leben aussehen könnte: "Zunächst müsste es uns ja gelingen, ein Kind zu zeugen. Nachdem uns aber noch niemand das Gegenteil bewiesen und auch andere schon Kinder gezeugt hatten, lag das durchaus im Bereich des Möglichen. Das Problem war aber eher: was ist danach? Besonders ich war mir im Klaren, dass ich zuhause sitzend das Kind versorgen würde, während Judit arbeitend unterwegs ist. Ob mich das glücklich machen würde?"
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Eine ungewöhnliche Hochzeit
In vielen Gesprächen und Seminaren findet das Paar die Antworten und heiraten. Eine ungewöhnliche Hochzeit.

Judit fährt im weißen Hochzeitskleid mit Rollschuhen, ihren künftigen Ehemann im Rollstuhl vor sich herschiebend, in atemberaubendem Tempo zur Kirche. Auf den Einladungskarten steht: "Es ist Unsinn, sagt die Vernunft. Es ist, was es ist, sagt die Liebe."
"Meine Füße sind der Rollstuhl"
"Meine Füsse sind der Rollstuhl" schließlich lautet der Titel des dritten Buches von Franz-Joseph Huainigg. Es ist für Kinder geschrieben und handelt von Behinderung, Anderssein und Toleranz.

Es beschreibt jenen Tag im Leben des Mädchens Margit, dessen Fortbewegungsmittel ein Rollstuhl ist, an dem sie zum ersten mal einkaufen fahren darf.
"Ich bin nicht anders"
Auf dem Weg zum Supermarkt sehen sie die Menschen mitleidig an - was Margit ärgert, weil sie sich nicht anders fühlt als ihre nichtbehinderten Mitmenschen.

Beim Überqueren der Straße steht sie plötzlich vor einer hohen Gehsteigkante, die sie ohne Hilfe nicht überwinden kann. Im Supermarkt verhalten sich die Verkäufer merkwürdig.

"Sie will gerade nach der Milch greifen, da wird sie ihr schon gereicht. Der Verkäufer lächelt freundlich. 'Ich hab doch gar nicht gebeten, dass der mir die Milch gibt!', ärgert sich Margit. Auch das Obst ist rasch gefunden. Sie will gerade nach einem Netz mit Äpfeln greifen, da wird es ihr schon gegeben. Der Verkäufer lächelt freundlich. Margit lässt die Äpfel wütend in den Rollstuhl fallen. 'Ich möchte meine Äpfel selbst nehmen wie alle anderen auch!' ruft sie. Der Verkäufer schüttelt verständnislos den Kopf."

Edith Bachkönig, Ö1-Wissenschaft

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01.01.2010