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Klimawandel: Tropenkrankheiten in Österreich?  
  Der weltweite Klimawandel und seine Auswirkungen auf die Umwelt werden seit geraumer Zeit diskutiert. Doch welche Folgen könnte eine Erwärmung für die Ausbreitung von - vermeintlich "exotischen" - Erkrankungen wie Malaria oder Leishmaniose haben? Denn stimmen die Temperaturen, könnten sich die jeweiligen, als Überträger fungierenden Insekten durchaus auch in Österreich breit machen.  
Wie groß ist die Gefahr, dass sich Infektionskrankheiten wie Dengue-Fieber, Gelbfieber, Malaria oder Leishmaniose ausbreiten könnten? Dieser Frage ist eine Forschergruppe um Walter Maier vom Institut für medizinische Parasitologie der Universität Bonn nachgegangen.
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Die Studie "Mögliche Auswirkungen von Klimaveränderungen auf die Ausbreitung von primär humanmedizinisch relevanten Krankheitserregern über tierische Vektoren sowie auf die wichtigen Humanparasiten in Deutschland" wurde im Auftrag des deutschen Umweltbundesamtes (UBA) durchgeführt. Sie ist als Nr. 05/03 in der Reihe CLIMATE CHANGE des UBA erschienen.
->   Umweltbundesamt Berlin
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"Wesentliche Voraussetzungen gegeben"
Zentrales Ergebnis der Studie laut einer Aussendung des deutschen Umweltbundesamtes: "Wesentliche Voraussetzungen für das Auftreten neuer Erkrankungen sind gegeben."

Man verweist auf alt bekannte sowie neu festgestellte Erreger, die in Deutschland und den Nachbarländern nachgewiesen wurden. Und: "Dies gilt auch für geeignete tierische Überträger."
Tigermücke, Leishmaniose, Malaria ...
Tatsächlich scheinen die aufgelisteten Beispiele Anlass zur Besorgnis zu geben. Die ursprünglich in Asien beheimatete Tigermücke Aedes albopictus wurde demnach bereits in Frankreich und Italien entdeckt. Sie ist ein Überträger des Dengue-Fiebers.

Im Nachbarland Deutschland hat man beispielsweise verschiedene Sandmückenarten gefunden, die als Überträger der gefährlichen Leishmaniose dienen können. Und tatsächlich sind dort vereinzelte Infektionen bei Mensch und Tier aufgetreten, die nachweislich kein "Reiseandenken" waren.
->   Mehr dazu bei der Universität Bonn
Malaria ist keine "neue" Erkrankung
Malaria schließlich ist letztlich keine "neue" Erkrankung, da die Infektion bis ins 19. Jahrhundert hinein in Europa weit verbreitet war. Und nach wie vor leben auch in unseren Breiten einheimische Stechmücken, die als Überträger des Erregers dienen könnten.

Besteht also wirklich - ob steigender Temperaturen auch in Österreich - Anlass zur Sorge?
Experte: Wesentliche Voraussetzungen fehlen
Das mögliche Auftreten von (vereinzelten) Infektionen alleine macht allerdings noch kein gravierendes Gesundheitsproblem für die heimische Bevölkerung. Dafür nämlich fehlen wesentliche Voraussetzungen, wie der Leiter des Wiener Tropeninstituts, Herwig Kollaritsch, beruhigt.
Infektionsreservoir und Gesundheitssystem
"Es gibt tatsächlich eine ganze Reihe von Insekten, die theoretisch in der Lage wären, Infektionen zu übertragen", erläutert der Experte gegenüber science.ORF.at. Doch zwei wesentliche Voraussetzungen fehlten, so Kollaritsch weiter.

Zum einen wäre für eine echte Ausbreitung von Malaria und Co in Österreich ein so genanntes Infektionsreservoir in diversen Wirtsorganismen notwendig. Mit anderen Worten: Nur wenn eine ausreichende Zahl an infizierten Tieren und Menschen dem jeweiligen Erreger als Heimstätte dient, könnte dieser dauerhaft zum Problem werden.

