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Akademische Netzwerke: Wer mit wem wie oft publiziert  
  Um in der modernen Forschungslandschaft Arbeiten hoher Qualität publizieren zu können, muss man sich mehr denn je auf Teamarbeit verlassen. Dementsprechend sind die Publikationen mit nur einem Autor bzw. einer Autorin recht selten geworden. Ein amerikanischer Netzwerktheoretiker hat sich nun angesehen, wie sich dieser Sachverhalt in statistischen Begriffen darstellen lässt.  
Wie M.E.J. Newman von der University of Michigan berichtet, bilden die durch Koautorenschaft gebildeten Netzwerke gewisse Eigenschaften der jeweiligen Disziplinen ab: So ist etwa die durchschnittliche Autorenzahl mit 3,75 in der Biologie am höchsten, in der Mathematik ist sie nicht einmal halb so groß.

Dies zeigt, dass man in den Lebenswissenschaften vermehrt auf experimentelle Teamarbeit setzt, während in der Mathematik nicht selten kreative Einzelgänger zum Fortkommen ihrer Disziplin beitragen.
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Die Studie " Coauthorship networks and patterns of scientific collaboration" von M. E. J. Newman erschien als "Early Edition" im Fachmagazin "Proceedings of the National Academy of Sciences" und wird später online unter dem DOI:10.1073_pnas.0307545100 abrufbar sein.
->   "Proceedings of the National Academy of Sciences"
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Netzwerktheorie: Nichts als Knoten und Linien
Für Netzwerkforscher besteht die Welt im Wesentlichen aus zwei Elementen, nämlich Knoten und Linien. Knoten können alle erdenklichen Dinge sein: Moleküle, Städte, Websites, Personen u.v.m. Linien repräsentieren wiederum eine Beziehung zwischen diesen Knoten, wie auch immer diese materiell realisiert sein mag.

Daher ist es nahe liegend, auch die scientific community aus dieser abstrakten Perspektive zu betrachten. Denn: Autoren stehen untereinander in einer objektivierbaren Beziehung. Sie veröffentlichen gemeinsam wissenschaftliche Arbeiten - und bauen auf diese Weise ein komplexes Publikationsnetzwerk auf.
Drei Datensätze analysiert: Biomedizin, Physik...
M.E.J. Newman hat sich nun angesehen, welche Eigenschaften dieses Netzwerk aufweist. Dabei hat er sich auf drei Datensätze konzentriert: Zum einen die Online-Datenbank "Medline" (auch als "PubMed" bekannt), die vom National Center for Biotechnology Information zur Verfügung gestellt wird.

Im Bereich der Physik griff Newman auf das E-print Archiv "ArXiv" zurück, das früher am Server der Los Alamos National Laboratories lief und nun unter der Schirmherrschaft der Cornell University ins Netz gestellt wird. Beide Datensätze wurden für den Zeitraum 1995 bis1999 untersucht.
->   PubMed
->   ArXiv
... und Mathematik
Für mathematische Publikationen verwendete Newman schließlich die Datenbank der Zeitschrift "Mathematical Reviews". Hier wurde allerdings ein viel längerer Zeitraum berücksichtigt, nämlich die Jahre von 1940 bis zur Gegenwart.
->   Mathematical Reviews Database
Arbeitsweise schlägt sich statistisch nieder
Zieht man einfache statistische Maßzahlen heran, dann zeigt sich laut Newmans Studie bereits ein charakteristischer Unterschied zwischen den drei untersuchten Disziplinen:

Die durchschnittliche Zahl der Autoren pro Publikation ist in den Biowissenschaften am höchsten (3,75), während er in der Physik (2,53) und Mathematik (1,45), deutlich darunter liegt.

Noch deutlicher zeigt sich die Differenz, wenn man die durchschnittliche Anzahl von Koautoren heranzieht: Biowissenschaftler haben im untersuchten Zeitraum mit 18,1 verschiedenen Ko-Autoren zusammengearbeitet, Physiker mit deren 9,7, Mathematiker mit 3,9.
Massenautorenschaft: Extremfall Hochenergiephysik
Das sagt freilich nichts über die Produktivität der jeweiligen Wissenschaftler, sehr wohl aber etwas über die Tendenz zur experimentellen Laborforschung aus, die eben meist nur in Teamarbeit absolviert werden kann.

