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Neue Ziele: Krebs soll besser behandelbar werden  
  Neue Ziele für die Krebs-Therapie: Durch Abschneiden der Blutversorgung für wachsende Tumore und durch "Versiegeln" der Erbsubstanz wollen Forscher in Zukunft bösartige Erkrankungen besser behandeln können.  
Dies erklärten Fachleute am Wochenende beim "Onkologischen Wintergespräch" des Pharmakonzerns Novartis in Loipersdorf in der Steiermark.
Bisherige Strategien der Krebsbekämpfung
Das Verursachen von Schäden an der Erbsubstanz (DNA) und die Verhinderung der Krebszell-Teilung durch "Einfrieren" bestimmter Zellstrukturen waren bisher die hauptsächlichen Ziele für eine Behandlung mit so genannten Zytostatika.

Im ersten Fall sollen bösartige Zellen in den Selbstmord getrieben werden. Im zweiten Fall soll die "Vermehrung" blockiert werden.

Doch Tumore haben die Eigenschaft, auf diesen Selektionsdruck so zu reagieren, dass die für diese Angriffe unempfindlichen bösartigen Zellen übrig bleiben. Deshalb suchen die Wissenschafter nach immer neuen Zielen, um dort mit zusätzlichen "Hebeln" ansetzen zu können.
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PTK787: Neues Medikament in Entwicklung
Ein revolutionäres Mittel war hier in den vergangenen Jahren das Medikament "Glivec". Die Wirksubstanz blockiert die Funktion eines Tyrosin-Kinase-Enzyms. Es treibt bei der chronisch myeloischen Leukämie (CML) von Erwachsenen die bösartigen weißen Blutkörperchen in die ständige Teilung. Das Medikament führt bei CML-Patienten zu einer lang anhaltenden Kontrolle der Erkrankung.

Andere Medikamente gegen Krebs sollen folgen. Renaud Capdeville von der Ateilung für Onkologie von Novartis (Basel): "Gemeinsam mit Schering entwickeln wir die Substanz PTK787." Der Wirkstoff blockiert auf Krebszellen die Rezeptoren für die Blutgefäß-Wachstumsfaktoren VEGF1, 2 und 3. Capdeville; "Wir führen derzeit zwei Phase-III-Studien an 1.400 bzw. 900 Patienten mit Dickdarmkarzinomen durch." Bei dieser häufigsten Krebserkrankung konnte bisher eine Chemotherapie nur wenig bewirken.
->   Mehr zum Stichwort Glivec in science.ORF.at
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"Versiegelung" bzw. "Öffnung" von Tumor-DNA
Das auch am Institut für Molekulare Pathologie in Wien (Boehringer Ingelheim) untersuchte System der "Versiegelung" bzw. der "Öffnung" der DNA von Tumorzellen könnte ein weiteres Ziel für Therapien sein.

Der Hintergrund: Für die Wirkung von Faktoren, welche zur Vermehrung von Krebszellen führen, muss die DNA-Verpackung - aus Platzgründen ist die Erbsubstanz auf Kügelchen aufgerollt - aufgelockert werden. Erst dann können diese Faktoren wirksam werden.
Wirkung eines Enzyms ist entscheidend
Entscheidend dafür ist der Effekt eines so genannten Deacytelase-Enzyms. Acetylierte Erbsubstanz kann nicht abgelesen werden, deacytilierte DNA ist in einer Form, in der Gene abgelesen und somit aktiv werden können.

Genau dieses Enzym sollen Wirkstoffe wie LAQ 824 und ähnliche Substanzen blockieren. Allerdings befinden sich die Forschungen derzeit noch in einem frühen Stadium.

Bösartige Blutzellen, welche gegen "Glivec" bereits resistent geworden waren, sprachen jedenfalls bei zusätzlicher Behandlung mit der neuen Substanz doch noch auf die Therapie an.
Auf dem Weg zur individuellen Therapie
Schon in absehbarer Zeit dürfte die medikamentöse Krebstherapie zudem einerseits wirklich individuell steuerbar werden, andererseits dadurch auch weniger Nebenwirkungen zur Folge haben. Der Schlüssel dazu ist laut Uwe Langsenlehner von der Abteilung für Onkologie der Universität Graz die "Pharmakogenetik".

