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Killer-Bakterium als lebendes Antibiotikum  
  Räuberische Bakterien spielen in mikrobiellen Gemeinschaften eine wichtige Rolle, u.a. auch bei Menschen und Tieren. Die Erbgut-Entschlüsselung eines bestimmten Killer-Bakteriums zeigt nun detailliert, wie sie andere Zellen für ihr Wachstum benutzen -und dabei antibiotische Substanzen liefern. Die Vision der Forscher: das Bakterium könnte als "lebendes Antibiotikum" gegen Krankheitserreger eingesetzt werden.  
Was auf molekularer Ebene genau passiert, wenn Bakterien andere Bakterien jagen, wurde nun anhand der Genomsequenzierung des räuberischen Bakteriums Bdellovibrio bacteriovorus aufgeklärt. Davon berichtet ein Forscherteam um Stephan Schuster vom Max Planck-Institut für Entwicklungsbiologie in Tübingen in "Science".
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Die Studie "A Predator Unmasked: Life Cycle of Bdellovibrio bacteriovorus from a Genomic Perspective" ist in "Science" (Bd. 303, S. 689, Ausgabe vom 30. Jänner 2004) erschienen.
->   "Science"
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Bdellovibrio verzehrt den Wirt von innen
Bdellovibrio bacteriovorus heftet sich an bestimmte Wirtsbakterien an, um dann in diese einzudringen. Hat sich das Bakterium erst einmal eingenistet, verzehrt es seinen Wirt von innen heraus.

Erkenntnisse über diesen vermutlich viele Millionen Jahre alten Prozess können in Zukunft dazu beitragen, neue anti-mikrobielle Substanzen zu entwickeln - und zwar nicht auf Basis herkömmlicher chemischer Antibiotika, sondern aus Proteinsequenzen, die durch die Genomaufklärung von Bdellovibrio vorhergesagt werden können.
Phase 1: Ortung dank chemischer Rezeptoren
 
Bild: Max-Planck-Institut für Entwicklungsbiologie/Rendulic, Berger und Schuster

Lebenszyklus von Bdellovibrio bacteriovorus (gelb). Um sich vermehren zu können, braucht es andere Bakterien (blau) als Wirt.

In einer ersten frei-lebenden Phase schwimmt Bdellovibrio nach Angaben der Forscher mit hoher Geschwindigkeit und versucht seine Beute durch den Gebrauch seiner chemischen Rezeptoren zu orten.

Ist der Räuber erst einmal mit einem potentiellen Wirt zusammengestoßen, hefte er sich an diesen reversibel an - nicht ohne sich zu versichern, ob es sich auch um eine geeignete Beute handelt.
Erkennung geeigneter Beute durch Nervenfasern
Dieser Erkennungsmechanismus werde sehr wahrscheinlich durch ein Pilus-System vermittelt, ein Multifunktions-Fortsatz, der von einem Pol der Bakterienzelle ausgeht, berichten die Forscher.

Dieses bestehe aus langen Fasern, die zum einen in der Lage sind, Stoffe zu transportieren, und zum anderen von der Bdellovibrio-Zelle mechanisch wieder eingeholt werden können.
Enzym-Cocktail zersetzt Wirtszellwand
Auf diese Art und Weise ziehe sich der Räuber zuerst an seine Beute heran, um dann in diese einzudringen. Zuvor ätze Bdellovibrio mit einem Enzym-Cocktail, der die Lipide, Proteine und Zuckerstrukturen der Wirtszellwand zersetzt, ein Loch in die äußere Membran seiner Beute.

Durch diese Öffnung nistet sich der Räuber nach Angaben der Forscher dann in einem Kompartiment ein, das zwischen der gerade überwundenen äußeren Membran und der das Zytoplasma umschließenden inneren Membran liegt. An dieser Position könne Bdellovibrio nun verweilen, da sich die Eintrittsöffnung wieder verschließt und das Wirtsbakterium lebensfähig bleibt.
Wachstum durch fremdes Zytoplasma
 
Bild: Max-Planck-Institut für Entwicklungsbiologie

Lebenszyklus von Bdellovibrio bacteriovorus

In der Regel trete Bdellovibrio in der Wirtszelle sofort in seine Wachstumsphase ein, wofür es Aminosäuren benötigt, die es jedoch selbst nicht herstellen kann. Vielmehr erzeuge das Bakterium diese Aminosäuren und andere Nährstoffe durch den Abbau von Biopolymeren aus dem Zytoplasma seiner Wirtszelle.

Auf diese Weise werde das Zytosol des Wirts völlig verzehrt, während die Bdellovibrio-Zelle sich gleichzeitig immer mehr verlängert. Sind alle Wirtsressourcen aufgebraucht, so differenziert sich diese "Mutterzelle" in bis zu 15 neue Angriffszellen, die - wie die ursprünglich eingedrungene Zelle - wieder in der Lage sind, sich schwimmend fortzubewegen, Beute aufzuspüren und anzugreifen.
Vielschichtige und bisher vernachlässigte Enzym-Strategien
Die Analyse des Bdellovibrio-Genoms habe gezeigt, dass dieser Organismus eine Vielzahl von Enzymen besitzt, die komplexe Biopolymere wie Proteine, Zucker, DNA und RNA des bakteriellen Wirts zersetzen können.

In Zusammenarbeit mit anderen Forschergruppen werden die Wissenschaftler deshalb versuchen, jene Ziele in der Wirtszelle zu identifizieren, die sich in dieser Jahrmillionen alten Räuber-Beute-Beziehung zwischen Bakterien als robuste und effektive Angriffsziele herausgestellt haben.

Hierbei sollen auch die in diesem Prozess zum Einsatz kommenden Enzyme und deren Wirkungsweise untersucht werden. Schon aus den jetzt vorliegenden Forschungsergebnissen sei jedoch klar, dass es sich bei diesen Angriffspunkten um zelluläre Systeme in der Wirtszelle handelt, die von den heute eingesetzten (chemischen) Antibiotika als Wirkungsort vernachlässigt werden.
Bdellovibrio als lebendes Antibiotikum?
Noch weiter in die Zukunft der antimikriobiellen Strategien zeigt jedoch der Vorschlag, das Raubbakterium Bdellovibrio selbst als lebendes Antibiotikum einzusetzen. Dies erscheint den Wissenschaftlern möglich, weil Bdellovibrio nicht in der Lage ist, eukaryotische (mit einem echten Zellkern) und insbesondere Säugetierzellen zu befallen.

Zudem konnten die Wissenschaftler zeigen, dass Bdellovibrio eine besonders schwach immunogene Oberfläche besitzt, die in Tierversuchen keine Reaktion des Immunsystems hervorruft.

Diese Eigenschaften - zusammen mit den Tatsachen, dass bestimmte Bdellovibrio-Stämme auf ganz bestimmte Wirtsorganismen beschränkt und zudem in der Lage sind, sich in den selben Geweben zu bewegen, die von wichtigen human-pathogenen Bakterien besiedelt werden - mache diese Strategie sehr erfolgversprechend.
->   Max Planck-Institut für Entwicklungsbiologie, Tübingen
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01.01.2010