Einen Extremfall stellt in dieser Hinsicht die Subdisziplin Hochenergiephysik dar: Ein Forscher dieses Fachgebiets hat nach fünf Jahren Publikationstätigkeit mit durchschnittlich 173 (!) Koautoren zusammen gearbeitet.
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Die Datensätze im Überblick
Disziplin: *** Biologie *** Physik *** Mathematik
Autorenzahl *** 1.520.251 *** 52.909 *** 253,339
Papers *** 2.163.923 *** 98.502 *** nicht erfasst
Papers/Autor *** 6,4 *** 5,1 *** 6,9
Autoren/Paper *** 18,1 *** 9,7 *** 3,9
Distanz ***4,6 *** 5,9 *** 7,6
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Wenige Superstars, viele Mitläufer
Was die Verteilung der Publikationen pro Kopf angeht, teilt sich die Forschergemeinde in Stars und Fußvolk: Einige Wenige publizieren extrem viel, der Rest rangiert unter "ferner liefen". Ein Trend, der im Übrigen auch für die Verteilung der gegenseitigen Zitierungen gilt.
->   Die Geografie der wissenschaftlichen Zitierung (1.9.03)
Die Distanz zwischen zwei Autoren
Netzwerktheoretisch interessant ist vor allem die Frage, wie vieler "Sprünge" es bedarf, um im Publikationsnetzwerk von einem Autor zum nächsten zu gelangen.

Das heißt konkret: Wenn etwa der Physiker "NN" mit jemandem eine Arbeit publiziert hat, der wiederum Albert Einstein seinen Koautor nennen durfte, dann ist NN von Einstein durch zwei Schritte getrennt.
Publikationsnetzwerk - eine "Small World"
Allgemein kann man auch die durchschnittliche Distanz zwischen beliebigen Knoten errechnen - und die liegt in allen drei Bereichen durchaus niedrig, nämlich zwischen vier und acht.

Diese erstaunliche Nähe von Knoten in komplexen Netzwerken nennt man im Fachjargon auch "Small World-Phänomen": Sie entsteht durch eine spezielle Architektur der Netzwerkverbindungen, wie die Mathematiker Duncan Watts und Steve H. Strogatz im Jahr 1998 zeigen konnten.
->   "Small World": Jeder kennt jeden via sechs E-Mails (8.8.03)
Bekanntestes Distanzmaß: Die Erdös-Zahl
Kenner der Materie werden in diesem Zusammenhang darauf verweisen, dass diese Fragestellung in der mathematischen Forschergemeinde schon lange Tradition hat.

Die so genannte Erdös-Zahl, benannt nach dem Zahlentheoretiker Paul Erdös, ist ebenfalls ein Distanzmaß. Nur dass sie sich nicht auf beliebige Verbindungen, sondern eben auf eine Person bezieht.
"Maschinen, die Kaffee in Theoreme verwandeln"
Das kommt nicht von ungefähr: Erdös war aufgrund seiner bahnbrechenden Beiträge zur Zahlen- und Graphentheorie schon zu Lebzeiten eine Legende (bekanntestes Zitat: "Ein Mathematiker ist eine Maschine, die Kaffee in Theoreme verwandelt").

Demzufolge erachten Mathematiker es quasi als Adelung, wenn sie via Koautorenschaft über möglichst wenige Ecken mit dem ungarischen Exzentriker verbunden sind.
->   Mehr zu Paul Erdös bei Wikipedia
Die Erdös-Zahl von Einstein, Hawking und Bill Gates
Prominente Beispiele aus der Datenbank des "Erdös Number Project": Albert Einstein hat eine Erdös-Zahl von zwei, jene des Informationstheoretikers Claude E. Shannon liegt bei drei, die von Stephen Hawking beträgt immerhin noch vier.

Sehr gut liegt auch - mit einer Erdös Zahl von vier - ein gewisser Bill Gates, der später in einem anderen Fachbereich Karriere gemacht hat.

Robert Czepel, science.ORF.at
->   The Erdös Number Project
->   University of Michigan
Mehr zu diesem Thema in science.ORF.at
->   Digitale Fußnoten: Wenn Informationen verschwinden (31.10.03)
->   Österreichisches Forschungsnetzwerk in den USA (6.10.03)
->   Die Politik der Publikation - Verpackung statt Inhalt? (20.3.03)
->   Das science.ORF.at-Archiv zum Stichwort "Netzwerk"
 
 
 
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01.01.2010