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USA: Anti-Terror-Politik dezimiert Gastforscher  
  Hohe Gehälter, wenig Bürokratie, bestens ausgestattete Forschungsstätten: Die USA gelten seit Jahrzehnten als Eldorado der Wissenschaft. Ausgerechnet der selbst ausgerufene "Krieg gegen den Terror" stellt diese Rolle aber nun in Frage. Durch die restriktiven Einreisebestimmungen ist erstmals seit einem Jahrzehnt die Zahl ausländischer Scholare an den amerikanischen Hochschulen gesunken - der "brain drain" könnte eine überraschende Wende erfahren.  
Verzögerungen im Studienjahr nach Visa-Problemen
Wie ein Überblicksartikel in der aktuellen Ausgabe von "Nature" berichtet, herrschen in den USA zwar derzeit die individuellen Lamentos von abgewiesenen Forschern und Studierenden vor. Einige Statistiken gebe es aber doch, die die Auswirkungen der "Anti-Terror-Politik" handfest belegen.

So sei die Zahl von Studierenden, die aufgrund von Visa-Problemen nicht rechtzeitig mit dem Studienjahr beginnen konnten, 2003 im Vergleich zum Vorjahr um 48 Prozent gestiegen, bei Scholaren und Post-Docs sogar um 76 Prozent. Laut der Association of International Educators waren davon in erster Linie Studienrichtungen der Biologie, Physik und Technik betroffen.
->   Association of International Educators
Anzahl der ausländischen Scholare sinkt
Nach einer anderen Umfrage wurde einem Viertel aller Studierenden, die sich im Jahr 2002 für einen Studienplatz für Physik bewarben, zuerst das Visa-Ansuchen abgelehnt. Erstmals seit neun Jahren sei auch der Anteil an ausländischen Forschern an den National Institutes of Health in Bethesda gesunken.

Und: Erstmals seit neun Jahren habe sich die Anzahl ausländischer Scholare im akademischen Jahr 02/03 in den gesamten USA reduziert.
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Die Reportage "As one door closes ..." ist in "Nature" (Bd. 427, S. 192, Ausgabe vom 15. Jänner 2004) erschienen.
->   Der Bericht in "Nature"
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Chinesische Forscher besonders betroffen
Besonders betroffen - obwohl nicht im Kreuzfeuer des "Kriegs gegen den Terror": Forscher aus China, aus dem jeder dritte abgewiesene Student kommt. Das habe einerseits damit zu tun, dass aus China die größte Gruppe aller Forscher stammt, die sich in den USA um einen Aufenthalt bemühen. Es gebe aber nicht wenige, die dahinter andererseits auch klare Signale sehen - einer China-kritischen Politik, die von der Administration Bush schon vor dem 11. September eingeleitet wurde.

Noch schwieriger sei es für Forscher aus Ländern, die ohnehin der Verbindung mit dem Terrorismus verdächtigt oder - wie im Falle des Irans - gleich zur "Achse des Bösen" gezählt werden.
Profiteure: Australien, Kanada, Singapur
 
Bild: Nature

"Nature"-Illustration zu Statistik und Anzahl ausländischer Wissenschaftler in den USA

Während sich die USA in Restriktionen üben, sieht der Trend in anderen Ländern - die sich ebenfalls dem "Kampf gegen den Terrorismus" verschrieben haben - anders aus. So ist die Zahl der ausländischen Studierenden in Australien laut "Nature" seit 2001 um 32 Prozent gestiegen. Besonders starke Zuwachsraten seien bei Indern und Chinesen verzeichnet gewesen.

Wesentliches Argument für die "Profiteure" von Down Under sei die Sprache: Wer mit den Behörden in den USA Schwierigkeiten hat, scheint sich als Alternative in erster Linie nach anderen englischsprachigen Ländern umzusehen. Die lingua franca der Wissenschaft habe auch in Kanada und Singapur zu einem klaren Anstieg der ausländischen Studierenden in den letzten Jahren geführt.
Trend auch in Deutschland zu beobachten
Aber auch in Deutschland ist der Trend festzustellen: Seit Anfang 1999 sei die Anzahl von 113.000 auf 200.000 gestiegen, schreibt "Nature". Auch wenn ein Großteil von ihnen aus Osteuropa stammt, so gebe es doch auch Überschneidungen mit der von den USA derzeit harsch behandelten "Zielgruppe": die Zahl von Gastforschern aus China und Indien habe sich beinahe vervierfacht.
Wackelt die US-Vormachtstellung?
Ob der derzeitige Trend auf lange Sicht die Vormachtstellung der Vereinigten Staaten in Sachen Wissenschaft und Forschung tatsächlich in Gefahr zu bringen vermag, bleibt fragwürdig.

Andreas Schleicher, Leiter der Abteilung für Bildungsindikatoren der OECD glaubt nicht daran. Mehr als ein Viertel aller Studierenden im Ausland befinde sich nach wie vor in den USA, wird der Österreicher in "Nature" zitiert.
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Kontrolle von "Risikomaterialien"
Ein wesentlicher Punkt in Sachen "Terror-Schutzmaßnahmen" betrifft den Umgang mit "Risikomaterialien" - wie z.B. Krankheitserregern - in der Forschung. Geregelt ist er durch den "Public Health Security and Bioterrorism Preparedness Act": Alle Wissenschaftler, die mit ihnen zu tun haben, werden ihm zu Folge vom amerikanischen Justizministerium kontrolliert. Da sich dies in der Praxis oft als sehr umständlich herausstellte, haben einige Universitäten ganze Forschungsbereiche komplett aufgegeben.
->   The Bioterrorism Act of 2002
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Neues Ungemach droht
Hauptproblem derzeit sei die zum Teil zögerliche und inkonsequente Erledigung der Visa-Ansuchen durch die US-Behörden. Zwar soll sich die Bearbeitungsdauer dank eines neuen Computersystems in den nächsten Monaten verringern, aber seit kurzem herrscht neues Ungemach.

Wegen der seit Jahresbeginn geltenden verschärften Einreisebestimmungen in die USA werden von allen Besuchern digitale Fingerabdrücke genommen und Fotos geschossen, die nicht auf der Liste der 27 visafreien Staaten stehen.

Akademisches "Privileg" hingegen wird eine - nicht-refundierte - Einreisegebühr in der Höhe von 100 Dollar für alle Studien-Willigen sein, die demnächst eingeführt werden soll.

Lukas Wieselberg, science.ORF.at
->   Homeland Security Act
Mehr zu dem Thema in science.ORF.at:
->   USA: Anti-Terror-Gesetze verändern Wissenschaft (5.12.03)
->   Anti-Terror-Maßnahmen gefährden US-Wissenschaft (5.5.03)
->   Fachjournale: Kein Wissen für Terroristen (7.2.03)
 
 
 
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01.01.2010