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Chinesische Medizin: Die Biochemie von "Yin" und "Yang"  
  Yin und Yang sind die grundlegenden Prinzipien der traditionellen chinesischen Medizin. Ungeklärt ist jedoch die Frage, ob dieses Konzept auch im Begriffsrahmen der modernen Medizin darstellbar ist. Mehrere Forschergruppen versuchen daher gegenwärtig, die fernöstliche Lehre von der körperlichen Harmonie aus Sicht der Biochemie zu deuten.  
Wie Kam-Ming Ko und seine Mitarbeiter von der Honk Kong University in einem aktuellen Artikel berichten, bedeutet das Yang-Prinzip demzufolge soviel wie Energieproduktion in den Mitochondrien. Yin steht hingegen für Schutzmaßnahmen gegen schädliche Radikale in der lebenden Zelle. Das legt die Untersuchung der Wirkung verschiedener Heilkräuter nahe.
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Die Studie "Pharmacological basis of ¿Yang invigoration¿ in Chinese medicine" von Kam-Ming Ko, et al. erschien im Fachblatt "TRENDS in Pharmacological Sciences" (Band 25, Nr.1, S. 3-6).
->   "TRENDS in Pharmacological Sciences"
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Erste Verwendung im "I-Ging"
Die erste Verwendung der Begriffe Yin und Yang findet sich vermutlich in dem chinesischen Orakelbuch "I-Ging" aus dem siebten vorchristlichen Jahrhundert. Dieses Gegensatzpaar spielt nicht nur in der fernöstlichen Philosophie, sondern auch in der traditionellen chinesischen Medizin (TCM) eine fundamentale Rolle.
->   Mehr dazu bei tcm-berlin.de
Harmonie als Ziel
Als ein Hauptziel der TCM gilt die Aufrechterhaltung eines ausgeglichenen Kräfteverhältnisses zwischen Yin und Yang. Ersteres wird nach traditioneller Vorstellung (nebst anderen Eigenschaften) mit Ruhe in Verbindung gebracht, letzteres steht hingegen für Aktivität.

Wer in Begriffen der westlichen Medizin denkt, fühlt sich angesichts dessen an die antagonistische Wirkung des sympathischen und parasympathischen Nervensystems erinnert. Und tatsächlich weist dieser Vergleich auf eine Ähnlichkeit, die offenbar nicht nur auf der begrifflichen Ebene gegeben ist.
->   Gesund bleiben nach den Richtlinien der TCM (31.3.03)
Yin und Yang des Nervensystems
So wies etwa eine Arbeitsgruppe des Psychophysiology Laboratory der University of Arizona letztes Jahr nach, dass eine am Menschen festgestellte Yin- oder Yang-Unterfunktion auch mit einem Missverhältnis im sympathisch-parasympathischen System einhergeht.
->   Mehr zu Sympathikus und Parasympathikus bei Wikipedia
East meets West?
So stellt sich die Frage, ob die Konzepte der TCM nicht auch in weitergehender Form durch das begriffliche Inventar westlicher Prägung fassbar sind. Ein durchaus anregender Versuch in dieser Richtung wurde kürzlich von einer Arbeitsgruppe um Dejian Huang von den Brunswick Laboratories unternommen.
Yin-Heilkräuter schützen biochemisch
Die US-amerikanischen Forscher untersuchten Heilkräuter, denen eine besonders Yin-fördernde Wirkung zugesprochen wird. Dabei fanden sie heraus, dass Yin-Heilkräuter eine sechs mal höhere antioxidative Wirkung aufwiesen als die Pflanzen der Yang-Gruppe.

