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Warum das Herz auf der linken Seite sitzt  
  Von außen betrachtet ist der Mensch (mehr oder weniger) symmetrisch gebaut. Im Inneren des Körpers sieht es jedoch anders aus: So sitzt etwa das Herz bekanntlich nicht in der Mitte, sondern eher links. Warum das so ist, hat jetzt ein internationales Forscherteam geklärt. Bereits 20 Stunden nach der Befruchtung der Eizelle beginnen im Embryo molekulare Vorgänge, welche die Symmetrie stellenweise aufheben.  
Wie Angel Raya vom Salk Institute in Kalifornien mit Hilfe seiner Mitarbeiter nachweisen konnte, kommt dabei dem Ion Kalzium eine entscheidende Rolle zu. Die Forscher fanden eine Signalkette, die anfängliche Schwankungen der Ionenkonzentration in genetische Mechanismen übersetzt.
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Die Studie "Notch activity acts as a sensor for extracellular calcium during vertebrate left-right determination" von Angel Raya et al. erschien in der Zeitschrift "Nature" (Band 427, S.121-8, Ausgabe vom 8.1.04).
->   Original-Abstract in "Nature"
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Der Mensch ist (fast) spiegelbildlich gebaut
Viele Tiere, darunter auch der Mensch, besitzen zwei gleich gestaltete Körperhälften. Das heißt, ihr Körper weist eine so genannte Bilateralsymmetrie (von lat. "latus" für "Seite") auf. Zumindest oberflächlich betrachtet.

Denn Aufbau und Lage der Organe halten sich nicht immer an die allgemeine spiegelsymmetrische Vorgabe. Die bekanntesten Beispiele dafür sind etwa das links sitzende Herz und die rechts gelegene Leber
->   Mehr dazu bei Wikipedia
Zwei Hauptakteure: Protein Nodal ...
Wie sich Herz und Leber bilden, ist relativ gut erforscht. Aber wie diese Asymmetrie in der frühen Embryonalentwicklung eingeleitet und manifestiert wird, war bisher nur äußerst bruchstückhaft bekannt.

Aus den bisher erfolgten Untersuchungen wusste man nur, dass zwei Moleküle an diesem Vorgang beteiligt sein müssen: zum einen das zur Gruppe der Wachstumsfaktoren gehörende Protein Nodal, das auf der linken Seite einer Zellregion hergestellt wird, die Entwicklungsbiologen als Hensenschen Knoten bezeichnen.

Dieser auf der Mittellinie des Embryos gelegene Bereich fungiert als Organisationszentrum während der Keimesentwicklung.
->   Mehr zum Hensenschen Knoten (Universität Zürich)
... und Rezeptor Notch
Zum zweiten war aus Versuchen an Mäusen bekannt, dass die Aktivierung von Nodal wiederum von einem Signalweg abhängt, der vom Zellrezeptor Notch vermittelt wird.

Wie diese beiden molekularen Eckpunkte ineinander greifen und die Aufhebung der Gesamtsymmetrie bewirken, hat nun Raya mit einer Reihe von Mitarbeitern aufgedeckt.
->   Mehr zu Notch-Rezeptoren (aerztezeitung.de)
"Schuld" ist das Kalzium
Dabei griff das US-amerikanisch-portugiesische Forscherteam sowohl auf ein mathematisches Modell, das die Wechselwirkung der bekannten Moleküle abbildet, als auch auf konkrete Versuche am Huhn-Embryo zurück.

Die kurze Antwort auf die Frage nach der Ursache der Asymmetrie lautet: Das Kalzium-Ion ist offensichtlich der entscheidende Auslöser.
Die Kaskade im Detail
Die längere Version der Antwort liest sich folgendermaßen: Raya und Mitarbeiter fanden eigentlich heraus, dass die Symmetriebrechung von einer ganzen Signalkaskade ausgelöst wird.

An deren Beginn steht die Drosselung der Tätigkeit einer Ionenpumpe an der linken Seite des Hensenschen Knotens. Das führt zu einer Spannungsänderung in den betreffenden Zellen.

Ein Umstand, den sich Nervenzellen bekanntermaßen zu Nutze machen, um Informationen zu verarbeiten. Und auch hier passiert etwas Ähnliches:

Die veränderte Membranspannung ändert kurzfristig die vorhandene Menge an Kalziumionen außerhalb der Zellen, was wiederum zur Herstellung des Proteins Nodal führt. Das passiert bereits sehr früh, nämlich 19 bis 22 Stunden nach der Befruchtung der Eizelle.
Erstmals Übersetzung in (epi-)genetische Information nachgewiesen
Der molekulare Reigen schließt sich dann insofern, als auch entscheidende chemische Eigenschaften von Notch durch die erwähnten Kalziumionen geregelt werden. Und das ist letztlich der Grund dafür, dass die Linkslastigkeit in Form der Aktivierung des Nodal-Gens fixiert wird.

Wie Nick Monk von der University of Sheffield in einem Begleitartikel schreibt, sei das der erste entwicklungsbiologische Nachweis dafür, wie sich kurzfristige nicht genetische Einflüsse in genetischen Aktivitätsmustern manifestieren.
Der Artikel "Asymmetric fixation" von Nick Monk erschien in der Zeitschrift "Nature" (Band 427, S.111-2, Ausgabe vom 8.1.04).
->   Original-Artikel in "Nature" (kostenpflichtig)
Was ist die Ursache der Ursache?
Trotz des nun lückenlos nachgewiesenen Signalwegs drängt sich an dieser Stelle folgende Frage auf: Was ist die allererste Ursache der beobachteten Kaskade?

Monk weist in seinem Artikel auf einen viel versprechenden Kandidaten hin: Die von links nach rechts gerichtete Strömung der extrazellulären Flüssigkeit im Bereich des Hensenschen Knotens könnte an erster Stelle entscheidend in das Wirkungsgefüge eingreifen.

Das umso mehr, als es tatsächlich Studien gibt, die einen Zusammenhang zwischen Kalziumkonzentration und Flüssigkeitsströmungen nahe legen. Wie dieser Zusammenhang im Detail gegeben ist, bleibt allerdings noch zu untersuchen.

Robert Czepel, science.ORF.at
->   Salk Institute
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01.01.2010