Zum anderen bräuchte es laut Kollaritsch ein "schleißiges Gesundheitssystem", das bei Auftreten von Erkrankungen nicht sofort gegensteuert. "Beides aber ist in Österreich nicht der Fall".
Einzelne Infektionen theoretisch möglich
Theoretisch, so der Experte weiter, könnte es im Zuge der Klimaerwärmung natürlich tatsächlich zum Auftreten vereinzelter Infektionen mit bestimmten Tropenkrankheiten kommen. Dies ist für den Mediziner zwar wissenschaftlich hochinteressant, aber kaum praxisrelevant.
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Malaria und Leishmaniose in Österreich
Tatsächlich kam es auch in Österreich noch im 20. Jahrhundert zu einer ganzen Reihe von Malaria-Infektionen - etwa in der Lobau, wie der Tropenmediziner erläutert. Infizierte Soldaten des Afrika-Corps kehrten zurück - und stellten über ein bis zwei Jahre das benötigte Infektionsreservoir für den Erreger dar. Doch jener Zyklus endete rasch.

Für die Leishmaniose wiederum gibt es laut Kollaritsch lediglich zwei dokumentierte Fälle für in Österreich infizierte Patienten: Der erste wurde 1964 beschrieben, den zweiten stellte er selbst 1989 im Fachmagazin "The Lancet" dar. Es handle sich also wirklich nur um Einzelfälle, wenn auch eine stärkere Ausbreitung im Zuge der Klimaerwärmung möglich sei.
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Wo kann der Klimawandel zum Problem werden?
Das für die Industriestaaten beruhigende Fazit lautet also: Die Klimaerwärmung wird aller Voraussicht nach - dank funktionierender Gesundheitssysteme - nicht dazu führen, dass sich gefährliche Tropenkrankheiten in Ländern wie Österreich signifikant ausbreiten können.

Der Umkehrschluss: Sehr wohl aber könnten genau jene Länder von einem Infektionsanstieg betroffen sein, in denen etwa Malaria schon heute wegen mangelnder medizinischer Vorsorge und Versorgung ein massives Problem darstellt.

In Ostafrika beispielsweise kam es in den vergangenen 20 Jahren zu einem drastischen Anstieg an Erkrankungen. Ob tatsächlich klimatische Schwankungen dafür verantwortlich sind, ist unter Experten noch umstritten. Studien kamen diesbezüglich zu unterschiedlichen Ergebnissen.
->   Mehr dazu: Anstieg von Malaria durch die Klimaerwärmung (11.12.02)
Kritikpunkt: Keine gute Infektionsüberwachung
Der Tropenmediziner Herwig Kollaritsch weist allerdings auch auf einen Kritikpunkt hin: Österreich sei eines der wenigen Länder, dass keine gute Infektionsüberwachung aufweise. Diese erfolge praktisch ausschließlich in Form von Privatinitiativen.

Zwar gibt es natürlich auch hierzulande ein Meldegesetz für Infektionskrankheiten. Es sei aber zum einen nicht mehr praxisrelevant, zum anderen würden beispielsweise "Nicht-Meldungen" nicht sanktioniert.
EU plant europäisches Seuchen-Zentrum
Abhilfe könnte allerdings in nicht allzu ferner Zukunft eine EU-Zentrum zur Überwachung von Infektionskrankheiten bieten - nach dem Vorbild der amerikanischen Centers for Disease Control and Prevention in Atlanta soll es vergleichbare Strukturen in Europa schaffen.
->   Mehr dazu: Bis 2005 EU-Zentrum zum Kampf gegen Seuchen (2.10.03)
Warnung vor einer altbekannten Virusinfektion
Die Infektion, die dem Mediziner dagegen viel eher Kopfzerbrechen bereitet, ist eine altbekannte Viruserkrankung: die Influenza oder Grippe. Die nächste Pandemie, so ist Kollaritsch überzeugt, komme bestimmt. Das sei lediglich eine Frage der Zeit.

Sabine Aßmann, science.ORF.at
->   Tropeninstitut der Universität Wien
->   Institut für medizinische Parasitologie der Universität Bonn
Mehr zu diesen Themen im science.ORF.at-Archiv:
->   Globale Grippe-Epidemie: Ist die Welt gewappnet? (27.11.03)
->   Alles zum Stichwort Klimawandel in science.ORF.at
 
 
 
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01.01.2010