Der Experte mit Verweis auf Studien, die erst vor wenigen Wochen beim US-Brustkrebskongress in San Antonio vorgestellt wurden:

"Es geht hier um die Polymorphismen. Das sind Veränderungen in Genen von Mensch zu Mensch. Von solchen Polymorphismen spricht man dann, wenn mehr als ein Prozent der Menschen davon betroffen sind." Jeder Mensch hat demnach mit dem nächsten 99,99 Prozent seines Erbguts gemein. Der Rest ist dieser "kleine Unterschied".
Entscheidende Bedeutung für Medikamentenwirkung
Doch bestimmte Mutationen in den so genannten Cytochrom-P- oder den Glutathion-S-Transferase-Genen können eine entscheidende Bedeutung für Wirkung und Nebenwirkungen von Krebsmedikamenten haben:

Manche Varianten des Cytochrom-Gens bringen eine höhere bzw. geringere Wirkung des Medikaments mit sich, weil - je nach Genvariante - dadurch die Konzentration des Wirkstoffes größer oder geringer wird. Der durch das Glutathion-System bedingte schnellere oder langsamere Abbau des Medikaments im Blut wiederum kann zu unerwünschten Nebeneffekten führen.

"Eine Studie hat gezeigt, dass Brustkrebspatientinnen mit den günstigsten Gen-Varianten eine statistisch signifikante längere Überlebenszeit bis zu einem Rückfall aufwiesen als Kranke mit ungünstigeren Gen-Varianten", so Langsenlehner.
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Studie zu Brustkrebs und Wachstumsfaktor-Erbanlage
In einer groß angelegten Studie untersuchten Langsenlehner und seine Co-Autoren die Auswirkung solcher Gen-Variationen bei der Erbanlage für den VEGF-Blutgefäß-Wachstumsfaktor. "Frauen, die auf Grund von Gen-Polymorphismen eine geringe Konzentration von VEGF im Blut aufwiesen, hatten signifikant weniger häufig Brustkrebs", so der Experte.

Das dürfte daran liegen, dass viel VEGF für die Blutversorgung von entstehenden bösartigen Tumoren durch mehr neu entstehende Blutgefäße im Tumor besser ist und die Krebszellen sich dadurch schneller teilen können. Uwe Langsenlehner: "Diese Ergebnisse dürften in eine individuellen Therapie mit weniger Nebenwirkungen münden." Besonders gefährdete Patienten müssten "härter" behandelt werden. Andererseits könnte man die Therapie in der Dosierung und die Art der verwendeten Mittel "maßschneidern".
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Bösartige Stammzellen als Metastasen-Auslöser?
Warum manche Krebspatienten Tochtergeschwülste (Metastasen) entwickeln, andere jedoch nicht, ist noch ungeklärt. Doch es gibt - so die Wissenschafter in Loipersdorf - gerade auch hier völlig neue Erkenntnisse:

Wahrscheinlich gibt es nicht nur gutartige Stammzellen, sondern auch bösartige. Von letzteren könnten jene Tumorzellen stammen, die abwandern und Metastasen bilden, während die übrigen weniger gefährlich sind.
Mögliche Strategie: Frühzeitige Knochenmarkpunktionen
Die Konsequenz daraus könnte in Zukunft sein, dass man bei Krebspatienten frühzeitig Knochenmarkpunktionen vornimmt und nachsieht, ob dort Krebszellen vorhanden sind. Das wäre ein frühest denkbarer Hinweis auf eine mögliche Gefahr.

Bei der Austestung von Krebsvakzinen zur Verhinderung der Entstehung von Metastasen soll gerade diese Erkenntnis in Zukunft den Erfolg einer solchen Therapie bestimmen helfen.
->   Novartis (www.novartis.com)
->   Institut für Molekulare Pathologie (IMP)
->   Alles zum Stichwort Krebs in science.ORF.at
 
 
 
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01.01.2010