Dies dürfte vor allem auf einen hohen Anteil an bestimmten Inhaltsstoffen, nämlich so genannten Polyphenolen, zurückzuführen sein.
->   Mehr zu Polyphenolen (virtuelle-apotheke.de)
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Die Studie "When east meets west: the relationship between yin-yang and antioxidation-oxidation" Boxin Ou, Deijan Huang et al. erschien im Fachblatt "The FASEB Journal" (Band 17, Seiten 127-129.
->   Zum Originalartikel
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"Übersetzung" von Yin/Yang: Oxidation/Antioxidation
Daraus zogen Huang und seine Mitarbeiter den Schluss, dass dem Begriffspaar Yin-Yang auch eine biochemische Bedeutung zugeordnet werden kann. Ersteres steht demnach für Antioxidation, letzteres für Oxidation.
Körperliche Aktivität beruht auf Zellatmung
Eine ähnliche Stoßrichtung verfolgte nun ein Team um Kam-Ming Ko von der Honk Kong University of Science & Technology. Die chinesischen Wissenschaftler gingen von der Feststellung aus, dass das Yang-Prinzip für eine allgemeine Stärkung der Körperfunktionen steht.

Wie auch immer körperliche Aktivität gedeutet werden mag, letztlich beruht jeder energiezehrende Vorgang auf der Betriebsamkeit von kleinen Zellkraftwerken, den so genannten Mitochondrien.
Herzzellen werden durch Yang-Kräuter angeregt
Und tatsächlich gibt es auch Untersuchungen, denen zufolge die Wirkung von Yang-Heilkräutern mit einer Verbesserung der Zellatmung in Zusammenhang steht.

Besonders gut ins Konzept passen etwa solche Befunde, die an Herzzellen gewonnen wurden: Denn hier hat man es gleich auf zweierlei Ebenen mit dem Yang-Prinzip zu tun.

Einerseits auf der erwähnten Zellebene, zum zweiten auch auf dem Niveau des ganzen Körpers - denn das Herz ist schließlich ein Aktivitätszentrum, von dem alle anderen Organsysteme direkt abhängen.
Zellatmung erzeugt schädliche Nebenprodukte
Wie Ko und Mitarbeiter hinweisen, ist die erhöhte Aktivität der Mitochondrien allerdings ein zweischneidiges Schwert.

Denn die Organellen produzieren im Zuge ihrer biochemischen Tätigkeit nicht nur energiereiche Moleküle, sondern auch eine Reihe von sehr aggressiven Abkömmlingen des Sauerstoffs ("reactive oxygen species", kurz: ROS), die in der Zelle eine regelrechte Spur der Zerstörung hinterlassen.

Deswegen gibt es in der lebenden Zelle ein eigenes Verteidigungssystem von Antioxidantien, das die schädlichen Effekte der Atmung abfangen soll.
->   Mehr zu ROS (rcn.com)
In jedem Kraut steckt Yin und Yang
Ko und sein Team konnten nun zeigen, dass Yang-Heilkräuter auch diese Abwehrfunktion stärken. Eine Eigenschaft, die eigentlich der Yin-Kategorie zugeordnet werden sollte.

Die Autoren weisen in diesem Zusammenhang darauf hin, dass nach den Prinzipien der TCM sämtliche Heilkräuter sowohl Yin- als auch Yang-Eigenschaften aufweisen.

Mit anderen Worten, die beiden Prinzipien seien in ihrer Wirkung nicht als ausschließendes, sondern als komplementäres Paar zu verstehen.
Direkte Übersetzung fraglich, Wirkung jedoch nicht
Dieses Prinzip federt zwar zunächst widersprüchliche Befunde wirksam ab. Es wirft allerdings die Frage auf, unter welchen Bedingungen die vorgeschlagene Zuordnung von westlichen und östlichen Begriffen überhaupt noch widerlegt werden kann.

Doch selbst wenn sich die Konzepte der TCM nicht klaglos mit dem Theoriengefüge westlicher Herkunft zur Deckung bringen lassen sollten: Die gesundheitliche Wirkung der Heilkräuter bliebe davon jedenfalls unberührt - und das sowohl für Patienten im fernen Osten wie auch im nahen Westen.

Robert Czepel, science.ORF.at
->   Psychophysiology Laboratory (Univerity of Arizona)
->   Brunswick Laboratories
->   Honk Kong University of Science & Technology
Mehr zu diesem Thema in science.ORF.at
->   Studie: Schmerzlindernde Wirkung von Akupunktur (7.1.04)
->   Neuer Hinweis auf Funktionsweise der Homöopathie (16.6.03)
->   Traditionelle Chinesische Medizin und Ernährung (8.5.02)
 
 
 
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01.01.2010