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Warum Mütter ihre Kinder links tragen  
  Dass Mütter ihre Kinder bevorzugt auf der linken Seite tragen, ist aus einer Vielzahl von Untersuchungen bekannt. Britische Forscherinnen lassen nun mit einer ungewöhnlichen Erklärung für dieses Phänomen aufhorchen. Sie meinen, dass diese Bevorzugung einer Körperhälfte von der Asymmetrie in Gehirnprozessen herrührt.  
Wie Victoria Bourne und Brenda Todd von der University of Sussex berichten, verarbeiten viele Menschen emotional besetzte Inhalte eher mit der rechten Hirnhälfte - genau jene Hemisphäre, die auch die linke Körperseite steuert. Demzufolge unterstütze das Linkstragen der Kinder den Aufbau einer emotionalen Bindung, argumentieren die britischen Psychologinnen.
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Der Artikel "When left means right: an explanation of the left cradling bias in terms of right hemisphere specializations" von Victoria J. Bourne and Brenda K. Todd erschien in der Zeitschrift "Developmental Science" (Band 7, S.19-24, doi:10.1111/j.1467-7687.2004.00318.x).
->   Zum Original-Abstract
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85 Prozent bevorzugen die linke Seite
Das Phänomen ist wohlbekannt: Frauen tragen Kinder tendenziell mit dem Kopf auf der linken Seite. Studien ergaben, dass das etwa bei 85 Prozent der Frauen der Fall ist - und zwar unabhängig vom Alter oder einer eventuellen Mutterschaft. Uneinigkeit herrscht in der Forschergemeinde hingegen über die Erklärung für diese eigentümliche Präferenz.
Erklärungen: Herzschlag ...
Ein klassisches Argument, das in diesem Zusammenhang ins Treffen geführt wurde, hängt mit der Asymmetrie der inneren Organe zusammen. So wurde etwa behauptet, dass das Pochen des links gelegenen Herzens beruhigend wirke - und die Mütter deshalb auch den Kopf des Kindes in diese Richtung orientierten.
... oder Händigkeit?
Andere Erklärungen gehen von der Händigkeit der Menschen aus. Linkshänderinnen behaupten etwa, dass sie das Kind gerne auf dem stärkeren Arm trügen. Rechtshänderinnen meinen mit dem selben Recht, dass die bevorzugte Trageposition ihre dominante Hand freihalte um damit das Kind zu umsorgen.
Alternative: Asymmetrie im Gehirn verantwortlich
Wie Victoria Bourne und Brenda Todd nun in ihrem Artikel in "Developmental Science" ausführen, greifen diese Begründungen sämtlich zu kurz. Ihr alternativer Erklärungsansatz: Die Links-Präferenz rührt von einer Asymmetrie gewisser Gehirnprozesse.
Gehirn: Emotion und Körpersteuerung hängen zusammen
In diesem Zusammenhang ist etwa bekannt, dass Sinneseindrücke sowie motorische Steuerung der linken Körperhälfte vor allem durch die rechte Gehirnhälfte bearbeitet werden.

Die beiden britischen Psychologinnen fügen hinzu, dass auch die Verarbeitung emotional besetzter Inhalte mitunter auf eine Hirnhälfte konzentriert sein könne.

Wenn nämlich auch Emotionen rechtslastig verarbeitet werden, so könne das Links-Tragen des Kindes genau diesen Verarbeitungsprozess unterstützen.

Und das führe wiederum zu einer verstärkten Bindung zwischen der Mutter und ihrem Nachwuchs, so die Argumentationskette der beiden Forscherinnen gegenüber dem Online-Dienst des Wissenschaftsmagazins "Nature".
->   Nature Science Update
Test der Hypothese durch einfachen Test
Um diese Hypothese zu testen, ließen sie 20 rechtshändige Frauen eine Puppe in ihren Armen wiegen. Erwartungsgemäß tendierte die Mehrheit zur linksorientierten Halteposition.

Dann untersuchten Bourne und Todd ihre Probandinnen mit einem einfachen psychologischen Test, der Aufschluss über den Verarbeitungsmodus von Emotionen geben soll.
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Zum Mitmachen: Der Test online
Bei diesem Test werden zwei spiegelbildliche Gesichter präsentiert, die je zu einer Hälfte einen fröhlichen bzw. neutralen Gesichtsausdruck aufweisen. Je nach dem, welches Spiegelbild man als fröhlicher empfindet, lässt sich ablesen, ob Emotionen im Gehirn mit einem lateralen Schwerpunkt verarbeitet werden.
->   Online-Version des Tests bei Nature Science Update
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Linksträgerinnen sind tatsächlich emotional "rechtslastig"
Die psychologische Untersuchung ergab, dass jene Frauen, die das Kind auf der linken Seite trugen, Emotionen ausschließlich rechtslastig verarbeiteten. Bei Rechtsträgerinnen ergab sich kein solcher Zusammenhang.

Dies könnte auch praktische Auswirkungen haben: Müttern mit postnataler Depression wird bisweilen empfohlen, das Kind auf der linken Seite zu tragen, da dies den Aufbau der Muter-Kind-Bindung verstärke. Im Licht der nun veröffentlichten Studie gilt diese Empfehlung jedoch nur mehr mit einer gewissen Einschränkung.

Robert Czepel, science.ORF.at
->   Website von Victoria Bourne (Univ. Sussex)
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01.01.2010