News
Neues aus der Welt der Wissenschaft
 
ORF ON Science :  News :  Umwelt und Klima .  Leben 
 
Erbgut zeigt Anpassung an kältere Klimazonen  
  Im Laufe der Geschichte hat sich der Mensch bis in die nördlichsten Gebiete der Erde vorgearbeitet. Dort muss man sich allerdings warm anziehen - oder mehr eigene Körperwärme produzieren. Und tatsächlich haben Forscher bei Bewohnern der kälteren Klimazonen Mutationen im Erbgut gefunden, die genau dies bewirken. Ihre These: Die spezifischen Veränderungen haben es unseren Vorfahren einst erlaubt, sich an die Kälte anzupassen. Und ihr Nutzen für die Menschen war so groß, dass die Mutationen sich - trotz gleichzeitiger nachteiliger Auswirkungen auf die Gesundheit - bis heute erhalten haben.  
Die Wissenschaftler vom Center for Molecular and Mitochondrial Medicine and Genetics der University of California analysierten DNA-Proben von insgesamt 1.125 Personen aus ganz unterschiedlichen Klimazonen - von den tropischen Regionen Afrikas bis hoch ins nordöstliche Sibirien.

Mutationen der mitochondrialen DNA (kurz: mtDNA) erlaubten es demnach unseren Vorfahren, sich an das nördlichere Klima anzupassen, so die Forscher im Fachmagazin "Science".
...
Die Studie "Effects of Purifying and Adaptive Selection on Regional Variation in Human mtDNA" ist erschienen in "Science", Bd. 303, Seiten 223-226, Ausgabe vom 9. Jänner 2004.
->   Originalartikel in "Science" (kostenpflichtig)
...
Von Afrika aus in die ganze Welt
Der moderne Mensch hat sich vor Tausenden von Jahren - der gängigsten Theorie zufolge - von Afrika aus über die gesamte Welt verbreitet. Dabei aber wurden unsere Vorfahren mit den unterschiedlichsten Umweltbedingungen konfrontiert.

Nicht zuletzt unterscheidet sich schließlich auch das Klima zwischen den besiedelten südlichen und nördlichen Regionen der Erde ganz erheblich. Und genau das hat im Laufe der Geschichte auch seinen Niederschlag in den Genen gefunden, meinen die Forscher um Douglas Wallace.

Spezielle Mutationen der so genannten mitochondrialen DNA sollen unseren Vorfahren geholfen haben, sich an die niedrigeren Temperaturen der nördlichen Hemisphäre anzupassen.
Mitochondrien: Die "Zelluläre Kraftwerke"
Jede einzelne menschliche Körperzelle besitzt rund 1.000 Mitochondrien. Diese "zellulären Kraftwerke" sind dafür verantwortlich, aus Nährstoffen Energie zur Aufrechterhaltung der Lebensfunktionen zu gewinnen.

Das drückt sich in zwei primären physiologischen Funktionen aus: Mitochondrien sorgen für die Produktion von Adenosin-Triphosphat (ATP) - und für die Erzeugung von Wärme. Wobei die Umsetzung in ATP überwiegt.
->   Mehr Informationen zu den Mitochondrien in www.zum.de
Mutation führt zur Mehr-Produktion von Wärme
Das Verhältnis von ATP- und Wärme-Produktion ist allerdings nicht bei allen Menschen gleich. Tatsächlich finden sich in der DNA der Zell-Kraftwerke Mutationen, die jenes Verhältnis - zugunsten der Erzeugung von Wärme - verschieben könnten.

Diese wiederum tauchen vor allem bei Menschen auf, die aus den kälteren Regionen der Erde stammen. Der Schluss der Forscher: Das Klima war die treibende Kraft hinter jenen Erbgut-Veränderungen, diese seien das Ergebnis einer positiven natürlichen Selektion.
...
Mitochondrien-Analyse und die "Urmütter" der Menschheit
Mitochondrien sind auch aus einem anderen Grund von großem Interesse - das Besondere an ihnen ist, dass bei der Fortpflanzung bzw. Befruchtung einer Eizelle lediglich die mütterlichen Mitochondrien an die Nachkommen vererbt werden. Mit anderen Worten: Die zellulären Kraftwerke besitzen ein eigenes Genom und dessen 37 Gene werden unverändert weitergegeben - sie zeigen die genuine mtDNA-Information der mütterlichen Linie eines Menschen ungebrochen über alle Generationen hinweg. So hat etwa der britische Humangenetiker Bryan Sykes von der Universität Oxford 2001 mithilfe der Mitochondrien-Analyse versucht, die "Urmütter" der Menschheit zu ermitteln. Er kam auf ganze 33, sieben etwa für 99 Prozent der Europäer.
->   Mehr dazu: Die Menschheit hat 33 Urmütter (31.5.01)
...
Nachteil: Anfälliger für Erkrankungen
Doch die Sache hat auch Nachteile, wie die Forscher schreiben: Denn bei jenen Menschen wird natürlich als Folge weniger ATP in den Zellen eingelagert, das den Energievorrat der Zelle darstellt und für die Produktion diverser wichtiger Stoffe benötigt wird.

Das wiederum macht diese Personen anfälliger für bestimmte Erkrankungen ("energy deficiency diseases").
Alte Mutation - Positive Wirkung muss überwiegen
Dennoch, den Ergebnissen zufolge handelt es sich bei der Mutation um eine sehr alte Veränderung des Erbgutes. Die aber wäre heute nicht so zahlreich zu finden, würden die positiven Auswirkungen - zumindest für die Bewohner der nördlichen Hemisphäre - nicht überwiegen.
Mehr Körperwärme und höhere Lebenserwartung
Und dem ist offenbar so: Der Vorteil der höheren Wärmeproduktion liegt auf der Hand - hinzu kommen aber noch weitere positive Wirkungen.

Wie die Forscher in "Science" berichten, steht die mtDNA-Mutation auch in Zusammenhang mit einem geringeren Auftreten von neurodegenerativen Erkrankungen. Und auch die Lebenserwartung ihrer Träger scheint höher zu sein.
Wirkung auf Gesundheit heute zu beobachten
"Unsere Beobachtungen unterstützen die Hypothese, dass gewissen alte mtDNA -Varianten es den Menschen erlaubten, sich an kältere Klimata anzupassen - resultierend in der regionalen Anreicherung von spezifischen mtDNA-Linien", fassen die Wissenschaftler ihre Ergebnisse zusammen.

Dieselben Varianten resultieren demnach heute in Unterschieden beim Energiemetabolismus - und zeigen sich auch an der Veränderung der in den Zellen entstehenden Schäden. "Sie beeinflussen damit die Gesundheit und Lebenserwartung."

"Um die individuelle Prädisposition für moderne Erkrankungen zu verstehen, müssen wir daher auch unsere genetische Vergangenheit verstehen", schreiben die Forscher weiter. Dies aber sei das Ziel einer neuen Disziplin, der "evolutionären Medizin".

Sabine Aßmann, science.ORF.at
->   University of California Ecology and Evolutionary Biology
Mehr zu diesem Thema in science.ORF.at:
->   "Milch-Gene": Koevolution bei Mensch und Kuh (24.11.03)
->   Evolution des Menschen: Faktor Klimawandel? (5.11.03)
->   Alles zum Stichwort Klima im science.ORF.at-Archiv
 
 
 
ORF ON Science :  News :  Umwelt und Klima .  Leben 
 

 
 Übersicht: Alle ORF-Angebote auf einen Blick
01.01.2010