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Affen teilen Nahrung, um "Schnorrer" ruhig zu stellen  
  Wirklich selbstloses Verhalten gibt es in der Natur nicht, lautet ein Grundsatz der Verhaltensforschung. Das Teilen von Nahrung beispielsweise beruht demnach auf der Erwartung, für die eigene Großzügigkeit irgendwann belohnt zu werden. Es gibt jedoch auch eine weitaus einfachere - und sehr menschliche - Erklärung für diese Verhaltensweise, meint nun ein US-Biologe: Tier (und Mensch) könnten zumindest gelegentlich auch teilen, um langwierige Belästigung durch den "Bettler" zu beenden - frei nach dem Motto "Da hast du, und jetzt lass mich in Ruhe".  
Der Biologe Jeffrey Stevens von der University of Minnesota hat bei zwei Affenspezies untersucht, ob sich eine Art Altruismus - in Form von Teilen des eigenen Nahrungsvorrats mit einem Artgenossen - anders als bislang üblich erklären lässt.

Seine Ergebnisse veröffentlichte der Wissenschaftler im Fachmagazin "Proceedings of the Royal Society of London B" - unter dem aussagekräftigen Titel: "Die selbstsüchtige Natur der Großzügigkeit".
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Die Untersuchung "The selfish nature of generosity: harassment and food sharing in primates" ist als Online-Vorabpublikation in den "Proceedings: Biological Sciences" (14. Jänner 2004, doi:10.1098/rspb.2003.2625) erschienen.
->   Das Abstract der Studie
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Verhaltensforschung: Selbstlosigkeit existiert nicht
Streng nach den Lehrsätzen der Verhaltensforschung existiert echte Selbstlosigkeit - zumindest in der Tierwelt - tatsächlich nicht: Soziale Tiere wie etwa auch Affen können demnach zwar kooperative Verhaltensweisen zeigen, diese aber dienen letztlich dem eigenen Interesse.

Mit anderen Worten: Hinter jeder noch so selbstlos wirkenden Geste steckt demnach die Erwartung, davon selbst zu profitieren. Sei es als Individuum oder im Dienste des Fortbestandes der eigenen Art bzw. sozialen Gruppe.
Zeitversetzter Nutzen der Großzügigkeit
Teilt ein Affe also seinen Vorrat an wohlschmeckenden Früchten mit einem Artgenossen, so erwartet er sich davon einen gewissen zeitversetzten Nutzen:

Verfügt beispielsweise der zunächst solcherart Beschenkte irgendwann selber über das begehrte Obst, so wird er es dann mit größerer Wahrscheinlichkeit mit dem großzügigen Geber teilen. So lautet - grob skizziert - ein Erklärungsmodell.

Diese Theorien werden tatsächlich durch eine ganze Reihe von Studien gestützt. Jeffrey Stevens aber folgte nun einem anderen Ansatz. Seine Frage: Könnte es neben dem möglichen zeitversetzten Nutzen auch einen ganz unmittelbaren Vorteil für den seine Nahrung teilenden Primaten geben?
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Die Theorie des reziproken Altruismus
Biologen befassen sich seit geraumer Zeit mit dem Phänomen der Kooperation. Ein Ergebnis dieser Arbeit: die Theorie des reziproken Altruismus. Demnach resultieren altruistische bzw. uneigennützige Verhaltensweisen eines Individuums aus einem möglichen zeitversetzten Vorteil. Mit anderen Worten: Gewährt man zu einem bestimmten Zeitpunkt Unterstützung, so erwartet man bei einer späteren Gelegenheit ein ähnliches Entgegenkommen. Ob verwandt oder nicht, spielt hierbei im Übrigen keine Rolle. Voraussetzung ist lediglich, dass sich beide Individuen (er)kennen und dass die Möglichkeit besteht, die ursprüngliche Gefälligkeit zu erwidern.
->   Mehr Informationen dazu (TU Berlin)
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Nachgeben aus lauter Verzweiflung
Schließlich, so der Gedankengang, kennen wohl die meisten Menschen die Situation aus eigener Erfahrung: Man wird wiederholt um etwas gebeten - und gibt schließlich nach bzw. das Objekt der Begierde heraus, um endlich seine Ruhe zu haben.

Biologe Stevens machte sich also auf, um seine Theorie in der Praxis zu überprüfen - und zwar bei zwei Primatenarten.
Simple Versuchsanordnung zum Test
Die Versuchsanordnung des Biologen war dabei äußerst simpel: Er platzierte Schimpansen (Pan troglodytes) sowie Totenkopfäffchen (Saimiri boliviensis) in einen Käfig und versorgte die Tiere mit einem gewissen Vorrat an Früchten.

In einem direkt anschließenden, aber abgetrennten Käfig war ein weiterer Vertreter der jeweiligen Art untergebracht - allerdings ohne das begehrte Obst. Jener Affe hätte naturgemäß auch gerne einen Anteil an der Nahrung bekommen, war aber dazu auf gebefreudige Verwandte angewiesen.
Nervige Bettelei - Deutlich mehr Teil-Bereitschaft
Die Beobachtungen des Forschers zeigten nun, dass die mit den Früchten versorgten Primaten zunächst sehr selten einen Teil ihres Vorrats durch die Gitterstäbe schoben, um mit ihrem hungrigen Verwandten zu teilen.

Anders jedoch die Sachlage, wenn die Trennung zwischen beiden Käfigen aufgehoben wurde: Der hungrige Affe erhielt damit die Möglichkeit, sich die Früchte durch Diebstahl oder auch Rangelei zu holen.

Er konnte aber auch betteln gehen - und tat dies auch mit großem Eifer. Der Erfolg gab dem Schnorrer letztlich recht: Tatsächlich wurde nun sehr viel häufiger geteilt, berichtet Stevens.
Mit Analogien zum Menschen
Das Verhalten der Tiere sei analog zu (menschlichen) Eltern, die ihrem nervenden Nachwuchs ein Spielzeug kaufen, nur um endlich Ruhe zu haben, vergleicht Stevens die Situation.

"Es ist eine selbstsüchtige Methode, um konstantes Generve zu beenden", wird der Biologe in "Nature Science Update" zitiert.
Nahrung in kleinen Stückchen: "Strategische Bettelei"
Besonders interessant ist vor allem auch eine Beobachtung, die Stevens während der Studie machte: Die hungrigen Schimpansen bettelten demnach sehr viel aufdringlicher, wenn die vorhandene Nahrung in kleinen Stückchen vorlag.

Dies aber könnte schlicht auf der Tatsache beruhen, dass der "Schnorrer" mit größerer Wahrscheinlichkeit einen Anteil der Nahrung abbekommt, wenn diese Spende den Vorrat des Gebers nicht signifikant verringert.

Und wieder zieht der Biologe für diese Form der "strategischen Bettelei" die Welt der Menschen zum Vergleich heran: Ähnlich gehe etwa ein Kind vor, das zunächst eine größere Anzahl an Keksen verlange, um dann schließlich die Forderung - letztlich wohl mit mehr Erfolg - herunterzusetzen. Seine Theorie könnte jedenfalls auch viele Beispiele menschlicher "Freigebigkeit" erklären, ist der Wissenschaftler überzeugt.

Sabine Aßmann, science.ORF.at
->   Homepage von Jeffrey Stevens (University of Minnesota)
->   Department of Ecology, Evolution and Behaviour (University of Minnesota)
->   Proceedings: Biological Sciences
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01.01.2010